Diskussion

Mauerfall und Arschgeweih – Was bleibt von den Neunzigern?

Stand
Autor/in
Bernd Lechler

Der Fall der Berliner Mauer, das Ende des Kalten Kriegs, die Versprechungen von World Wide Web und friedlicher Globalisierung. Die letzte Dekade des letzten Jahrtausends gilt als eine Zeit des Aufbruchs und der Zuversicht – auch wenn sie ihre Schattenseiten hatte: erstarkender Rechtsradikalismus, eine „Wende“ mit vielen Verlierern, Krieg in Jugoslawien.

Waren die Neunziger – als Helmut Kohl noch Kanzler war, die Telefone noch Kabel hatten und Tätowierungen Mode wurden – das letzte optimistische Jahrzehnt? Was nahm damals seinen Anfang? Was ging zu Ende? Was ist geblieben?

Bernd Lechler diskutiert mit Jens Balzer – Journalist und Autor, Dr. Jörg Probst – Kunsthistoriker, Sabine Rennefanz – Journalistin und Autorin.

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Vinyls, Buffalos und Synthesizer: Warum sind wir gerade so nostalgisch?

Die 80er und 90er Jahre sind zurück! Scheint zumindest so, wenn man aktuelle Musik hört oder Trends auf der Straße sieht. Und auch Apache 207 singt: “Ich seh' aus wie die Nineties, sie kriegt Daddy-Issues”. Aber woher kommt die Lust an der vergangenen Zeit? War früher wirklich alles besser? Oder reden wir uns die schnelllebige, digitale Gegenwart voller Krisen und Unsicherheiten schön?

Dass wir uns eher an positive Zeiten als an die negativen erinnern, bestätigt uns Monika Schönauer, sie ist Professorin für Neuropsychologin an der Uni Freiburg: “Je schlechter die Zeiten, desto mehr hat man einen Hang zur Nostalgie. In der Psychologie sagt man, Nostalgie ist ein Gefühl: Und wir können Erinnerungen abrufen, die dieses Gefühl auslösen.”

Pop-Experte und Autor Jens Balzer ist gerade aus den 90er-Jahren quasi wieder aufgetaucht: Er hat sich für sein neues Buch intensiv mit dem Jahrzehnt beschäftigt. Mauerfall, Ende des Kalten Krieges, das Ende der Geschichte: Es sie keine Überraschung, dass sich gerade viele nach den 90er-Jahren sehnen: “Die große Kriegsbedrohung, unter der man in den 80er-Jahren litt, war vorbei. Junge Menschen kamen ganz anders zusammen und feierten.” Diese Lust an Party habe zum Beispiel den Geist Berlins geprägt, der bis heute anhält.

Aber natürlich war früher eben nicht alles besser und Nostalgie hat nicht nur ihre schönen Seiten: Rechtspopulistische Politiker verklären gern die alten Zeiten und für viele, insbesondere queere Menschen, Frauen oder People of Colour waren die “guten alten Zeiten” oft alles andere als gut. Und es gebe natürlich auch ein kapitalistisches Interesse daran, die vergangenen Jahrzehnte zu verwerten, sagt Balzer: “Dass Serien wie Stranger Things gerade so populär sind, liegt auch daran, dass das die Generation der Boomer sei, die genug Geld hat, um zum Beispiel in die passenden Fashion-Items zu investieren.” Worin sich alle vier einig sind: Corona-Mottopartys in dreißig Jahren? Sie werden kommen!

Welches Jahrzehnt ruft bei euch nostalgische Gefühle hervor? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de!

Host: Pia Masurczak und Christian Batzlen
Showrunner: Kristine Harthauer

Jens Balzers Buch über die 90er-Jahre: “No Limit. Die Neunziger - Das Jahrzehnt der Freiheit” https://www.rowohlt.de/buch/jens-balzer-no-limit-9783737101738

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Bernd Lechler