Das intellektuelle Paris prägt Alice Schwarzer
In den 1960ern lebt die junge Journalistin Alice Schwarzer in Paris. Sie studiert bei Michel Foucault und schließt Freundschaft mit Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Die hat gerade mit „Der feine Unterschied“ den Weltklassiker der feministischen Theorie veröffentlicht.
Mit Simone de Beauvoir führt Schwarzer in den 1970ern viele Gespräche, die sie in einem Buch veröffentlicht. „Dank unserer feministischen wie persönlichen Freundschaft war sie in der Lage, mir die Fragen zu stellen, die mich interessierten, und konnte ich ihr ganz und gar offen antworten“, schreibt de Beauvoir im Vorwort.
An der Speerspitze der zweiten Frauenbewegung
Schwarzer schließt sich der französischen Frauenbewegung an. Zusammen mit Prominenten wie Catherine Deneuve bekennt sie 1971 in einer französischen Wochenzeitschrift: „Wir haben abgetrieben“.
Alice Schwarzer exportiert die Aktion nach Deutschland. Im Stern erscheint am 6. Juni 1971, in der 374 Frauen öffentlich bekannten: Die Titelstory „Wir haben abgetrieben!“ – ein spektakuläres Bekenntnis von 374 Frauen.
Schwarzer kämpft für Abtreibung und für eine faire Arbeitsteilung
Abtreibung war in Deutschland bis 1976 illegal. Die Aktion im Stern sowie Schwarzers ebenfalls 1971 erschienenes Buch „Frauen gegen den § 218“ haben der zweiten Frauenbewegung in Deutschland und – damit verknüpft - der Debatte um Abtreibung einen kräftigen Aufschwung verpasst.
Den Schlüssel zur Befreiung der Frau aus Heim und Herd sieht Alice Schwarzer in den 1970er-Jahren in der Erwerbsarbeit. Gleichzeitig erkennt sie die Gefahr der Doppelbelastung durch die Frauen. Sie fordert politische Maßnahmen, um die Arbeitsteilung zwischen Familien- und Lohnarbeit gerecht zu gestalten.
Showdown im TV-Duell mit Esther Vilar
Eine Perle deutscher TV-Geschichte ist das Streitgespräch von 1975 zwischen Schwarzer und Ester Vilar. Die Schriftstellerin vertrat in ihrem umstrittenen Buch „Der dressierte Mann“ die provokante These, dass vielmehr der Mann durch die Frau unterdrückt würde als umgekehrt.
„Verrat am eigenen Geschlecht“ seien die Thesen von Vilar. Mit diesem Streitgespräch wird Alice Schwarzer über Nacht in ganz Deutschland berühmt. Die Ikone der deutschen Frauenbewegung ist geboren.
Die Bild-Kampagne kratzt an Schwarzers Image
In den letzten beiden Jahrzehnten gerät Schwarzer zunehmend in de Kritik. Zum Beispiel als sie sich für eine Imagekampagne der Bild einspannen lässt – ausgerechnet das Boulevardblatt, das Feministinnen immer wieder für seinen Sexismus attackieren.
Auch für ihre einseitige Berichterstattung im Kachelmann-Prozess wird Alice Schwarzer scharf attackiert. Dafür, dass sie ihn auch nach dessen Freispruch noch als Vergewaltiger beschuldigte, muss sie sich vor Gericht verantworten.
Radikale Position zu Kopftuch und zu Prostitution
Alice Schwarzer ist eine vehemente Gegenerin des politischen Islams und bezeichnet das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung. Wegen ihrer unnachgiebigen Haltung nennt die taz sie eine „Rechtsfeministin“, die sich derselben Angstszenarien bediene wie rechte Populist*innen
Auch ihre Haltung zum Thema Prostitution ist unnachgiebig. Während eine breite Front des gegenwärtigen Feminimus sich gegen Kriminalisierung und Stigmatisierung von Sexarbeit stark macht, bezeichnet Schwarzer Prostitution als Sklavenarbeit und dessen Freiwilligkeit als Mythos.
Persona non grata in queerfeministischen Kreisen
Doch es sind vor allem ihre transfeindlichen Aussagen, die in weiten Kreisen der feministischen Bewegung der Gegenwart Entsetzen auslösen. Ihre Zeitschrift Emma steht in der Kritik, das Thema zu emotionalisieren und eine Kampagne gegen trans Menschen zu führen.
Aus queerfeministischen Kreisen schlägt ihr Hass entgegen. Erst kürzlich veröffentlicht Schwarzer die Publikation „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ – und stachelt die aufgeladene Debatte noch einmal gründlich an.
Viele Protagonist*innen des gegenwärtigen feministischen Diskurses können mit Schwarzers Thesen wenig anfangen, so auch die Zeitgenossinnen Erica Fischer, eine bedeutende Frauenrechtlerin im Österreich der 70er-Jahre. „Alice Schwarzer ist beim Feminismus der 70er- und 80er-Jahre stehengeblieben“, sagt Fischer in SWR2. „Wir kennen uns, aber wir schätzen uns nicht. Es fehlt ihr an Demut.“