Feminismus

Feministische Ikone und Reizfigur zugleich – Alice Schwarzer wird 80

Stand
Autor/in
Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur

Alice Schwarzer polarisiert wie kaum eine andere. Mit ihren unnachgiebigen Positionen zu den Fragen der Gegenwart – Kopftuch, Prostitution, Queer-Feminismus – hat sie sich ins Abseits aktueller feministischer Debatten manövriert. Für die Frauenbewegung der 70er-Jahre hat sie hingegen Außerordentliches geleistet.

Alice Schwarzer
Alice Schwarzer: Journalistin, Publizistin, umstrittene Feministin. In den 70er-Jahren war sie die Galionsfigur der zweiten Frauenbewegung in Deutschland. Heute ist sie wegen ihrer provokanten Positionen ein rotes Tuch in breiten Kreisen der feministischen Bewegung. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
In den 60er-Jahren studierte die junge Journalistin Alice Schwarzer in Paris bei Michel Foucault und schließt Bekanntschaft mit Paul Satre und Simone de Beauvoir, die Freundin und Vorbild für sie ist. Bild in Detailansicht öffnen
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Zahlreiche Interviews mit De Beauvoir veröffentlichte Schwarzer in einem Buch. „Dank unserer feministischen wie persönlichen Freundschaft war sie in der Lage, mir die Fragen zu stellen, die mich interessierten, und konnte ich ihr ganz und gar offen antworten“, schreibt de Beauvoir im Vorwort. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Zurück in Deutschland kämpft Alice Schwarzer erbittert für das Recht auf Abtreibung. 1971 erscheint ím Stern ihre Titelstory „Wir haben abgetrieben“ – ein spektakuläres Bekenntnis hunderter Frauen. Wegen zahlreicher Proteste strich der NDR ihren Film über Schwangerschaftsabbrüche 1974 aus dem TV-Programm. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
1975 erscheint „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen.“ Schwarzer schreibt für die sexuelle Befreiung der Frau und gegen den Zwang der Heteronsexualität. Ihr Schlüsselwerk gibt es in 12 Sprachen und machte Schwarzer international bekannt. Bild in Detailansicht öffnen
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Das TV-Streitgespräch mit der Antifeministin Esther Vilar 1975 macht Schwarzer über Nacht berühmt. In den Medien ist sie nun dauernd präsent. Mit erhobenem Zeigefinger belehrt sie im WDR die Schauspielerin Uschi Glas und den Schriftsteller Gregor von Rezzori. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Im sogenannten „Sexismus-Prozesses" verklagen Schwarzer, Inge Meysel (m) und Margarethe von Trotta 1987 erfolglos den Stern"-Chefredakteur Henri Nannen (r), weil dieser auf seinen Titelseiten Frauen zu Sexobjekten degradiere. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Das Cover der ersten EMMA-Ausgabe vom Februar 1977. Mit der Gründung der Frauenzeitschrift schafft sich Schwarzer ihr eigenes publizistisches Sprachrohr. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Sie ist bis heute die Chefredakeurin. Ein Generationenwechsel 2008 scheiterte überraschend. Die Journalistin Lisa Ortgies musste ihren Sessel schon nach wenigen Wochen im Amt wieder räumen. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Überhaut ist die Kritik an Alice Schwarzer und ihren Positionen laut geworden. Etwa wegen ihrer Berichterstattung im Kachelmann-Prozess. Nach dessen Freispruch beschuldigte sie ihn weiterhin der Vergewaltigung. Dafür musste sie sich vor Gericht verantworten. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Oder für ihre Imagekampagne für die Bild: "Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht", lautete der Slogan, unter dem Schwarzer ausgerechnet für das Boulevardblatt wirbt. Bild in Detailansicht öffnen
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Umstritten auch ihre Positionen zum Kopftuch. Schwarzer ist eine vehemente Kritikerin des politischen Islam. Die taz bezeichnete sie deshalb als „Rechtsfeministin“, die sich derselben Angstszenarien bediene wie rechte Populist*innen. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Widerstand erfährt auch ihre Haltung zu Prostitution. Während eine breite Front des gegenwärtigen Feminimus sich gegen die Kriminalisierung von Sexarbeit stark macht, bezeichnet Schwarzer Prostitution als Sklavenarbeit und dessen Freiwilligkeit als Mythos. Bild in Detailansicht öffnen
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Vor allem wegen ihrer transfeindlichen Äußerungen hat Alice Schwarzer heute den Anschluss zu feministischen Positionen der Gegenwart verloren. Ihre Zeitschrift Emma steht in der Kritik, eine emotionale Kampagne gegen trans Menschen zu führen. Aus queerfeministischen Kreisen schlägt ihr Hass entgegen. Bild in Detailansicht öffnen
Alice Schwarzer
Man liebt sie oder man hasst sie: Alice Schwarzer polarisiert wie kaum eine andere Figur des öffentlichen Lebens in Deutschland. Dass sie für die Frauen in Deutschland außerordentliches geleistet hat, steht außer Frage. Wir wünschen alles Gute zum 80. Geburtstag! Bild in Detailansicht öffnen

Das intellektuelle Paris prägt Alice Schwarzer

In den 1960ern lebt die junge Journalistin Alice Schwarzer in Paris. Sie studiert bei Michel Foucault und schließt Freundschaft mit Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Die hat gerade mit „Der feine Unterschied“ den Weltklassiker der feministischen Theorie veröffentlicht.

Mit Simone de Beauvoir führt Schwarzer in den 1970ern viele Gespräche, die sie in einem Buch veröffentlicht. „Dank unserer feministischen wie persönlichen Freundschaft war sie in der Lage, mir die Fragen zu stellen, die mich interessierten, und konnte ich ihr ganz und gar offen antworten“, schreibt de Beauvoir im Vorwort.

An der Speerspitze der zweiten Frauenbewegung

Schwarzer schließt sich der französischen Frauenbewegung an. Zusammen mit Prominenten wie Catherine Deneuve bekennt sie 1971 in einer französischen Wochenzeitschrift: „Wir haben abgetrieben“.

Alice Schwarzer exportiert die Aktion nach Deutschland. Im Stern erscheint am 6. Juni 1971, in der 374 Frauen öffentlich bekannten: Die Titelstory „Wir haben abgetrieben!“ – ein spektakuläres Bekenntnis von 374 Frauen.

Schwarzer kämpft für Abtreibung und für eine faire Arbeitsteilung

Abtreibung war in Deutschland bis 1976 illegal. Die Aktion im Stern sowie Schwarzers ebenfalls 1971 erschienenes Buch „Frauen gegen den § 218“ haben der zweiten Frauenbewegung in Deutschland und – damit verknüpft - der Debatte um Abtreibung einen kräftigen Aufschwung verpasst.

Den Schlüssel zur Befreiung der Frau aus Heim und Herd sieht Alice Schwarzer in den 1970er-Jahren in der Erwerbsarbeit. Gleichzeitig erkennt sie die Gefahr der Doppelbelastung durch die Frauen. Sie fordert politische Maßnahmen, um die Arbeitsteilung zwischen Familien- und Lohnarbeit gerecht zu gestalten.

Showdown im TV-Duell mit Esther Vilar

Eine Perle deutscher TV-Geschichte ist das Streitgespräch von 1975 zwischen Schwarzer und Ester Vilar. Die Schriftstellerin vertrat in ihrem umstrittenen Buch „Der dressierte Mann“ die provokante These, dass vielmehr der Mann durch die Frau unterdrückt würde als umgekehrt.

Debate - Esther Vilar vs. Alice Schwarzer - February 6, 1975 [ + English/Portuguese subtitles ]

 „Verrat am eigenen Geschlecht“ seien die Thesen von Vilar. Mit diesem Streitgespräch wird Alice Schwarzer über Nacht in ganz Deutschland berühmt. Die Ikone der deutschen Frauenbewegung ist geboren.

Die Bild-Kampagne kratzt an Schwarzers Image

In den letzten beiden Jahrzehnten gerät Schwarzer zunehmend in de Kritik. Zum Beispiel als sie sich für eine Imagekampagne der Bild einspannen lässt – ausgerechnet das Boulevardblatt, das Feministinnen immer wieder für seinen Sexismus attackieren.

Auch für ihre einseitige Berichterstattung im Kachelmann-Prozess wird Alice Schwarzer scharf attackiert. Dafür, dass sie ihn auch nach dessen Freispruch noch als Vergewaltiger beschuldigte, muss sie sich vor Gericht verantworten.

Radikale Position zu Kopftuch und zu Prostitution

Alice Schwarzer ist eine vehemente Gegenerin des politischen Islams und bezeichnet das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung. Wegen ihrer unnachgiebigen Haltung nennt die taz sie eine „Rechtsfeministin“, die sich derselben Angstszenarien bediene wie rechte Populist*innen

„Wir kennen uns, aber wir schätzen uns nicht. Es fehlt ihr an Demut.“

Auch ihre Haltung zum Thema Prostitution ist unnachgiebig. Während eine breite Front des gegenwärtigen Feminimus sich gegen Kriminalisierung und Stigmatisierung von Sexarbeit stark macht, bezeichnet Schwarzer Prostitution als Sklavenarbeit und dessen Freiwilligkeit als Mythos.

Persona non grata in queerfeministischen Kreisen

Doch es sind vor allem ihre transfeindlichen Aussagen, die in weiten Kreisen der feministischen Bewegung der Gegenwart Entsetzen auslösen. Ihre Zeitschrift Emma steht in der Kritik, das Thema zu emotionalisieren und eine Kampagne gegen trans Menschen zu führen.

Aus queerfeministischen Kreisen schlägt ihr Hass entgegen. Erst kürzlich veröffentlicht Schwarzer die Publikation „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ – und stachelt die aufgeladene Debatte noch einmal gründlich an.

Viele Protagonist*innen des gegenwärtigen feministischen Diskurses können mit Schwarzers Thesen wenig anfangen, so auch die Zeitgenossinnen Erica Fischer, eine bedeutende Frauenrechtlerin im Österreich der 70er-Jahre. „Alice Schwarzer ist beim Feminismus der 70er- und 80er-Jahre stehengeblieben“, sagt Fischer in SWR2. „Wir kennen uns, aber wir schätzen uns nicht. Es fehlt ihr an Demut.“