Alle Teile können auch im SWR2 Feature-Podcast und in der ARD Audiothek angehört werden.
Der Doktor kommt ... endlich. Dr. C. ist kein Arzt. Dr. C. hilft trotzdem. Vor allem bei schmerzlichen Erfahrungen. Eine der schmerzlichsten Erfahrungen verschaffen uns die gegenwärtigen Wirtschafts- und Währungskrisen, Pleiten und Zusammenbrüche.
Wir kapieren auch bei größter Anstrengung nicht mehr, was da wie passiert. Das tut weh. Wer versucht, sich über ökonomische Begriffe wie Geld und Wachstum, Schulden und Effizienz schlau zu machen, merkt schnell, wie schwierig das sein kann.
Wer nichts versteht, weiß nicht nur nicht Bescheid. Wer nichts versteht, kann auch nicht mitreden. Genau da hilft Dr. C. – mit seinem Radio-Conversationslexikon.
Zu den Sendungen liegen keine Manuskripte vor.
Steht das nicht alles im Internet?
Mitreden bedeutet Konversation. Dafür gab es früher Konversationslexika. Denn das war der Sinn von Nachschlagewerken: profundes Wissen liefern, damit man sich die Welt nicht durch ahnungsloses Brabbeln erklären muss. Doch woher bezieht man heute dieses Wissen? Steht doch alles im Internet, behauptet eine weit verbreitete Legende. Ja schon, da steht etwas. Da steht sogar sehr viel. Und vieles bewegt sich auch. Aber wird man dadurch klüger? Erkennt man Zusammenhänge, Ursachen, Wirkungen, historische Bezüge und künftige Konsequenzen? Lässt sich Meinung und Information und Verschwörungstheorie unterscheiden? Oder ist das alles nur ein großes Brabbeln?
Wer ist der Doktor?
Dr. C. ist Armin Chodzinski, geboren 1970 in Hamburg. Er studierte bildende Kunst und promovierte in Anthropogeographie (die Wissenschaft gibt es tatsächlich, von keinem geringeren gegründet als Alexander von Humboldt – näheres steht in jedem Lexikon ...). Armin Chodzinski arbeitete im Management eines Handelskonzerns und in der Unternehmensberatung, dozierte an Kunsthochschulen und Wirtschaftsfakultäten und ist Künstler, Autor und Performer.
Er referiert, theoretisiert, exemplifiziert: Zitate, Thesen, Verweise, Quellen und Dokumente. Armin Chodzinski denkt laut und live – und manchmal tanzt er auch dazu, sogar im Radio. Manchmal mag er dabei etwas verkrampft wirken, aber das ist nur dem Umstand geschuldet, dass er auch die komplexesten Zusammenhänge auseinanderdröseln will. Zugegeben: was er als Wissen vermittelt, ist ordentlich mit Meinung untermischt. Aber das wird einem sofort klar, wenn man ihn sieht: der Mann mit der markanten Brille und dem lachsfarbenen Anzug ist eindeutig kein Hochschuldozent. (Und tatsächlich: man "sieht" seinen Auf- und Anzug sogar im Radio ...)
Gut, das es Menschen gibt, die immer wieder hilfreich strukturieren, eingreifen oder unterbrechen. Dr. C. merkt es nicht immer, aber die Zuhörenden nehmen es dankbar auf. Letztlich passiert dann doch eine Menge: Zitate, Thesen, Verweise, Fundstücke aus unterschiedlichsten Zeiten und Quellen, machen die stringente Erzählung, die sich andauernd in sich selbst verfängt zu einer Collage. Und am Ende ist es eben ein Eintrag in Dr. C.’s Conversationslexikon, ein Feature – ein Radiodfeature mit und ohne Publikum.
Unterstützt wird Chodzinski bei seinen therapeutischen Bemühungen vom Musiker Nis Kötting und den Schauspielern Iris Minich, Ruth Marie Kröger und Andreas Rötzinger. In der mehrteiligen Kunst-Musik-Bildungs-Revue-Feature-Reihe nimmt sich das Quintett Begriffe vor, die hochabstrakt scheinen, in ihrer Wirkung aber sehr konkret sind.
So lässt Dr. C. fast keine ökonomische Frage offen. Und er deutet sogar an, wie man aus den Teufelskreisen wirtschaftlicher Miserendynamik herauskommt: einfach mal hinsetzen und gar nichts tun – außer SWR2 hören.
Was ist ein Konversationslexikon?
Das Konversationslexikon entwickelte sich parallel zu den bürgerlichen Salons und war vornehmlich als die lexikalische Grundlage einer zu führenden Konversation gedacht. Die Verflüssigung und Popularisierung des Wissens war das Hauptanliegen. Im Konversationslexikon ging es dann auch weit weniger um eine enzyklopädische Wahrheit, als vielmehr um die Grundierung des Gespräches, um Bildung und Vermittlung zur gemeinschaftlichen Reflektion. Reagierten Hübners Conversationslexikon (1709) oder Löbels und Frankes Converstaionslexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten (1769) auf den Umstand der mangelnden Verfügbarkeit von Informationen, reagiert Dr. C’s Conversationslexikon auf dessen Überfluss und nimmt eine Sortierung, eine Collagierung und Aufbereitung quer zu den Disziplinen und Sichtweisen vor.
Was ist eigentlich die Idee hinter diesem „Conversationslexikon“?
Dr. C.’s Conversationslexikon stellt sich Begriffen, die zu Allgemeinplätzen geworden sind: Aktie, Bürokratie, Geld, Kreativität, Macht, Effizienz, Steuern, Volkswirtschaft, Wetten…
Dr. C. nährt sich den Begriffen von vorn: Von der Etymologie bis zur Verwendung, von der Buchstäblichkeit zur Bedeutung. Einer muss sich dem ja aussetzen, dass wir eigentlich nicht mehr wissen worüber wir reden oder reden ohne zu wissen, was wir damit eigentlich sagen – das geht so nicht!
Und deshalb: Die Begriffe aus ihren emotionalen Kerkern befreien und den Diskussionen ohne Unterleib die Bodenhaftung zurückgeben! Oder wussten Sie, dass es Gesellschaften gibt in denen das Glücksspiel und die Wette ein akzeptiertes Mittel zur Umverteilung von Gütern war? Oder was eigentlich Schulden sind? Oder das Geld so etwas wie Religion ist nur ohne Gott?
Die Komplexität der aktuellen Probleme zwingt dazu dumme und grundsätzliche Fragen zu stellen – ohne Expertendiskurse und Positionierungseitelkeit.
Nahezu allen Bildungstheorien ist gemein, dass sie das reflektierte Verhältnis zu sich selbst, zu anderen und zur Welt als ein Zeichen der Bildung verstehen. Das ist recht allgemein, aber dennoch sehr ernst zu nehmen. Dr. C. ist weit weniger theorieaffin als es manchmal den Anschein hat und das schützt davor in abgegrenzten ideologisch akademischen Zusammenhängen zu verharren.
Dr. C. reflektiert sein Verhältnis zu sich selbst, zu anderen und zur Welt. Meistens ist die Reihenfolge eine andere, aber letztlich wird immer wieder der Prozess des Reflektierens öffentlich gemacht, zur Schau gestellt. In diesem zur Schaustellen gibt es kein Spielen, keinen Charakter und keine Rolle, die eingenommen wird: Dr. C. denkt laut und begreift die Reflektion dessen als Bildung. Es wird sich weit aus dem Fenster gelehnt!
Gibt es einen grundsätzlichen Hintergrund zu diesem Vorhaben?
In den Gesellschaftswissenschaften blühen die Expertendiskurse! In den Talkshows wirft man sich Begriffe an die Köpfe! Man wird das Gefühl nicht los, als ginge es nur noch um emotionale Platzhalter! Eigentlich sind wir in einer Situation, in der niemand irgendetwas sicher weiß – die Behauptung ist das Medium der Meinungsbildung geworden. Das Conversationslexikon bekennt sich zum Unwissen und schaut deshalb überall mal hin: Wo kommen die Begriffe her? Wie sind sie in die Welt gekommen? Was haben sie zu welcher Zeit für wen bedeutet? Und was macht man damit?
Die Naturwissenschaftler haben es leichter: Das Erklären von Phänomen und Gesetzmäßigkeiten ist and der Tagesordnung und vermittelt scheinbar unumstrittenes. Volksbildung als Vermittlung von Sicherheit für die Verunsicherten: Ranga Yogeshwar, Professor Harald Lesch, Dr. Eckart von Hirschhausen.
Dem gegenüber steht der Diskurs der Talkrunden, der Selbsterfahrungstripps, der investigativen Dialektik oder der Experten-Miniaturen: Herr Eppert sucht…, Alexander Kluge problematisiert, Gert Scobel diskutiert, Sarah Kuttner menschelt.
Die grundlegende Alphabetisierung der Zuschauer, die im komplexen Gewirr der Welt sich damit zufrieden geben ein Gefühl anstelle einer Meinung zu bilden, bleibt aus. Der Notwendigkeit von Meinung, Haltung und Handlung steht die mangelnde Zeit für das Lexikalische gegenüber. Natürlich sind nahezu alle Informationen verfügbar, aber in einer Kultur des Suchens funktioniert eine emanzipative Gesellschaft eben auch und vor allem durch das Finden. Jenseits der Unsicherheit der Experten, die in Behauptungen mündet, braucht es deshalb ein Format, das sich zum Erklären und zum Unwissen bekennt und dessen Ziel es ist, Handlungsfähigkeit oder zumindest Reflektion herzustellen oder wie die Blow Monkeys einmal so schön sangen: Educate and Activate!
Die Herausgeber
Armin Chodzinski, geboren 1970 in Hamburg, studierte bildende Kunst, promovierte in Anthropogeographie, arbeitete im Management eines Handelskonzerns und in der Unternehmensberatung, dozierte an Kunsthochschulen und Wirtschaftsfakultäten und ist Künstler, Autor und Performer.
Nis Kötting, geboren 1981, hat Musikwissenschaft studiert und ist als Pianist und Keyboarder in diversen Bandformationen tätig. Mit der Soul-Sängerin Nneka ist er in den letzten Jahren durch unzählige Clubs in der ganzen Welt getourt.
Musik: Nis Kötting
Regie: Armin Chodzinski
Produktion: SWR 2015/2017/2020/2024