Was nicht mehr mit dem Schiff transportiert werden kann, soll künftig mit Zügen ausgeglichen werden. Die Verordnung des Bundesverkehrs- und Bundeswirtschaftsministeriums dazu befindet sich aktuell in der Ressortabstimmung. Konkret sieht die Verordnung vor, dass Transporte zur Energieversorgung, also Kohle und Öl, Vorrang vor anderen Güterverkehren erhalten. Sechs Monate soll diese Regelung dann gelten.
Fahrgastverband befürchtet mehr Verspätungen
Die Pläne der Bundesregierung stoßen beim Fahrgastverband Pro Bahn auf Kritik. Der Pro-Bahn-Vorsitzende Detlef Neuß sagte der Deutschen Presse-Agentur, es dürfe kein Nah- oder Fernverkehrszug für diese Transporte ausfallen. "Wir haben schon ein Verspätungslevel, das an Unzumutbarkeit grenzt." Kämen dann Beschäftigte in Kraftwerken oder an Chemiestandorten zu spät zur Arbeit, weil ihr Zug zugunsten eines Güterzugs warten müsse, sei auch niemandem geholfen.
Zum Thema Beeinträchtigungen der Fahrgäste äußerte sich die Bahn auf Nachfrage nicht. Das Verkehrsunternehmen vlexx teilte mit, da die Regelung keine beschlossene Sache sei, könnte sie noch nicht abschätzen, inwiefern die Fahrgäste Auswirkungen spüren könnten. Wahrscheinlich müssten die Personenzüge warten, bis der Güterzug überholt habe. So wie das jetzt schon bei Überholmanövern von Fernzügen der Fall sei.
Freie Fahrt für Güterzüge wegen Niedrigwasser und Energiekrise
Welche Alternativen wären denkbar?
Neuß sprach sich dafür aus, mehr Güterzufahrten in der Nacht stattfinden zu lassen. Diese Möglichkeit erwähnte auch Logistik-Experte Joachim Schmidt von der Hochschule Ludwigshafen. Er gab jedoch gleichzeitig zu bedenken, dass die Lärmbelästigung insbesondere am Mittelrhein, zwischen Bingen und Bonn, merklich zunehmen würde.
Logistik-Experte: Transportkapazitäten als massives Problem
Auf die Frage, was ein Umstieg vom Schiff auf die Schiene bedeuten würde, antwortete Schmidt, es gäbe dabei vor allem ein Problem: Womit sollen die Güter transportiert werden? "Heute sind die Kesselwagen zum Mineralöltransport oder Schüttgutwagen für den Kohletransport bereits gut ausgelastet." Wagenvermieter hätten nur wenig freie Kapazitäten, daher müsste womöglich Altbestand wieder reaktiviert werden. Diese alten Waggons verfügten jedoch nicht über die sogenannte Flüsterbremse und würden so die Lärmbelästigung insgesamt erhöhen.
Vor allem der Öl-Transport sei eine Aufgabe der Binnenschifffahrt. Wie auch die Deutsche Bahn dem SWR mitteilte, sei die DB Cargo derzeit der größte Steinkohle-Transporteur. Rund 50 Züge mit jeweils knapp 3.000 Tonnen seien wöchentlich auf den Schienen unterwegs. Man bereite sich jedoch darauf vor, im Herbst mittelfristig mehr Kohlezüge zu fahren. Bedarf und Umfang sei aktuell noch unbekannt, sagte eine Bahnsprecherin.
Warum der Experte die Vorrangsregelung für nicht umsetzbar hält
Laut Logistik-Experte Schmidt ist es ohnehin fraglich, ob die Verordnung in der Praxis umsetzbar ist und überhaupt gebraucht wird. Zum einen hätten Operateure im Bereich der Binnenschifffahrt häufig schon Kapazitäten bei der Bahn reserviert. Zum anderen würde die Regelung nur bei der Trassenvergabe wirksam sein. Diese basiere jedoch auf Verträgen, die mit einem zeitlichen Vorlauf von mindestens einem halben Jahr geschlossen würden. "Der Eisenbahnverkehr ist ein Verkehrssystem, welches auf langfristig geplante regelmäßige Fahrten ausgelegt ist. Ein kurzfristiger Eingriff für sechs Monate führt in der Regel zu Effizienzverlusten und damit zu einer weiteren Kapazitätsreduktion,“ so der Experte in seinem Fazit.
Vorrangsregelung ja oder nein?
Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Bundesregierung tatsächlich für eine solche Verordnung entscheidet. Von Seiten der Bahn hieß es, die Priorisierung versorgungsrelevanter Züge sei eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme der Bundesregierung. Wann genau eine Entscheidung fällt, ist aktuell noch nicht absehbar.