Claus Weber war 35 Jahre lang Priester. Er predigte in Trier, in Koblenz, in Bonn und lange Jahre in Bolivien, wo er auch Waisenhäuser gründete. Lange war der Theologe ein angesehener Mann in der Kirche und der Öffentlichkeit. Bis das Bistum Trier dieses Jahr öffentlich machte, dass Weber spätestens seit 1978 immer wieder Kinder missbraucht hat.
Der Fall des 2020 verstorbenen Priesters ist einer der bekanntesten, mit dem sich die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistums Trier befasst hat. Er wird auch ausführlich im zweiten Zwischenbericht der Kommission behandelt, der am Mittwoch in Trier vorgestellt wurde.
Weihbischof soll Taten von Claus Weber vertuscht haben
Darin wird auch die Rolle des ehemaligen Weihbischofs Leo Schwarz beleuchtet. In Bolivien war "Padre Leo", wie er dort genannt wurde, fast eine Legende. Als erster Priester soll er Anfang der 1960er Jahre mit den Revolutionstruppen Che Guevaras verhandelt und einen Angriff auf ein Dorf verhindert haben.
Jetzt kam heraus: Schwarz teilte nicht nur seine Liebe zu Bolivien mit Claus Weber, sondern wohl auch ein Geheimnis. Als gegen Weber Missbrauchsvorwürfe laut wurden, vermittelte Schwarz für Weber eine Pfarrstelle in Ecuador. Und zwar über Bischof Emil Stehle, der als Sexualstraftäter und Fluchthelfer für andere Täter aus ganz Europa bekannt wurde.
Hatte es System, Missbrauchstäter ins Ausland zu schicken?
Jutta Lehnert zeigte sich heute nach der Vorstellung des Berichts im Interview mit dem SWR schockiert, dass sie von diesen Verbrechen erst vor Kurzem erfahren hat. "Ich hab Claus Weber persönlich gekannt", sagt die frühere Pastoralreferentin: "Ich hab sogar für seine Kinderheime damals Geld gesammelt. Und bin natürlich erstaunt, was sich hinter diesem Mann alles verbirgt."
Lehnert, die sich inzwischen bei der Initiative MissBit (Missbrauchsopfer & Betroffene im Bistum Trier) für die Opfer von sexuellem Missbrauch engagiert, glaubt, dass dieses Vorgehen der Kirche System hat: "Weihbischof Schwarz hatte mit seinem Engagement in Bolivien und für Misereor unendlich viele Möglichkeiten Täter ins Ausland zu schicken." Lehnert glaubt daher, "dass wir erfahren werden, dass Claus Weber nicht der Einzelfall ist.“
Auch Bischof Spital ist Fällen nicht nachgegangen
Auch der frühere Trierer Bischof Hermann-Josef Spital soll von den Vorwürfen gegen Claus Weber gewusst haben, heißt es in dem am Mittwoch vorgestellten Zwischenbericht. Die Verantwortlichen, so wörtlich, "unternahmen aber keine eigenen Schritte zur Klärung der Fakten".
Im Gegenteil: Ihr Umgang mit diesem Fall, heißt es weiter, zeige "exemplarisch, dass es ihnen primär um den guten Ruf der Kirche und ihrer Repräsentanten ging." Mit dem Leid der Betroffenen habe man sich nicht "hinreichend auseinandergesetzt".
Kommission geht von mehr Opfern und Tätern aus
Die Kommission erklärte am Mittwoch in Trier, sie werde auch noch die Amtszeit Spitals von 1981 bis 2001 näher untersuchen. Bis Januar 2024 sollen Ergebnisse in Form eines dritten Berichtes vorliegen.
Schon am Mittwoch verriet der Trierer Historiker Lutz Raphael, der auch zur Komission gehört, dem SWR im Interview erste Erkenntnisse: "Die gute Nachricht ist, dass die Zahl der Täter für diese immerhin ja auch 20 Jahre wohl im Vergleich zur Zeit von Bernhard Stein zurückgegangen ist."
Mit den Fehlern dieses früheren Trierer Bischofs hatte sich die Kommission in einem ersten Zwischenbericht befasst, der nachwies, dass Stein Täter geschützt und Taten vertuscht hatte. Doch auch in der Ära Spital fanden die Wissenschaftler laut Raphael Hinweise auf "Intensivtäter, die weiter ihre Schrecken verbreitet haben".
Die Kommission hat die Zahl der Opfer und der Taten im Bistum am Mittwoch daher noch einmal nach oben korrigiert. Die Fachleute gehen nun von 579 Betroffenen und 227 Beschuldigten aus. Im ersten Zwischenbericht war noch von 513 Opfern und 195 Tätern die Rede. "Bericht um Bericht steigen die Opferzahlen", kommentierte Hermann Schell von MissBit am Mittwoch. Er vermutet, dass die wahre Zahl der Übergriffe in die Tausende geht.
Fachleute kritisieren Bürokratie und mangelnde Aktenführung
Seit Sommer 2021 untersuchen die Fachleute die Fälle sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt in der Diözese und den Umgang des Bistums mit Tätern und Betroffenen. Und auch an diesem Mittwoch stellten sie den Verantwortlichen ein durchwachsenes Zeugnis aus. So empfehlen die Experten dem Bistum etwa, gegenüber den Missbrauchsopfern "weniger bürokratisch" aufzutreten.
Ferner kritisierte die Kommission das Bistum für mutmaßliche Versäumnisse bei der Aktenführung zu Missbrauchsfällen. Diese erschwerten die Arbeit, sagte der Historiker Lutz Raphael dem SWR: "Unsere Empfehlung ist wirklich, dass das Prinzip der Aktenführung mit Verweisen stattfindet, sodass auch die entsprechenden Verantwortlichen wirklich rasch handeln können, wenn sie mit Vorwürfen, konfrontiert werden." Dies sei in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen, sodass sich nur schwer rekonstruieren lasse, wer etwas gewusst hat und wer nicht.
Was der frühere Bischof Hermann-Josef Spital über die Missbrauchsfälle gewusst hat und was nicht - das soll die Öffentlichkeit dann im dritten Bericht der Komission im Frühjahr erfahren.