Hollywood und Roland Emmerich - klar, das sind Namen, die man mit Blockbustern und dem ganz großen Kino verbindet. Das geht mir genauso. Oberbillig an der Mosel liegt dagegen nicht mal mehr auf dem Radar der meisten Filmfans.
Statt eines roten Teppichs erwartet mich deshalb auch nur eine rote Haustür. Ein beschrifteter Kiesel auf der obersten Treppenstufe verrät mir, dass ich hier richtig bin. Als sich die Tür öffnet, steht vor mir ein Mann Mitte vierzig, der sich seinen jugendlichen Charme bewahrt hat, Dreitagebart, Basecap und flauschige Hausschuhe trägt.
Kino-Premiere in Trier
Am Donnerstagabend feiert Regisseur Florian Sigl mit seinem Film "The Magic Flute - Das Vermächtnis der Zauberflöte" Premiere im Broadway Filmtheater in Trier. Darin geht es um einen Musikschüler, der durch ein geheimes Portal in die Welt von Mozarts Zauberflöte gelangt. Es ist Sigls erster Spielfilm auf der großen Leinwand. Seine Wurzeln hat er im Werbefilm. Dieser sei aber eher eine Momentaufnahme und kein Roman.
Heute soll er mir seine Geschichte und die Geschichte hinter seinem Film erzählen. Er bittet mich in seine Küche. An der Wand hängen Porträts von Pferden, deren Mähnen in lustige Föhnfrisuren gezwungen wurden, auf einer Kommode liegt zwischen allerlei Krimskrams eine Regieklappe der Zauberflöte, datiert auf einen der letzten Drehtage im Frühjahr 2021.
Im Laufe meines Besuchs bei ihm werde ich lernen, dass es in Oberbillig eine Bahnhaltestelle und eine Autofähre gibt, die hinüber zur anderen Seite der Mosel nach Luxemburg fährt, aber keine Bäckerei. Und dass Sigl lieber Interviews an seinem heimischen Küchentisch gibt, als auf Promotiontour von einem Pressetermin zum nächsten zu hetzen.
Mozart im Kino: Wie Hollywood von der Idee erfuhr
Sigls Film ist ein Genre-Mix. Oper, Fantasy-Abenteuer und Coming-of-Age-Film in einem. Es ist ein Experiment mit prominenter Unterstützung, denn Produzent ist kein Geringerer als Roland Emmerich. Für Newcomer in der deutschen Filmbranche ist das nicht nur untypisch, sondern gleicht einem Sechser im Lotto. Wie diese Zusammenarbeit zustande gekommen ist, ist darum auch gleich eine meiner ersten Fragen.
"Ich habe auf der Berlinale einen Produzenten getroffen und der erzählte mir von dieser Idee, Mozart zu verfilmen", erzählt Sigl. Er selbst ist sofort Feuer und Flamme, schreibt innerhalb weniger Tage ein Konzeptpapier, eine zweiseitige Zusammenfassung der Geschichte. "Was ich nicht wusste: Dieser Produzent hatte eine Firma mit Roland Emmerich. Sie waren gerade dabei, diese Firma zu verkaufen und deshalb auf der Suche nach einem neuen Projekt."
Roland Emmerich - der weise ältere Kumpel
Und so landet Sigls Konzeptpapier auf Emmerichs Schreibtisch. "Roland fand das großartig und plötzlich meinten die beiden: Wir machen das." Jetzt stehen sich also zwei im Ring gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der Newcomer und der Veteran. Wie funktioniert das, will ich wissen. "Das war wirklich erstaunlich. Roland ist mir von Anfang an auf Augenhöhe begegnet", erzählt Sigl mit einer gewissen Verwunderung in der Stimme, als könnte er es selbst noch immer nicht ganz fassen.
Emmerich ist beim Drehbuchschreiben und beim Casting dabei, beim Schnitt und bei den Visual Effects, aber: "Er hat Hinweise gegeben, aber nie direkt eingegriffen. Er war wie ein weiser älterer Kumpel, der diese Reise schon zwei Dutzend mal gemacht hat, und mir wertvolle Tipps gegeben hat."
Trotzdem vergehen noch drei Jahre, bevor es von der Idee zum ersten Drehtag kommt. Am Ende steht jedoch ein einzigartiges Ensemble; mit dabei sind einige der größten Opernsängerinnen und -sänger unserer Zeit, Oscar-Preisträger wie F. Murray Abraham, der schon 1984 im Film "Amadeus" den Komponisten Antonio Salieri spielte, und junge Nachwuchsdarsteller wie Jack Wolfe, für die ihr Charakter in Sigls Zauberflöte die erste große Rolle ist.
Regisseur entdeckt Mozart schon als Kind für sich
Sigl selbst ist ein Kind der Achtziger, aufgewachsen im Zentrum von München zu einer Zeit, als Eltern ihre Kinder noch nicht so sehr kontrolliert und überwacht haben wie heute, wie er selbst sagt. "Es gab nur drei Fernsehprogramme, keine Handys. Da musste man sich eben irgendwie selbst beschäftigen", erklärt Sigl. Das gebe der eigenen Fantasie Raum zum Wachsen. Fantasie, die heute unerlässlich ist für seinen Job.
Mit knapp zehn Jahren schaut Sigl den Film "Amadeus" im Kino, von da an ist es um ihn geschehen. "Das war der erste Film, der in mir Emotionen erzeugt hat, die so vielleicht nicht eins zu eins im Bild zu sehen waren", erinnert Sigl sich. "Das war der erste Film für mich, der es geschafft hat, Musik und ihren Schaffensprozess so zu zeigen, dass auch Nicht-Musiker es verstehen. Wo man sich zumindest eingebildet hat, auch etwas zu spüren." Die Liebe zu Mozart wird also schon früh in ihm geweckt.
Zuerst kommt der Film, dann kommt die Musik
Bald darauf lernt Sigl selbst Geige zu spielen. Berufsmusiker wird er dennoch nicht, geht stattdessen in die Filmbranche. Was war zuerst da, die Liebe zum Film oder die Liebe zur Musik, frage ich ihn. "Die Liebe zum Film", meint Sigl. "Das war einfach viel näher an der eigenen Lebenswelt dran, über Gespräche mit Freunden im Alltag."
Der Zugang zu klassischer Musik sei dagegen viel schwieriger. Ist das der Grund, warum seine Adaption der Zauberflöte keine klassische Oper ist? "Natürlich hoffe ich, dass wir mit dem Film viele Menschen berühren, für die klassische Musik noch ganz neu ist", lautet seine Antwort. "Deshalb dachte ich mir auch, dass es schön wäre, die Welt der Zauberflöte gemeinsam mit jemandem zu entdecken."
Eine moderne Zauberflöte für ein junges Publikum
Sigls Hauptfigur ist der 17-jährige Tim, der als Gesangsschüler in einem renommierten Musikinternat lebt. Jede Nacht gelangt er durch ein geheimes Portal in die Parallelwelt von Mozarts Zauberflöte. Dort muss er als Prinz Tamino gemeinsam mit dem Vogelfänger Papageno gefährliche Abenteuer bestehen, um Prinzessin Pamina aus den Fängen Sarastros zu befreien.
"Durch die Ebene des Internats hat sich aber auch die Möglichkeit ergeben, die Themen, die klassischerweise in einer Oper vorkommen, in der 'echten' Welt nochmal aufzugreifen", erklärt Sigl. "Deshalb gibt es zum Beispiel eine Liebesgeschichte zwischen Tim und einer Mitschülerin, denn in den meisten Opern geht es um die Liebe." Die Zuschauerinnen und Zuschauer begleiten Tim also auf seiner Reise in beiden Welten.
Zwischen Hollywood und Oberbillig liegt nur eine stabile Internetverbindung
In verschiedenen Welten ist auch Sigl selbst unterwegs. Da ist zum einen das glitzernde Hollywood und zum anderen das verschlafene Dorf an der Mosel. Im ersten Moment erscheint das wie eine unüberbrückbare Kluft, doch die Corona-Pandemie hat Sigl in die Hände gespielt.
"Die Akzeptanz für Online-Meetings ist stark gewachsen und für die Menschen in L.A. macht es keinen Unterschied, ob ich in Berlin, London oder Oberbillig sitze", meint Sigl achselzuckend, bodenständig. "Ich hatte allerdings dauernd Angst, dass meine Internetverbindung in die Knie geht. Wichtige Anrufe habe ich deshalb über das Handy im Luxemburger Netz gemacht", erzählt er mit einem resignierten Schmunzeln.
Neue Heimat an der Mosel
Für ihn als Großstadtpflanze komme das doch sicher einem Kulturschock gleich, werfe ich in den Raum. Sigl lacht. "Nein, das hält sich in Grenzen. Ich denke, ich bin ganz gut in Oberbilllig angekommen. Ich weiß, wo welche Straßen liegen und kenne die meisten unserer Nachbarn." Sigls Ehefrau, eine Winzertochter, ist in dem kleinen Dorf an der Mosel aufgewachsen. Als ihr zweites gemeinsames Kind zur Welt kommt, beschließen sie von Hamburg nach Oberbillig zu ziehen.
Als Neuling in einer eingeschworenen Dorfgemeinschaft Fuß zu fassen, ist nicht leicht. "Viele Leute ziehen hierher, aber nicht wegen des Ortes, sondern wegen der Nähe zu Luxemburg", erklärt Sigl. Das sorge auch schon mal für Unmut. Er selbst habe es da durch seine Frau natürlich leichter gehabt. Die Art, wie Sigl die Menschen und das Leben in Oberbillig beschreibt, macht deutlich: Er ist ein guter und vor allem ein genauer Beobachter.
Sigl verbringt viel Zeit mit Schreiben: Geschichten, die zu Drehbüchern werden, Drehbücher, die zum nächsten Serienhit der großen Streaming-Anbieter werden könnten. Der Mittelpunkt der deutschen und internationalen Filmindustrie wird sich dennoch nicht nach Oberbillig verlagern, werfe ich ein. Kann ein erfolgreicher Regisseur dann überhaupt in diesem kleinen Moseldorf wohnen bleiben?
Was bringt die Zukunft - auf der Leinwand und privat?
Sigls Antwort zeigt, er bleibt da auf dem Boden der Tatsachen: "Das hängt davon ab, was die Zukunft bringt. Wir fühlen uns wohl hier. Ich werde also nicht einfach ins Ausland ziehen, weil ich denke, dass das sofort meiner Karriere hilft." Und noch ist unklar, wie gut sein Kino-Debüt bei den Zuschauern ankommt. "Ich hoffe, dass der Film bleibt. Dass sich Jugendliche und Familien diesen Film auch in fünf oder zehn Jahren noch ansehen und Musik nochmal ganz neu für sich entdecken."