Vorsichtig nimmt Francesco Roberg das kleine, in braunes Leder gebundene Buch in die Hände. Es ist das Andachtsbuch eines Mönchs aus dem 16. Jahrhundert, erklärt der Direktor der Wissenschaftlichen Bibliothek in Trier.
Hier wird das Büchlein, das nicht größer ist als eine Postkarte, mit vielen anderen Schätzen aufbewahrt. Etwa 180 Pergament-Seiten sind zwischen den alten Buchdeckeln aus Holz eingeheftet, die mit einer Metallschließe verschlossen wurden.
Andachtsbuch mit berühmten Zeilen
Das Büchlein gehörte Frater Conradus, also Bruder Konrad. Auf der letzten Seite hat der Mönch seinen Namen vermerkt. Und auch, wann er es geschrieben hat. Der Direktor der Wissenschaftlichen Bibliothek zeigt auf die Jahreszahlen. "Die Datierung geht von 1582 bis 1588. Sechs Jahre also. Das sind diejenigen Jahre, in denen er das ganze Buch geschrieben hat."
Das Buch war für den persönlichen Gebrauch des Mönchs bestimmt. Die Seiten sind eng und fein säuberlich von ihm beschrieben worden. Meist mit Gebeten. Dazwischen kunstvolle Kupferstiche mit Szenen aus der Bibel, die der Geistliche wohl selbst koloriert und eingeheftet hat, erklärt Historiker Roberg.
"Es ist ein Ros' entsprungen" umfasst mehrere Seiten
Dann schlägt Francesco Roberg eine ganzseitige Abbildung im hinteren Teil des Buches auf. Sie zeigt die Anbetung des Jesuskinds durch die Heiligen Drei Könige. "Und hier gegenüber ist nun dieses Lied eingetragen. Über mehrere Seiten. Und zu Beginn sind diese Buchstaben zu sehen. Da ist ein verziertes E und ein S. 'Es ist ein Ros' entsprungen', steht da in der ersten Zeile."
War Bruder Konrad ein Mönch aus Trier?
Roberg und seine Kollegen vermuten, dass der Mönch den Text Ende 1587 oder Anfang 1588 aufgeschrieben hat. Er ist damit die bisher nachweislich älteste Schriftquelle des Liedes.
Unklar war lange, ob Bruder Konrad, der zum Kartäuser Orden gehörte, in Trier oder in Mainz lebte. Auch hier konnte das Andachtsbuch Hinweise liefern. Am Anfang gibt es einen Kalender, in dem auffällig viele Namenstage besonders trierischer Heiliger wie Eucharius oder Maternus erwähnt oder angestrichen sind, sagt Roberg.
"Vor allem der 23. Juni ist dort in roter Tinte geschrieben. Das ist St. Alban. Und St. Alban war der Hauspatron der Trierer Kartause. Man kann also damit sagen, dass die erste schriftliche Überlieferung des Textes in Trier niedergeschrieben wurde."
Wer ist der Verfasser des Weihnachtslieds?
Ob der Mönch der Verfasser des Liedtextes ist oder ein Chronist, ist in der Wissenschaft bisher nicht eindeutig geklärt. Francesco Roberg hat eine Vermutung. "Wir dürfen davon ausgehen, dass das Lied und der Text sehr viel älter sind und in der Bevölkerung hier zirkulierte. Und Frater Conradus der erste war, der es niedergeschrieben hat."
Das Lied wurde später in der Region rund um Trier auch als "alt Catholisch Trierisches Christleinlied" bezeichnet.
Die Melodie zum Text wird erst einige Jahre später über Trier hinaus bekannt. In einem Gesangbuch, in Köln gedruckt, taucht "Es ist ein Ros' entsprungen" auf. "Das ist, gleichsam parallel zu unserer Handschrift, der erste Nachweis auch für die Melodie. Seit 1599 wissen wir frühestens, wie das Lied gesungen wurde."
SWR2 Weihnachtslieder Weihnachtslieder und ihre Geschichten
Was ist das eigentlich für eine Rose, die im beliebten Weihnachtslied "Es ist ein Ros entsprungen" besungen wird? Worum geht es in "Es kommt ein Schiff geladen"? Und wie ist noch einmal die Enstehungsgeschichte von "Stille Nacht"? SWR2 Weihnachtslieder geht in Audiobeiträgen auf viele dieser Hintergründe und Geschichten ein. Im Mittelpunkt stehen dabei Aufnahmen dieser Lieder, die 2012 im Rahmen des Liederprojektes mit dem Carus-Verlag entstanden.
Weihnachtslied heute ein Klassiker
Das war vor mehr als 400 Jahren. Von Trier aus ging das Lied um die Welt. Von seinem Zauber, seiner Faszination hat es in all der Zeit nichts verloren. Und so singen Kinder, Sänger und Chöre damals wie heute in der Weihnachtszeit "Es ist ein Ros' entsprungen …"