In einem langen, hellen Gewand kniet Jesus-Darsteller Robin Lorenz mit gesenktem Kopf auf dem Boden. Teufelin Franziska Beringhoff schleicht, ganz in schwarz gekleidet um ihn herum und schaut mit einem hämischen Grinsen auf ihn herab.
Die beiden Wintricher proben gerade eine ihrer gemeinsamen Szenen und gehen dabei voll in ihrer Rolle auf. Seit einem dreiviertel Jahr bereiten sie sich auf ihren Auftritt vor. Neben jeder Menge Text, der auswendig gelernt werden musste, waren für Robin Lorenz außerdem jegliche Scheren und Rasierer tabu. Denn alle Männer, die an den Passionsspielen teilnehmen, sollen möglichst authentisch mit langen Haaren und jeder Menge Bart auf der Bühne stehen.
Lange Haare und viel Bart
Bei Robin Lorenz hat das gut funktioniert. "Ich bin mit einem guten Bartwuchs gesegnet. Bei mir hat es nur ungefähr vier bis fünf Monate gedauert", sagt er. "Es gibt aber Darsteller, die mussten die Haare deutlich länger wachsen lassen." Die Reaktionen auf diese äußerlichen Veränderungen waren überwiegend positiv, sagt Robin Lorenz. Lediglich sein 98-jähriger Opa sei nur mäßig begeistert von dem Rauschebart. "Der fragt mich immer, wann die Passionsspiele vorbei sind und ich ihn wieder abmache."
Darsteller gehen in Rollen auf
Zu den Passionsspielen kam der 32-Jährige aus demselben Grund, wegen dem er auch an die Mosel kam. Aus Liebe. Der gebürtige Baden-Badener lernte während des Studiums in Trier Moselanerin Franziska Beringhoff kennen. Die Projektentwicklerin ist von klein auf eine passionierte Passionsspielerin. 2002 hat sie das erste Mal in der Kinderszene mitgemacht, später stand sie als Engel und zuletzt als Maria Magdalena auf der Bühne. Dieses Jahr verkörpert die 27-Jährige zusätzlich zur Maria Magdalena auch die Teufelin.
Eine Herausforderung: Schließlich muss sie in der einen Rolle den Jesus förmlich anhimmeln, während sie ihn in der anderen ordentlich runterputzt. Darin, sagt sie, geht sie so richtig auf. Genau das sorge auch oft für Gelächter, wenn man bedenkt, dass Jesus und Teufelin im echten Leben ein Paar sind.
Auf die Beziehung der beiden wirkt sich die "böse Rolle" aber nicht aus, sagt Franziska Beringhoff. "Wir haben sehr viel Spaß beim Üben zu Hause. Und es verträgt sich wunderbar. Auch wenn ich ihn ankeife auf der Bühne", sagt sie. "Ich bin in der Rolle, ich geh da total drin auf, aber das ist nie persönlich."
Die Kreuzigungsszene ist eine Herausforderung
Für die anstehende Premiere fühlen sich beide gut vorbereitet. Vor der größten und bekanntesten Szene im Stück - der Kreuzigung - hat Jesus-Darsteller Robin dennoch Respekt.
Die Kreuzigung sei schon eine Wahnsinnsszene, weil eben auch der Chor dabei sei. "Der singt und schreit und bringt diese ganze Stimmung rüber, das ergreift einen schon", sagt Robin Lorenz. "Bei der letzten Probe, als ich oben am Kreuz hing, musste ich schon mal kurz schlucken.“
Chor als elementarer Teil des Schauspiels
Der Chor ist bei den Wintricher Passionsspielen essenziell. Imposant untermalt er die einzelnen Szenen oder ist in Form des Volkes direkter Teil des Schauspiels. Der von der Orgel begleitete Gesang der rund 70 Stimmen lässt kaum vermuten, dass es sich bei den Sängerinnen und Sängern um Laien handelt. Und auch sonst ist jeder, der an den Wintricher Passionsspielen beteiligt ist, mit vollem Eifer dabei.
Seit Monaten investieren mehr als 200 Ehrenamtliche viel Zeit, damit die Geschichte rund um das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu am Ende so rübergebracht werden kann, dass sie jeden einzelnen im Publikum mitreißt. Dafür muss alles stimmen: Vom passenden Bühnenbild über die Kostüme bis hin zum perfekten Schauspiel.
Viel Arbeit bis zur Premiere
Damit zur Premiere alles passt, wird von den Darstellern viel abverlangt, sagt Spielleiter Dirk Kessler. Seit 1997 spielt er nicht nur selbst in der Rolle des Judas mit, sondern ist auch als Regisseur tätig.
Bei so vielen Beteiligten ist das nicht immer einfach. "Man muss die Leute zusammenhalten, motivieren und lenken", sagt Dirk Kessler. Vor allem müsse man sich auf die einzelnen Individuen einstellen. "Der eine kann beispielsweise Kritik sehr gut vertragen, der andere tut sich damit schwer." Dafür müsse man ein Gespür entwickeln, um keinem unnötig auf die Füße zu treten.
Viel Gefühl gefragt
Dirk Kessler, der übrigens auch Bürgermeister von Wintrich ist, reicht es nicht, wenn die einzelnen Darstellerinnen und Darsteller ihren Text gut beherrschen. Er legt auch viel Wert darauf, dass sie sich in die ihre Rolle einfühlen. Gefühle wie Freude, Traurigkeit, Empörung oder Entsetzen sollen bei den Zuschauern ankommen. Dafür sind viele Proben nötig. "Man muss mit einem gewissen Herzblut daran gehen. Man muss auch bereit sein, mit sehr viel Disziplin zu arbeiten und auch sehr viel Zeit zu investieren", sagt er.
Passionsspiele Wintrich: 23 Vorstellungen bis Mai
Am Samstag, bei der Premiere, wird sich dann zeigen, ob sich die ganze Arbeit gelohnt hat, sagt Dirk Kessler. Dann stehen zwar keine Proben mehr auf dem Plan, für die Darstellerinnen und Darsteller stehen die kommenden neun Wochenenden dann aber voll im Zeichen der Passionsspiele. Bis Anfang Mai soll es 23 Vorstellungen geben, jede von ihnen ist mit Pausen rund vier Stunden lang.
Lorenz: Spiele verbinden die Gemeinschaft
Jesus-Darsteller Robin Lorenz hat seine Entscheidung, bei den Passionsspielen mitzumachen, bislang nicht bereut. Er freut sich auf das Spektakel in den kommenden Wochen. Das Schönste, das er mit den Spielen in Wintrich verbindet, ist die Gemeinschaft, die dadurch entstanden ist, sagt er.
"Das Zusammensein, die Leute, die man kennenlernt, die Leute, die man wieder sieht und mit denen man wieder mehr Verbindung hat. Das ist eine wahnsinnig schöne Stimmung." Es sei auch diese Nachricht, die man rüberbringen könne, sagt er. "Diese 'Liebe deinen Nächsten' und 'Friede auf der Welt'. Das ist das, was man transportieren will, und das ist das, was mir am meisten Spaß macht."