Männer mit langen Bärten und in Sandalen, Frauen mit Kopftüchern, alle in bunten Gewändern, teils aus einfacher Baumwolle, teils in kunstvollem Gobelin betreten die Bühne in der Kirche St. Nikolaus in Wallersheim. Sie proben den Einzug nach Jerusalem: "Hosanna!", rufen sie vielstimmig.
Über 20 neue Darstellerinnen und Darsteller, vom Kind bis zum Rentner, sind in diesem Jahr dazu gekommen, um das Leiden Jesu aufzuführen. "Und die sind mit Leib und Seele dabei", erzählt Organisator Hans Fomin. Bei den Aufführungen ab Beginn der Fastenzeit werden 100 Menschen auf der Bühne stehen, die Hälfte davon in Sprechrollen.
Bis dahin müssen der Einzug nach Jerusalem, das Abendmahl, der Verrat durch Judas und natürlich die Kreuzigung sitzen. Nicht einfach für einen der beiden Jesus-Darsteller Stefan Hoffmann: "Es ist natürlich eine sehr überwältigende Rolle. Man geht ja auch durch viele Emotionen durch. Wenn man dann zum letzten Abendmahl oder der Ölbergszene kommt, dann muss man auch weinen."
Gemeinschaft für Darsteller im Vordergrund
Nicht nur wegen der Emotionen sind die Passionsspiele keine normale Aufführung einer Laientheatergruppe. Hoffmann geht es auch um die Gemeinschaft und die Tradition - das Stück wird seit 1987 nun zum achten Mal aufgeführt: "Ich bin damit aufgewachsen. In meiner Familie haben sehr viele Leute mitgemacht, ich habe auch schon einen Soldaten gespielt. Da hab ich mich schon immer als Teil der Gruppe gefühlt."
Auch Adriana Röhles schätzt das überwältigende Gemeinschaftsgefühl, sagt sie. Bei den vergangenen Aufführungen, zum Beispiel 2018, war sie noch Souffleuse. Jetzt steht sie direkt in der emotionalen Rolle der Maria, der Mutter Jesu, auf der Bühne: "Ich bin schon noch sehr aufgeregt, auch bei jeder Probe. Die Emotionen mit dem Text zu bündeln, damit tu ich mich noch schwer."
Emotionen auf der Bühne rüberbringen
Bei der heutigen Probe hat auch sie ihren großen Auftritt: Im Hause des Simon, des Aussätzigen, verabschiedet sich ihr Sohn Jesus von ihr, weil er weiß, dass er sterben wird. "Wie sie dich verkaufen, verspotten, geißeln und kreuzigen werden", schluchzt Röhles auf der Bühne. Regisseur Joachim Nitsch ist damit zufrieden.
Denn er verlangt seinen Darstellerinnen und Darstellern auch viel ab: "Ich habe noch niemanden erlebt, der dann völlig emotionslos sagt: 'Ich sehe meinen Sohn zum letzten Mal.' Da muss ein gewaltiger Kloß im Hals sein. Da müssen Tränen in den Augen sein." Die Textbücher verbannt er nach und nach von der Bühne: "Dann kommt der große Auftritt der Souffleusen."
Den Text hat der damalige Pastor, der 1987 auf die Idee zu den Passionsspielen kam, aus verschiedenen Spielen aus dem Umkreis zusammengeschrieben. Wer bibelfest ist, sollte einiges erkennen, sagt Röhles: "Nachdem ich zum ersten Mal Souffleuse war, hab ich mir den Film 'Die Passion Christi' angeschaut. Und da kommen viele Passagen, die wir als Text haben, eins zu eins drin vor."
Mediale Vorbilder
Überhaupt gab und gibt es im Film schon viele Darstellungen von Jesus, die als Vorbild dienen könnten: "Die Passion Christi", "Jesus Christ Superstar", "Das Leben des Brian"... "Ja, selbstverständlich habe ich mir hier und da auch mal was angeguckt", sagt Jesus-Darsteller Hoffmann.
Vor allem aber hat er sich von den Passionen der vergangenen Jahre inspirieren lassen: "Aber: Auch nicht zu sehr, weil ich dann doch irgendwie mein eigenes Verständnis vom Leiden Christi auf die Bühne bringen möchte."
Keine Ehrfurcht vor Oberammergau
Ein anderes großes Vorbild ist für die Laienspielgruppe dann doch gar nicht so groß, sagt Organisator Fomin: "Ich habe hohen Respekt vor jedem Passionsspiel in den verschiedenen Orten. Oberammergau hat da eine eigene Rolle. Ich habe mir das mal angeschaut, aber ich finde mich darin kaum wieder."
Im Gegensatz zur großen Aufführung in Oberammergau alle zehn Jahre zeichnen sich die Passionsspiele Wallersheim eher durch ihr reduziertes Bühnenbild aus, sagt der Darsteller des Nikodemus Josef Hoffmann: "Bühnenbild, Musik und sonstige Elemente werden ganz sparsam eingesetzt. Da lenkt nichts ab, die Zuschauer schauen immer nur auf die Darsteller."
Trotzdem sind die Effekte auf der Höhe der Zeit, sagt Regisseur Nitsch: "1987 hatten wir noch nachflatternde Kassettenbänder. Heute klingt unser Gewitter nach Gewitter und sieht auch so aus." Mittlerweile gebe es auch einen eigenen Vorrat an authentischen Kostümen, früher musste sich alles noch zusammengesucht werden.
Anspruchsvolle Kreuzigungsszene
Und wo in den Anfängen in der Kirche noch Stühle aus einem Kino aufgestellt wurden, das gerade renoviert wurde, gibt es heute eine richtige Tribüne, die schnell aufgebaut ist. Unter der Bühne verbirgt sich der Altar, an dem noch weiter Messen gehalten werden. Die Proben haben im September angefangen. Geprobt wird bis zur ersten Aufführung Ende Februar.
Damit eben auch die Emotionen bei allen sitzen. Schließlich ist es ein ernstes Thema, das aufgeführt wird, weiß Nitsch, der auch selbst schon den Jesus gespielt hat: "Die Jesus-Darsteller beschäftigen sich mit der Art und Weise, wie man am Kreuz stirbt. Es war mit die übelste Art und Weise, jemanden sterben zu lassen. Und wenn man da oben am Kreuz hängt, da geht einem einiges durch den Kopf."
Dann ist auch die Schauspielkunst des Jesus-Darstellers gefragt: Minutenlang darf er nur flach atmen und muss darauf vertrauen, dass seine Schauspielkollegen ihn sicher wieder vom Kreuz heruntertragen.
Trauer und Lachen
Das ist dann auch für das Publikum ein besonderes Erlebnis, sagt Nikodemus-Darsteller Hoffmann: "Wir nehmen also nachher mit mehreren den Christus vom Kreuz. Wir legen ihn dann in den Schoß der Mutter. Das macht mit dem ganzen Publikum was. Es geht dann mindestens zwei Drittel mit Tränen in den Augen raus."
Bei all der Ernsthaftigkeit, die der Stoff erfordert, haben alle aber auch viel Spaß, erzählt er: "Bei einer der ersten Aufführungen, da sagte der Jesus am Kreuz 'Mich dürstet' – und dann sagte einer der römischen Soldaten 'Mich auch.'"