Queerer Jugendtreff in Hillesheim seit diesem Jahr

Ein Safe Space für queere Jugendliche in der Vulkaneifel

Stand
Autor/in
Anna-Carina Blessmann
Anna-Carina Blessmann am Mikrofon

Seit Februar können sich queere Jugendliche aus der Vulkaneifel einmal im Monat in Hillesheim treffen und gemeinsam Spaß haben. Und es werden immer mehr.

Die Nacht legt sich über das mittelalterliche Dorf. Dann erwachen Werwölfe und Hexen und töten ihr Opfer. Dabei lachen sie, wackeln auf ihren Stühlen, kitzeln sich gegenseitig. Denn tatsächlich sind die Dorfbewohner Jugendliche, die in einer Runde sitzen und das Gesellschaftsspiel "Werwolf" spielen.

Ein Jugendtreff wie jeder andere also, der an diesem Abend im Raum des Offenen Treffs Hillesheim stattfindet. Und doch ist er etwas Besonderes: Es ist der wahrscheinlich einzige queere Jugendtreff in der Vulkaneifel. Die Idee dazu hatte die 17-jährige Mia Flohr zusammen mit der Gleichstellungsbeauftragten der Verbandsgemeinde Gerolstein.

Gemeinsam mit dem Haus der Jugend Gerolstein und der Jugendpflege Gerolsteiner Land sind sie das Projekt dann angegangen. "Ich wollte einen geschützten Raum für queere Jugendliche haben. Gerade in der Eifel gibt es so etwas nicht. Der nächste ist, glaub ich, in Trier, das ist eine Stunde weg", sagt Mia.

Die 17-jährige Mia Flohr hatte gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten der VG Gerolstein die Idee zum queeren Jugendtreff.
Die 17-jährige Mia Flohr hatte gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten der VG Gerolstein die Idee zum queeren Jugendtreff.

Nicht nur queere Themen im Jugendtreff

Seit Februar wird der Treff einmal im Monat abends für etwa vier Stunden queeren Menschen zwischen 13 und 27 Jahren aus der Region angeboten. Und das findet riesigen Anklang, sagt die hauptamtliche Jugendpflegerin Marion Michels: "Jedes Mal kommen neue Leute, das finde ich super, da geht mir das Herz auf. Läuft toll."

Anfangs habe man noch in der Presse und im Internet für den Treff geworben. Mittlerweile verbreite er sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Dabei dreht sich der Treff nicht nur um die LGBTQIA+-Community. Außer, dass Charles und Robin beim Werwolf-Spiel kurz klarstellen müssen, dass ihre Pronomen "er/sein" und nicht "sie/ihr" sind, ist das Queersein kein Gesprächsthema.

Denn Queersein ist normal, sagt die 24-jährige Laura Janzen, die vor allem wegen ihrer 16-jährigen Zwillingsschwestern Hanna und Jana herkommt: "Jeder hier ist für sich speziell, jeder hat seine Eigenarten. Das sind alles nur Teenager, die happy sind, dass sie sie selbst sein können. Mehr ist es nicht."

Das Queersein spielt meistens keine Rolle in den Gesprächen der Jugendlichen. Es ist ein Jugendtreff wie die meisten anderen, bietet aber einen sicheren Raum.
Das Queersein spielt meistens keine Rolle in den Gesprächen der Jugendlichen. Es ist ein Jugendtreff wie die meisten anderen, bietet aber einen sicheren Raum.

Vorurteile gegen Queere auf dem Land

Laura ist nicht hundertprozentig lesbisch, sagt sie. Man sehe sie öfter mit Männern, daher sei sie nicht so vielen Vorurteilen ausgesetzt. Bei ihren Schwestern sei das anders: "Gerade bei Hanna sieht man, dass sie ein bisschen anders drauf ist, dass sie bunter rumläuft, ihr Haarschnitt nicht konservativ ist. Ich glaube schon, dass es hier im Dorf extremer ist, obwohl ich das eher in der erweiterten Familie feststelle."

Das ist nicht euer Problem. Niemand nimmt euch etwas weg.

Laura Janzen ist vor allem wegen ihrer Schwestern beim queeren Jugendtreff dabei. Sie fühlt sich dort aber auch selbst pudelwohl, sagt sie.
Laura Janzen ist vor allem wegen ihrer Schwestern beim queeren Jugendtreff dabei. Sie fühlt sich dort aber auch selbst pudelwohl, sagt sie.

Ihre Eltern seien offen und würden sich freuen, solange alle glücklich sind. Lauras Großmutter, Tanten und Onkel seien hingegen sehr konservativ und würden es nicht gern sehen, wenn jemand sein Queersein in der Öffentlichkeit auslebt. "Aber die bearbeiten wir seit ein paar Jahren und sagen ihnen: Das ist nicht euer Problem, niemand nimmt euch etwas weg. Langsam kriegen wir sie dahin, dass sie das merken und es verstehen."

Hier auf dem Land erlebe sie es vor allem, dass Menschen zwar vordergründig behaupten, sie fänden es total toll, wenn jemand nicht heterosexuell ist, "hinter geschlossenen Türen und hinter der vorgehaltenen Hand heißt es dann aber: Nee, den wollen wir da und da und da nicht haben. Das gibt’s leider immer noch überall."

Engagierte ehrenamtliche Betreuer für die quirlige Gruppe

Umso wichtiger ist es für Initiatorin Mia Flohr, dass sich beim Jugendtreff junge Leute aus der Community vernetzen können und sich nicht allein fühlen: "Weil die Community hier in der Eifel auch eher ein bisschen versteckt ist. Man kann es Menschen ja eben nicht ansehen, ob sie queer sind. Und hier kann man sich mit anderen Queeren treffen. Der größte Punkt ist aber, hier Spaß zu haben."

Ehrenamtler Maxi (rechts) erklärt die Regeln des Spiels "Werwolf", das im queeren Jugendtreff gerne gespielt wird. Mit Kollege Eloy (links) hält er die Gruppe zusammen.
Ehrenamtler Maxi (rechts) erklärt die Regeln des Spiels "Werwolf", das im queeren Jugendtreff gerne gespielt wird. Mit Kollege Eloy (links) hält er die Gruppe zusammen.

Und den hat die Gruppe heute Abend. Nachdem alle die Augen geschlossen hatten und einer von ihnen in dieser Zeit "getötet" wurde, müssen sie nun beraten, wer ein Werwolf ist und folglich "gelyncht" wird. "Robin hat sich sehr viel bewegt, deshalb ist er der Werwolf." - "Das ist doch Propaganda!" - "Nee, das war schon ein starkes Argument."

Betreut beim Spiel und überhaupt beim Treff wird die Gruppe neben zwei hauptamtlichen Jugendpflegern von den beiden Ehrenamtlern Maxi Frank und Eloy Fuchs. Die sind fast noch im Alter der Jugendlichen. Diejenigen, die nicht von ihren Eltern gebracht werden, holen die Betreuer auch mit einem Bus aus den Orten ringsum zum Treff ab.

Gemeinsam mit Jugendpflegerin Marion Michels (links) kochen die Jugendlichen auch beim Treff.
Gemeinsam mit Jugendpflegerin Marion Michels (links) kochen die Jugendlichen auch beim Treff.

Und sie haben ganz schön viel zu tun, die quirlige Gruppe zusammenzuhalten, sagt Eloy: "Klar, hier und da ist das auch mal anstrengend. Die sind alle recht hyperaktiv und happy, weil sie jetzt alle zusammen sind. Für uns ist das eine Herausforderung, weil wir keine Ausbildung oder ein Studium dafür haben. Aber es macht Spaß und die sind alle super lieb."

Ein Ort zum Wohlfühlen

Und so schaffen es Maxi und Eloy auch noch, ins Spiel eine Lektion über Vorurteile einzubauen: In dieser Runde gab es nämlich gar keine Werwölfe, diverse Jugendliche wurden fälschlicherweise beschuldigt. "Wir haben euch alle getäuscht. Hier wird immer angeklagt, wer sich bewegt hat. Aber ihr bewegt euch alle, andauernd!", lacht Eloy.

Die Teilnehmenden des Jugendtreffs sind auch privat befreundet.
Die Teilnehmenden des Jugendtreffs sind auch privat befreundet.

Dass die Jugendlichen, die in der Gegend vielleicht sonst Probleme haben, sich hier wohlfühlen können und sich nicht verstecken müssen, ist ihm wichtig. Das findet auch Maxi: "Vielleicht können sie sich zu Hause nicht wohlfühlen. Wir sind für sie da, spielen zusammen, kochen was, haben Spaß. Es ist wunderschön, zu sehen, dass es wirklich bei den Jugendlichen ankommt."

Selbstbewusstsein und Stärke durch den Treff

Denn obwohl es nicht unbedingt so wirkt, ist der queere Jugendtreff doch anders als andere Jugendtreffs, findet Laura Janzen: "Hier gibt es die Zuversicht, dass es hier keine Verurteilungen gibt. Andere Treffs sind auch in Ordnung. Aber man weiß da eben nicht: Was ist, wenn ich als Frau erwähne, dass ich schon mal mit einer Frau geknutscht habe? Gibt es vielleicht doch irgendeinen Kommentar?"

Auf dem Gelände rund um den Offenen Treff Hillesheim grillen die Jugendlichen und spielen Verstecken.
Auf dem Gelände rund um den Offenen Treff Hillesheim grillen die Jugendlichen und spielen Verstecken.

Der Treff in Hillesheim gebe vor allen ihren Schwestern viel Selbstbewusstsein und stärke sie. Auch, weil man sich über seine Erfahrungen austauschen könne: "Viele Freundschaften haben sich hier gebildet, die auch außerhalb des Treffs fortgeführt werden. Die beiden kommen mit einer Top-Laune da raus. Wir wollen es nicht missen.“

Mehr Aufklärung über queere Themen in der Eifel

Auch Mia will nicht auf den Treff verzichten. Denn sie beobachtet, dass man sich in der Gesellschaft wieder rückwärts bewegt: "Es ist blöd, dass es Homophobie und Transphobie gibt. Ich kann nicht verstehen, warum man queere Menschen anfeindet. Wir sind Menschen wie die."

Deshalb wünscht sie sich auch für die Zukunft, dass sie mit dem queeren Jugendtreff auch mehr Menschen in der Eifel aufklären können. Darüber, welche Sexualitäten, welche Pronomen, welche Geschlechter es gibt: "Damit vielleicht auch Leute, die sich noch nicht sicher sind, was sie sind, aufgeklärt und gecatcht werden."

Weiter Safe Space trotz Kooperationen und Öffentlichkeit

Obwohl es also mehr Öffentlichkeit geben könnte, soll der Treff in Hillesheim weiter ein Schutzraum bleiben. Was bei den Treffs genau gemacht wird, das entscheiden die Jugendlichen weiter selbst, sagt Jugendpflegerin Michels: "Wir reagieren auf die Impulse von innen. Es kam zum Beispiel der Wunsch nach einer Dating-Modalität. Da bin ich gespannt, was draus wird."

Einmal im Monat bietet der queere Jugendtreff in Hillesheim mit Tischkicker, Gesellschaftsspielen und Küche den Jugendlichen alles, was sie für einen schönen Abend brauchen.
Einmal im Monat bietet der queere Jugendtreff in Hillesheim mit Tischkicker, Gesellschaftsspielen und Küche den Jugendlichen alles, was sie für einen schönen Abend brauchen.

In Zukunft will der Treff auch mit dem Queeren Zentrum Trier SCHMIT-Z kooperieren. Und einen Kinoabend wiederholen. Beim ersten derartigen Termin hat man sich gemeinsam mit anderen Interessierten einen Film mit queerem Thema angeschaut.

Das hat besonders Laura beeindruckt: "Der Austausch mit queeren Leuten ab 50 und drüber war unglaublich aufschlussreich. Ich bin sehr gerne danach noch sitzen geblieben und wir haben uns lange unterhalten." Und auch zu den folgenden queeren Jugendtreffs wird sie mit ihren Schwestern gerne kommen: "Ich fühle mich hier pudelwohl."

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