"Ich finde es toll, dass man so viele Sachen ausprobieren kann, die man vorher noch nie gemacht hat", sagt Finja. Sie ist eins von rund 10.000 Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 20 Jahren, die im kommenden Jahr an der Junior Uni Daun ohne Eignungstest oder Notendruck lernen können. Bei der Eröffnung konnte sie schon einmal in die Angebote reinschnuppern.
Helmut Willems, Direktor des neuen außerschulischen Lernorts, der zuletzt Professor an der Uni Luxemburg war, hofft, dass Finja und die anderen Kinder von dem neuen Angebot profitieren: "Wir würden keine Bildungsarbeit machen, wenn wir nicht die Hoffnung und den Glauben hätten, dass wir damit tatsächlich etwas verbessern können."
Denn angesichts der schlechten PISA-Ergebnisse in Deutschland und der großen Lernlücken durch geschlossene Schulen in der Coronapandemie kann es offenbar nicht genug zusätzliche Bildungsangebote geben. Deshalb bietet die Junior Uni ab Januar Kurse in vier Fachbereichen an: In "Naturwissenschaften", "Mathematik, Informatik und Technik", "Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften" und "Gesundheits-, Ernährungs- und Bewegungswissenschaften".
Fachbereiche auch für politische Bildung
Dass die MINT-Fächer in den Fokus genommen werden, sei nachvollziehbar: "Es gibt einen Fachkräftemangel und daher einen großen Bedarf an MINT-Qualifikationen." Als Willems und sein Team das Konzept für ihre freie Bildungseinrichtung erarbeitet haben, sei aber klar geworden, dass noch mehr angeboten werden muss: "Nämlich Wissen über die Gesellschaft, Wirtschaft, den Rechtsstaat und die Demokratie. Ich glaube, ich muss nicht weiter erläutern, dass das aus naheliegenden Gründen absolut notwendig ist."
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Zudem sollen die Kinder und Jugendlichen sich im vierten Fachbereich mit ihren Entwicklungsprozessen und dem Zusammenhang von Ernährung, Gesundheit, Bewegung und Lernen auseinandersetzen können. So ist auch für alle etwas dabei, findet zum Beispiel Emma: "Mathe ist mein Hassfach, darauf freue ich mich jetzt nicht so. Aber Naturwissenschaft oder etwas mit Tieren fände ich schon cool."
Freie und kostenlose Bildung für Alle
Der Clou des Ganzen: "Das Hauptziel ist freie und kostenlose Bildung für alle Kinder und Jugendlichen", sagt Willems. Deshalb werde es weder Anmelde-, noch Teilnahme- noch Lernmittelkosten geben. Die Junior Uni soll sogar zumindest einen Teil der Fahrtkosten für die Kinder und Jugendlichen aus der Eifel ringsum übernehmen: "An der Stelle tun wir alles, was uns möglich ist, um nichts an Zusatzkosten auf den Familien abzuladen."
Zudem gibt es keine Aufnahmetests, Noten oder Zeugnisse, sagt Willems: "Wir sind eine Schule für alle. Man muss auch nicht vom Gymnasium kommen, man kann von allen Schulen kommen. Alle, die möchten und Interesse haben, mit uns zu lernen, zu spielen, zu forschen, sind willkommen." Wenn es mehr Bewerbungen als Plätze für die Kurse in Kleingruppen gibt, würde ausgelost. Wer nicht zum Zug kommt, sei beim nächsten Kurs dabei.
Vielfältiges Kursangebot für Kinder
Die Kurse sind dabei unterschiedlich aufgebaut: Für die sogenannten "institutionellen" Kurse gibt es Kooperationen mit 15 Schulen. Einmal in der Woche kommen einzelne Klassen dann für anderthalb Stunden in der Junior Uni vorbei, über den Zeitraum eines halben Schuljahrs, so Willems. Solche Kooperationen gebe es auch mit Kindergärten oder Jugendhäusern.
Am Nachmittag sollen dann "freie Kurse" angeboten werden, für die sich jedes Kind über die Homepage bewerben kann. Es werde zum Beispiel auch kurze Kurse über ein bis zwei Tage geben, Blockveranstaltungen am Wochenende oder Abendkurse.
Das sie eben nicht in der Schule, sondern an der Junior Uni lernt, findet Jule besonders gut, sagt sie bei der Eröffnung: "Hier kann man Dinge ausprobieren, in der Schule gibt es mehr Regeln. Ich will damit nicht sagen, dass es hier gar keine Regeln gibt, aber in der Schule wird alles ein bisschen strenger beobachtet."
Angebot für bildungsferne Schichten
Aber wie will die Junior Uni dafür sorgen, dass nicht nur Kinder und Jugendliche aus ohnehin bildungsnahen Familien den Lernort besuchen? Wie will sie auch Kinder aus bildungsfernen Schichten erreichen und solche, die die deutsche Sprache noch nicht gut verstehen? "Wir machen seit einem Jahr nichts anderes als dass wir versuchen, an die Eltern und die Schulen ranzukommen", beantwortet Willems das.
So habe es öffentliche Infoveranstaltungen gegeben und Inserate in lokalen Zeitungen und Amtsblättern. Das Team der Junior Uni sei auch von Ort zu Ort gezogen, um sich in Ortsräten und bei Bürgermeistern vorzustellen.
"Wir wissen, dass etwa der Einfluss der Eltern eine Rolle spielt. Nun haben wir das kaum in der Hand. Aber wir werden trotzdem versuchen, die Eltern ein wenig davon zu überzeugen, wie wichtig zusätzliche Bildung für ihre Kinder sein kann." Das wollen Willems und sein Team erreichen, indem sie Eltern, die ihre Kinder vorbeibringen, in der Junior Uni einen Ort bieten, an dem diese auch mit dem Computer arbeiten können.
Auch die Sprachbarriere mancher Kinder soll überwunden werden: "Das ist für uns ein großes Thema. Wir fühlen uns sehr verpflichtet, dass wir diese Kinder und Jugendlichen nicht vergessen." Es soll Angebote in verschiedenen Sprachen geben und Kurse, die den Sprachunterricht an den Schulen vertiefen. Außerdem gebe es zurzeit Gespräche, eine KI-gesteuerte Lese-App anzuschaffen.
Fachpersonal aus Bildungseinrichtungen und der freien Wirtschaft
Die Lehrenden an der Junior Uni sind vom Fach, sagt Willems. Man habe Kooperationsverträge mit den Universitäten und Hochschulen in Trier und Koblenz geschlossen. So können deren Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter auch an der Junior Uni lehren.
Man habe auch gezielt Fachleute aus der freien Wirtschaft gesucht. Und es gibt weitere Kooperationen, zum Beispiel mit dem Observatorium am Hohen List, dem Forstamt Daun oder dem Natur- und Geopark Vulkaneifel: "Weil wir im Bereich der Umweltbildung eine große Schnittmenge sehen und die gleiche Zielgruppe haben. Das ist wirklich eine Win-Win-Situation."
Dass die Lehrenden auch qualifiziert sind, Kinder zu unterrichten, wird demnach darüber sichergestellt, dass sie entsprechende Abschlüsse vorlegen müssen. Außerdem biete die Junior Uni ihren Dozentinnen und Dozenten regelmäßig und systematisch die Möglichkeit zur Fortbildung.
Bezahlt werden die Lehrenden über Honorarverträge. Nur ein Kernteam von zehn Leuten ist festangestellt. Die einzige Finanzquelle der Junior Uni ist die Dauner Lepper-Stiftung, berichtet Willems. Einfluss auf die Lehre nehme die Stiftung nicht: "Die gesamte Konzeptentwicklung der Junior Uni und das operative Geschäft werden ganz autonom von mir und meinem Team durchgeführt. Bisher hat die Lepper-Stiftung eigentlich jeden Vorschlag, den wir gemacht haben, mitgetragen."
2024 wird Erfolg der Junior Uni Daun zeigen
In Daun ist jetzt also zumindest ein Anfang gemacht, dass Kinder mit weniger Hürden Bildung erlangen können. Wie viele Kinder und Jugendliche das wirklich nutzen werden, kann Direktor Willems noch nicht ganz voraussehen: "Das nächste Jahr wird unsere Probe aufs Exempel. Wenn wir alle Räume besetzt haben, können wir gleichzeitig bis zu 250 Kinder in unserem Gebäude haben. Über den Tag verteilt können bis zu 1.000 Kinder in der Uni sein. Es verspricht, ein sehr turbulentes Jahr für uns zu werden."
Mit den Kursräumen, voll ausgestatteten Laboren und einem großen Hörsaal auf acht Stockwerken sowie "Top-Fachleuten" sieht Willems in der Junior Uni Daun eine große Chance. Ob diese Uni es wirklich schafft, auch bildungsferne Schichten anzusprechen, wird sich zeigen, wenn im Januar die ersten Kurse starten.