Mareike wollte nie Kinder. Als sie mit Anfang 20 schwanger wird, entscheidet sie sich für eine Abtreibung - und erlebt, wie tabuisiert das Thema in Deutschland noch immer ist.
Vorwürfe von Abtreibungsgegnern und -gegnerinnen, Anfeindungen in sozialen Netzwerken: Schwangerschaftsabbrüche sind noch immer ein Tabu-Thema. SWR Aktuell hat vor einem halben Jahr mit Mareike aus Rheinland-Pfalz darüber offen gesprochen. Mareike will anderen Frauen Mut machen - auch weil sie sich damals damit allein gelassen gefühlt hat.
Feindseligkeit und Vorwürfe - wie fehlende Verhütung - habe sie zum Beispiel von Anhängern der Pro-Life-Bewegung erlebt. "Ich habe damals die Pille genommen", sagt Mareike. Und natürlich sei die Abtreibung keine leichte Entscheidung gewesen, wie sie es oft zu hören bekommt.
Wenige Praxen bieten Abtreibungen an
Die Schwierigkeiten beginnen aber natürlich nicht erst nach dem eigentlichen Eingriff. Schon eine Ärztin zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, ist problematisch in Rheinland-Pfalz. In Deutschland gibt es immer weniger Praxen und Kliniken, die Abtreibungen machen.
Während der Frauenbewegung in den 1970er Jahren etwa hätten sich Ärzte dazu entschlossen, sie anzubieten, sagt Gisela Hilgefort, Geschäftsführerin bei pro familia in Mainz. Doch die seien inzwischen in Rente oder stehen kurz davor. Die Anzahl der Praxen sei immer niedrig gewesen und habe sich in den letzten Jahren nochmal halbiert. Waren es 2003 noch mehr als 2.000, sind es inzwischen nur noch rund 1.000.
Schwangerschaftsabbruch Abtreibung – was muss ich wissen?
Der Paragraf 219a - das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche - ist schon lange umstritten. Jetzt hat das Kabinett seine Abschaffung auf den Weg gebracht. Abtreibungen bleiben in Deutschland aber grundsätzlich eine Straftat. Unter welchen Bedingungen sind sie also erlaubt? Welche Methoden gibt es? SWR Wissen hat recherchiert.
Wer sich etwa im Raum Trier für einen operativen Schwangerschaftsabbruch entscheide, müsse durchaus 100 Kilometer fahren. "Im Saarland ist die nächste Adresse", sagt Claudia Heltemes von der pro familia Beratungsstelle Trier.
Abtreibungen sind im Grunde illegal
Dass so wenige Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche anbieten, liegt wohl auch daran, dass sie im Grunde genommen grundsätzlich rechtswidrig sind. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und nach einer verpflichtenden Beratung sind Abtreibungen illegal, aber straffrei. Bei medizinischen Problemen ist ein Abbruch zum Wohle der Mutter auch darüber hinaus straffrei möglich.
Bis vor kurzem war es zudem sogar illegal, sachlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, durch den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches. Dieser wurde 2022 jedoch abgeschafft. Hinzu kommen Anfeindungen und Proteste von Abtreibungsgegnern, mit denen Ärzte und Ärztinnen sich auseinandersetzen müssen.
Auch problematisch: obligatorische Beratung
Problematisch sehen Beratungsstellen und Betroffene wie Mareike auch die obligatorische Schwangerschaftskonfliktberatung. Wer eine Abtreibung will, muss sich beraten lassen. Mareike habe dieses Gespräch wütend gemacht – und unnötig sei es obendrein gewesen: "Ich hatte das Gefühl, dass mir die Fähigkeit, meine Entscheidung zu treffen, abgesprochen wurde."
All das, in Summe, macht es für Frauen schwierig, eine Schwangerschaft abzubrechen. Es sei aber nicht so, dass Frauen nicht mehr abtreiben würden, wenn es das Angebot nicht gibt, sagt Mareike: "Im schlimmsten Fall treiben die Frauen auf anderen Wegen ab, die unsicherer sind."
Zahl der Abtreibungen in Deutschland steigt
Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im ersten und zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Im zweiten Quartal dieses Jahres wurden rund 26.700 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gemeldet - ein Plus von 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. In Rheinland-Pfalz wurden 2022 so viele Abtreibungen vorgenommen wie zuletzt 2018.
Von den steigenden Zahlen haben auch die Beratungsstellen von pro familia gehört. Über die Gründe dafür können aber auch sie nur Vermutungen anstellen. Die wirtschaftliche Lage sei schwierig: Inflation, gestiegene Kosten, proportional nicht gestiegene Einkünfte. Auch bei Mareike spielte das eine Rolle – neben ihrem Nicht-Kinder-Wunsch: "Ich war kurz vor dem Ende meiner Ausbildung und hatte noch keinen Job danach. Ich war mit meinem Freund noch nicht lange zusammen und finanziell nicht gut aufgestellt."
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