Am Sonntag beginnt mit der Partie des Gastgebers Katar gegen Ecuador (Anpfiff: 17 Uhr) die 22. Fußball-Weltmeisterschaft. Viele Fans haben im Vorfeld bereits angekündigt, sich die Spiele diesmal nicht anzuschauen. Hintergrund ist die problematische Menschenrechtssituation in Katar. Es geht unter anderem um die Ausbeutung von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern, die Kriminalisierung von Homosexualität und fehlende Gleichberechtigung. Die Kritik am Wüstenstaat reißt nicht ab.
SWR Aktuell: Michael Ebling, wie werden Sie es halten? WM-Spiele schauen oder boykottieren?
Michael Ebling: (lacht) Also der deutschen Nationalmannschaft die Daumen zu drücken, das kann kein Fehler sein. Das werde ich natürlich auch tun und hoffe natürlich dabei auch auf sportliche Erfolge. Aber Sie haben vollkommen Recht: So wenig vor den Fernseher gezogen habe ich mich bei einer Weltmeisterschaft noch nie gefühlt. Alles, was wir aus Katar hören, wenn ich mich an Recherchearbeiten Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den letzten Tagen erinnere - Haltungen zu der Rolle der Frauen und der Gleichberechtigung, Haltungen zu Selbstverständlichkeiten wie einer diversen Gesellschaft oder sexueller Orientierung - wenn man das kontrastiert mit Äußerungen von Funktionären aus Katar: Nein, da will man irgendwie nicht so richtig dabei sein.
SWR Aktuell: Nun ist es ja nicht das erste Mal, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in einem Land stattfindet, in dem Menschenrechte missachtet werden. Vor vier Jahren gab es die WM in Russland, 1978 schon in der damaligen Militärdiktatur Argentinien. Es gab auch damals eine gewisse Empörung, aber nicht in dem Ausmaß, wie jetzt über Katar. Zurecht?
Ebling: Also: Augen auf bei der Entscheidung. Wir sitzen jetzt vor einer WM in Katar und fragen uns alle, wie das passieren konnte. Es haben Menschen offensichtlich dafür gestimmt und das heißt, jetzt mal wirklich für die Zukunft, es braucht eine klare Werteorientierung, so wie wir im Sport auch Werte kennen, um am Ende Großereignisse wieder zu dem zu machen, was sie sein sollen: unbeschwerte Großereignisse. Katar ist nicht mehr unbeschwert. Die Vorgeschichten bei der Misshandlung von Menschen im Zusammenhang mit Baumaßnahmen. Die Vorstellung, dass dort in Zeiten der Klimakrise etwas passiert, was wider die Naturgesetze unseres Planeten ist. Das alles zusammen hätte man sich vor ein paar Jahren wirklich mal durch den Kopf gehen lassen und dann anders entscheiden müssen.
SWR Aktuell: Jetzt ist es ja schon zwölf Jahre her, dass die FIFA die WM nach Katar vergeben hat. Hat sich in diesen zwölf Jahren nicht auch vieles gebessert in diesem Land?
Ebling: Das fällt mir schwer, so zu beurteilen. Richtig ist schon, dass wir Maßstäbe anlegen müssen, die auch für andere Länder realistisch bleiben. Es ist auch nicht zu leugnen: Gerade Sport ist immer ein guter Brückenbauer zwischen Nationen und zwischen unterschiedlichen kulturellen Dingen. Da kann Sport eine wichtige Funktion erfüllen, nämlich zu einer positiven Öffnung beitragen. Ich glaube, das war auch eine Philosophie aus den vergangenen Jahren - Sie haben vorhin Russland erwähnt - zu sagen: Naja, vielleicht ist es gar nicht so falsch, dass man dort mit Großveranstaltungen Weltöffentlichkeit schafft, um auch Dinge zum Besseren anzustoßen. Aber ich würde mal sagen, dass die Aufgabe in Katar ziemlich in die Hose gegangen ist. Deswegen verstehe ich gut, wenn viele sagen, dass sie nur mit einem halben Auge hinschauen oder mit einem halben Ohr zuhören.
Fußball-WM in Katar Tote auf Baustellen, Homophobie und Kommerz: Rufe nach WM-Boykott verstummen nicht
Die Fußball-WM in Katar sorgt für reihenweise negative Schlagzeilen: ein WM-Botschafter, der Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnet, zahlreiche tote Arbeiter*innen auf Stadionbaustellen und dubiose Umstände der WM-Vergabe. Aufrufe zum Boykott bleiben da nicht aus.
SWR Aktuell: Die FIFA erlaubt es ja nicht, dass die Mannschaften dort politische Werbung machen. Zum Beispiel Menschenrechtssymbolik auf den Trikots oder Regenbogenbinden tragen für Diversität. Was sollen die Mannschaften machen? Einfach nur Fußball spielen?
Ebling: Also ich habe schon den Eindruck und ich finde das in dem Sinne auch einen echten Fortschritt, als Beobachter und als Fußballfan unserer Nationalmannschaft, dass die Mannschaft auch Haltung hat. Dass sie sich in diesen Fragen nicht dumm stellt, sondern sich auch einmischt. Insofern würde ich der Nationalmannschaft jetzt am wenigsten einen Vorwurf machen wollen, denn sie sind letztendlich weder für die Entscheidung verantwortlich, sondern machen jetzt, was sie hoffentlich wieder unter Beweis stellen können, nämlich guten Fußball spielen.
SWR Aktuell: Zum Schluss noch eine Frage zu den Folgen dieser Weltmeisterschaft für Rheinland-Pfalz. Katar hat vor einiger Zeit eine Million Euro an eine Stiftung überwiesen, mit der unter anderem in Hönningen im Ahrtal ein Fußballplatz gebaut wurde. War es in Ordnung, dieses Geld aus Katar anzunehmen?
Ebling: Das müssen Sie diejenigen fragen, die es vor Ort tun und es sicherlich wohlmeinend getan haben, um dem örtlichen Sport zu helfen. Aber das war keine Leitung über das Land Rheinland-Pfalz, sondern direkt innerhalb des Sportfachverbandes eine Aktion, die sich dort realisiert.
SWR Aktuell: Herr Ebling, vielen Dank für dieses Gespräch.