Die große Frage nach dem Warum - warum er mit 130 Stundenkilometern durch die Wiesbadener Innenstadt gefahren war - konnte der 24-jährige Angeklagte nicht beantworten. Die Richterin fragte, ob es einen Grund für die Beschleunigung gab. "Leider kein Grund", antwortete er. In diesem Moment war lautes Weinen im Wiesbadener Gerichtssaal zu hören. Im Publikum saßen viele Angehörige des Unfallopfers, unter anderem seine Frau und Mutter seines mittlerweile neun Monate alten Babys.
Eine weitere Aussage des Angeklagten rief viel Unmut im Publikum hervor: "Die technischen Möglichkeiten hätten erlaubt, dass ich noch viel schneller fahre", sagte er der Richterin. Die emotionale Reaktion darauf war so stark, dass die Richterin den Zuschauern mit einem Saalverweis drohte. Der Angeklagte zeigte darauf keine besondere Reaktion.
Nicht mit anderen Autos gerechnet - über Rot gefahren
Weiter befragte die Richterin den 24-jährigen Angeklagten zum Unfallhergang. Er habe nicht gesehen, dass Linksabbieger in die Wittelsbacher Allee, die Unfallstraße, einbiegen könnten, sagte er der Richterin. Denn dort habe sich eine Grünanlage befunden. Da er nicht mit anderen Autos gerechnet habe, habe er sich an der Kreuzung entschieden, über Rot zu fahren.
Liebte der Angeklagte die Geschwindigkeit? Diese Frage konnte die Richterin am Freitag nicht abschließend klären. Sie zeigte im Gerichtssaal Fotos von Auto-Tachos, die der Angeklagte auf seinen Social-Media-Kanälen hochgeladen haben soll. Der Tacho zeigt einmal 199 km/h, auf weiteren Fotos war die Nadel kurz vor dem Anschlag. Trotzdem sagte der Angeklagte nicht aus, dass er gerne schnell Auto fährt.
Emotionaler Prozessauftakt am Montag
Der Prozess vor dem Wiesbadener Landgericht hatte am Montag begonnen - unter großem Medieninteresse. Nachdem die Anklage verlesen worden war, entschuldigte sich der Angeklagte bei der Familie des Opfers.
"Es war nie meine Absicht, jemanden zu verletzen. Ich bereue es bis heute. Meine Gedanken drehen sich darum. Mein herzliches Beileid." Auch am ersten Prozesstag gab es im Zuschauerraum viele Emotionen.
Unfall ereignete sich im Oktober 2022
Der 24-jährige Angeklagte war laut Staatsanwaltschaft im vergangenen Oktober viel zu schnell durch die Wiesbadener Innenstadt gerast. Bei Tempo 130 soll er zudem zwei rote Ampeln missachtet haben. Dabei soll er mit einem Familienvater zusammengestoßen sein, der gerade mit seinem Auto abbiegen wollte. Der Mann verstarb einen Tag später aufgrund seiner Verletzungen.
Der mutmaßliche Unfallverursacher und seine vier Beifahrer wurden bei dem Crash schwer verletzt - darunter auch ein siebenjähriger Junge.
Angeklagter Raser hat Erinnerungslücken
Unmittelbar nach dem Unfall hatte der Angeklagte laut Gericht der Polizei gesagt, dass nicht er, sondern das Unfallopfer zu schnell gefahren sei. Daran, so der 24-Jährige, könne er sich nicht mehr erinnern. Überhaupt erinnerte er sich bei vielen Fragen der Richterin nicht genau. Dass der siebenjährige Junge, der mit im Auto saß, einen Kindersitz benötigt hätte, wusste er nach eigener Aussage auch nicht.
Ein Busfahrer, der zum Unfallzeitpunkt an der roten Ampel stand, äußerte sich als Zeuge. Das Auto des Angeklagten sei durch die Kreuzung durchgeschossen. Es sei wie eine Waffe gewesen.
Bedingter Tötungsvorsatz muss nachgewiesen werden
Um den Angeklagten wegen Mordes verurteilen zu können, muss ihm ein bedingter Tötungsvorsatz nachgewiesen werden. Das heißt, es muss geklärt werden, ob er als Fahrer des Wagens billigend in Kauf genommen hat, dass jemand getötet wird.
Raserunfall wurde nachgestellt
Im Zuge der Ermittlungen war der Unfall Anfang des Jahres aufwändig rekonstruiert worden. Die tödliche Fahrt wurde mit baugleichen Autos und bei ähnlichen Lichtverhältnissen wie zum Unfallzeitpunkt nachgestellt. Die Auswertung der Rekonstruktion ergab laut Staatsanwaltschaft, dass der Verdächtige mehrere und nicht nur eine rote Ampel ignoriert hatte, wovon die Ermittler zunächst ausgegangen waren.
Der 24-jährige Angeklagte sitzt seit dem Unfall in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist er auch noch unter anderem wegen Straßenverkehrsgefährdung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Noch während er im Rettungswagen behandelt wurde, soll er aggressiv gegen die Polizeibeamten geschlagen haben und sich geweigert haben, sein Handy herauszugeben.
Gericht hat mehrere Verhandlungstage angesetzt
Für den Prozess sind wegen der vielen Zeugen mehr als zehn Verhandlungstage angesetzt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist der letzte Prozesstermin zunächst für Ende September vorgesehen.