Der Mehrzweckraum des Gymnasiums Mainz-Oberstadt ist abgedunkelt. Dafür sind Scheinwerfer auf die Kandidaten und Kandidatinnen gerichtet. Auf sie schauen etwa 50 Neuntklässler. Christian Viering sitzt etwas nach vorne gebeugt auf der Bühne, in Jeans, Jackett und weißen Turnschuhen. "Meine Frau sagt immer, wenn sie bei Podiumsdiskussionen dabei ist: 'Christian, sitz' gerade!'", erzählt er hinterher und lacht.
Er ist kein Darsteller auf der Bühne. Dafür wirkt er nahbar, sehr gut informiert und er weiß, was er will. Christian Viering hört seinen Konkurrenten konzentriert zu, während sie Fragen zu Klimaschutz, Bus und Bahn oder Digitalisierung beantworten. Zwei Minuten Redezeit haben die Schüler ihnen gegeben. Die meisten reden länger.
Kostenloses Internet und mehr Mitsprache für Jugendliche
Vierings Antworten sind kurz. "Da haben die Schüler doch keinen Bock drauf, dass da ein Politiker sitzt und eine halbe Stunde irgendwas erzählt", sagt er hinterher. Der 38-Jährige versucht, die Schülerinnen und Schüler direkt anzusprechen. Als Oberbürgermeister möchte er dafür sorgen, dass sie auch zuhause freies WLAN haben. In der ganzen Stadt solle es kostenloses Internet geben, das sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Punkten muss er damit bei den Schülern nicht, sie sind noch gar nicht wahlberechtigt. "Aber sie sind ziemlich relevant für die Zukunft", sagt Christian Viering, "das ist ja auch ihre Stadt."
Barrierefreiheit und Bildung: Unterschiedliche Sichtweisen sind wichtig
Ein Junge meldet sich. Fynn Seyfert ist 15. Er hat eine Muskelkrankheit in den Beinen und kann schlecht laufen. Wie soll denn die Barrierefreiheit in Mainz verbessert werden, will er wissen, in volle Busse komme er oft gar nicht rein. "Eine wichtige Frage", sagt Christian Viering und antwortet mit verschiedenen Ideen, wie man die Stadt barrierefreier gestalten könnte. Und noch etwas anderes kommt ihm bei dieser Begegnung in den Sinn: "Bei Fynn habe ich gleich daran gedacht, das wäre eine unheimlich wertvolle Perspektive für den Behindertenbeirat", sagt Christian Viering, so eine junge Stimme fehle da noch.
"Es ist wichtig, in der Politik auch Menschen zu haben, die eine andere Sichtweise einbringen können", erzählt er im Anschluss an die Veranstaltung bei einem Spaziergang. Und damit meint er auch seine eigene Lebensgeschichte. Christian Viering hat nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Chemiefacharbeiter bei Boehringer Ingelheim gemacht. Kein Abitur, kein Studium. Und dann Oberbürgermeister?
Es kommt auf die Fähigkeiten an, nicht auf ein Studium
"Ich habe lange Schicht gearbeitet und bin jetzt Betriebsratsmitglied", sagt der Grünen-Politiker. Er habe dadurch immer auch die Sichtweisen von Beschäftigten in Industrie und Handwerk einbringen können. Und das sei wichtig, denn die kämen so gut wie gar nicht mehr in der täglichen Debatte vor. "Das ist ja das, was Politik auch leisten muss, die Gesellschaft in ihrer Breite abzubilden." In seiner Stimme klingt die Leidenschaft für das Thema mit. "Das bin halt ich", sagt er. Und dazu stehe er auch.
Außerdem komme es auf die Fähigkeiten an - nicht nur auf die Ausbildung, wie sie auf dem Papier steht. Und Viering bringt einiges mit: Zehn Jahre saß er für die Grünen im Mainzer Stadtrat, acht Jahre war er im Ortsbeirat von Mainz-Weisenau, zuletzt war er Kreisvorsitzender bei den Mainzer Grünen. Daneben ist er in der Gewerkschaft aktiv und Vorsitzender des Fanprojekts von Mainz 05. Für die Fans sitzt er sogar im Aufsichtsrat des Fußballvereins.
Handwerk stärken: Besuch bei einem Raumausstatter
Christian Viering schaut aus dem Straßenbahnfenster zum Fußballstadion von Mainz 05. Jetzt geht es mit der Linie 53 Richtung Lerchenberg zu einem Mainzer Familienunternehmen, Raumausstattung Ernst Möllers.
Stephan Möllers hat den Betrieb von seinem Vater übernommen, er bildet viele Menschen aus. Gute Bewerbungen bekomme er selten. "Viele wollen Abitur machen, weil die Hürde dafür nach unten gegangen ist", sagt er. "Das Handwerk hat keinen guten Ruf mehr". Christian Viering hört auch hier genau zu, lässt sich den Betrieb zeigen. Ein Mitarbeiter bezieht gerade ein Sofa neu.
Christian Viering will mehr Kitaplätze schaffen
Viering kann Möllers' Ansichten nachvollziehen. Aber könne er da als Oberbürgermeister überhaupt etwas verändern, will der Raumausstatter wissen. "Bei dem Thema Bildung sagt man als Stadt relativ schnell: Damit haben wir nichts zu tun", so Viering. "Das stimmt aber nicht."
Denn es gehe schon bei den Kleinsten los: Christian Viering will sich für mehr Kitaplätze einsetzen. Er wisse aus Untersuchungen, je länger die Kinder in der Kita waren - gerade aus von Armut betroffenen Familien - desto höher sind die Bildungschancen. Und die Schulsozialarbeit an Real- und Berufsschulen müsse ausgebaut werden.
Endspurt im Wahlkampf: Wird Viering der erste grüne Oberbürgermeister?
Zum Schluss fragt Raumausstatter Stephan Möllers noch: "Oberbürgermeister werden, war das Ihr eigener Wunsch oder wurden Sie ein bisschen geschubst?" Da muss Viering lachen. "Ich habe da voll Bock drauf, sonst hätte ich es nicht gemacht."