Zum Prozessauftakt gelten verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Der Angeklagte ist an Füßen und Händen gefesselt, rechts und links von ihm stehen zwei Justizbeamte in Vollschutzkleidung und Helm, hinter ihm sitzen weitere vier. Im Gegensatz zu anderen Prozessen werden dem Angeklagten weder die Hand-, noch die Fußfesseln abgenommen.
Er ist so in seiner Bewegung eingeschränkt, dass ihm ein Beamter einen Tetrapak an den Mund halten muss, als der Angeklagte etwas trinken will. Der Anwalt und der Dolmetscher sitzen in sicherer Entfernung von ihm. Der Angeklagte macht einen unterschwellig aggressiven Eindruck, wirkt angespannt.
Angeklagter: "Ich bin nicht böse"
Der 23-Jährige spricht an diesem Freitagmorgen immer wieder auf Arabisch. Unterbrochen von deutschen Worten: "Ich bin nicht böse." Dem Gericht sagt er, dass er ja aussagen wolle. Doch den vom Gericht gestellten Anwalt akzeptiere er nicht. Der habe ihm vier Jahre Gefängnis gebracht. Die Richterin widerspricht: Das sei ein anderer Anwalt gewesen, nicht der aktuelle Pflichtverteidiger.
Der Angeklagte fordert dennoch seinen Bruder und einen Anwalt aus Dänemark. Die würden ihn sicher freibekommen. Allerdings hatte er laut Gericht erst eine Woche vor Prozessbeginn diesen Wunsch zum ersten Mal geäußert. Während der Verhandlung bringt ein Gerichtsmitarbeiter dann eine E-Mail der JVA Diez, wo der Angeklagte untergebracht ist. Dort hatte man es offenbar geschafft, Telefonnummern von Anwalt und Bruder herauszufinden.
Die Richterin ordnet daraufhin eine erste Unterbrechung an, um den Kontakt zu den beiden herzustellen. Ob der Angeklagte einen weiteren Anwalt bekommt, ist noch offen.
Angeklagter soll Justizbeamtem Scherbe in den Hals gerammt haben
Der 23-jährige Mann wollte nach Angaben des Frankenthaler Landgerichts im September 2023 aus seiner Haft in der JVA Frankenthal fliehen. Dazu nutzte er laut Anklage eine etwa zehn Zentimeter lange, scharfkantige Scherbe eines Tellers. Wie im Prozess deutlich wurde, hatte er einen seiner Essteller in der Zelle zerbrochen. Etliche weitere Scherben hatten Kriminalbeamte nach der Tat im Mülleimer in seiner Zelle gefunden.
Der Mann habe zwei Justizvollzugsbeamte unter dem Vorwand, dass die Spülung seiner Toilette nicht funktioniere, in seine Zelle gelockt. Einem von ihnen rammte er die Scherbe in den Hals. Nur durch Zufall sei der Stich nicht lebensbedrohlich gewesen, so die Staatsanwaltschaft.
Ermittlungen: Psychiatrisches Gutachten liegt vor Nach Angriff auf JVA-Mitarbeiter in Frankenthal: Häftling voll schuldfähig
Im September hatte ein Häftling in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal einen Vollzugsbeamten niedergestochen. Jetzt gibt es neue Infos zu den Hintergründen.
Staatsanwaltschaft wertet Tat als versuchten Mord
Sie sieht den Angriff als versuchten Mord. Da der JVA-Beamte in dem Moment keinen Angriff befürchtet habe und der Angeklagte dessen "Arg- und Wehrlosigkeit" ausgenutzt habe, sei das Mordmerkmal der "Heimtücke" erfüllt. Nach dem Stich in den Hals sei es in der Zelle zu einem Handgemenge gekommen. Dabei habe der angeklagte Häftling den Hauptschlüssel, den die Beamten bei sich hatten, rauben können.
Häftling verletzt weiteren Beamten
Im Prozessverlauf wird deutlich, dass der Gefangene recht weit kam und auch viel Zeit verstrich, bevor er überwältigt wurde. So soll er mit dem entwendeten Schlüssel die Türen von mehreren Haftzellen aufgeschlossen haben. Der Insasse einer dieser Zellen sagte vor Gericht aus, die Tür sei aufgesperrt worden, der Angeklagte habe kurz hineingeguckt und habe dann wieder abgesperrt.
Ob er jemanden suchte, wurde nicht ersichtlich. Schließlich schilderte der Zeuge, dass er von seinem Zellenfenster aus beobachtet habe, dass der Angeklagte es bis in den Gefängnishof geschafft hatte. Dort habe er eine Jacke auf den Stacheldraht oben auf einer Mauer geworfen und habe mehrfach versucht, an der Mauer hochzuklettern - ohne Erfolg. Schließlich sei der Angeklagte ins Gebäude zurück.
Festnahme "wie bei einem Rugbyspiel"
Auch die Gefangennahme des Mannes muss tumultartig verlaufen sein. Zwischenzeitlich war Alarm ausgelöst worden und fünf Polizisten waren zur JVA Frankenthal gekommen. Einer von ihnen sagte vor Gericht aus, dass sie in einem der Gänge recht nah am Eingang plötzlich und völlig unvorbereitet auf den Angeklagten trafen, mit einer anderen selbstgebastelten Stichwaffe in der Hand. Sie waren davon ausgegangen, dass sie zu einem Zwischenfall in einer der Zellen gerufen worden waren.
Zwei Beamte zückten ihre Pistolen, eine Beamtin setzte einen Taser ein - jedoch ohne richtig zu treffen. Wenige Sekunden darauf kamen mehrere der bewachenden Beamten und stürzten sich auf den entflohenen Häftling. "Es ging zu wie bei einem Rugby-Spiel", schilderte der Polizist die Szene. "Es war ein Wunder, dass da kein Schuss abgefeuert wurde." Bei diesem Kampf wurde ein Beamter am Ellenbogengelenk verletzt und musste operiert werden.
Angeklagter hatte versucht, mehrere Stichwaffen herzustellen
Der Angeklagte habe sich heftig gewehrt, geschlagen, getreten und gebissen, sei aber schließlich überwältigt worden. Seinen Ausbruchsversuch hatte er offenbar intensiv vorbereitet. Eine Kriminaltechnikerin zeigte Fotos von mehreren selbstgebastelten Waffen, oder den Versuchen, Stichwaffen herzustellen. Meist habe er Feuerzeuge geschmolzen, um damit teils spitze Metallgegenstände zu fixieren. Er habe ein Geschirrtuch in Streifen gerissen, mit denen er scharfe Kanten an diesen Behelfswaffen umwickelt habe.
Häftling bereits vor der Stich-Attacke aggressiv
Der Angeklagte war vor der Attacke in Frankenthal und auch danach immer wieder aggressiv. Anfang März 2023 hatte er in der JVA Wittlich in Untersuchungshaft gesessen und dort einem Justizvollzugsbeamten einen Kopfstoß versetzt und einem anderen Beamten an die Hüfte getreten. Er wurde vom Landgericht Mainz im April zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren wegen besonders schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Nach der Tat in der Haftanstalt von Frankenthal kam der Angeklagte in die JVA Schwalmstadt. Dort sollte er im Dezember 2023 von seinem Gefängnisraum in einen Duschraum gebracht werden. Auch dort soll er einen Beamten getreten haben, sodass dieser trotz eines Schutzschilds einen Bruch eines Handknochens erlitt.
Bislang sind elf Verhandlungstermine bis Dezember angesetzt. Am 13. September soll noch einmal versucht werden, den Angeklagten zu einer Aussage zur Tat zu bewegen.