Die Zahlen in Ludwigshafen sprechen für sich: 14 von 23 Grundschulen geben an, dass mehr als die Hälfte ihrer Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund haben, bei elf Schulen sind es sogar über 70 Prozent. Viele dieser Schulkinder sprechen kein oder nur wenig Deutsch. Seit 15 Jahren setzt das rheinland-pfälzische Bildungsministerium deshalb auf Ferien-Sprachkurse in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen, ein Projekt, das deutschlandweit einzigartig sein soll.
In Ludwigshafen hat sich das Projekt über die letzten fünfzehn Jahre ständig vergrößert. Los ging es mit einem einzigen Kurs aus 22 Teilnehmern. Aktuell sitzen jährlich knapp 400 Schülerinnen und Schüler in den Räumen der Volkshochschule (VHS) im Bürgerhof. Vorwiegend handelt es sich um Grundschüler.
Turbo-Deutschkurse für Schüler auch im Supermarkt
Heike Ettischer organisiert die Sprachkurse seit mehr als drei Jahren und weiß: "Jeder Kurs ist anders“. Die Volkshochschulen seien perfekt dafür geeignet, die Ferien-Sprachkurse anzubieten, weil sie viel Erfahrung mit Deutschkursen für Erwachsene haben.
Ziel der Sprachkurse ist, dass sich die Schulkinder mündlich verständigen können. "Der Schwerpunkt liegt klar auf dem Sprechen", betont Heike Ettischer. Erst danach gehe es um den Ausbau des Wortschatzes. Später sollen die Kinder dann auch in Kontakt mit Alltagssituationen kommen. Deshalb wählt die Kursleiterin neben dem klassischen Lernen im Kursraum auch andere Orte aus, wie beispielsweise einen Supermarkt. Denn dort können die Kinder und Jugendlichen viele Vokabeln des täglichen Gebrauchs ganz praktisch üben.
Reichen zwei Wochen mit VHS Ludwigshafen, um Deutsch zu lernen?
Das Ministerium von Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig (SPD) finanziert das Projekt in diesen Herbstferien landesweit mit rund 314.000 Euro. Davon fließt das meiste Geld in große Städte wie Ludwigshafen, wo aktuell knapp 200 Erst- bis Zehntklässler in 22 Kursen unterrichtet werden.
Trotz der kurzen Zeit der Kurse sind Ettischer und die Leiterin eines Kurses für Grundschüler, Katja Roberts, vom Erfolg der Sprachkurse überzeugt. Die Schulen seien "verblüfft" über die Fortschritte, wenn sie ihre Schüler nach den Ferien wiedersehen würden. Der Weg zum Sprachkurs an der VHS läuft meistens über die Deutschlehrer und die Schulleitungen, die den Schülern wegen ihrer schlechten Deutschkenntnisse eine Teilnahme am Sprachkurs empfehlen und auch die Anmeldung übernehmen.
Gräfenauschule: Eltern gründen Arbeitsgemeinschaft Problemschule mit vielen Sitzenbleibern in Ludwigshafen macht Fortschritte
An der Gräfenau-Grundschule, in der knapp 40 Kinder dieses Jahr sitzenbleiben, gibt es inzwischen kleine Fortschritte. Eltern treffen sich mit der Bildungsministerin, Studierende sollen aushelfen.
Erfolgsfaktor: Spaß beim Deutschlernen mit Gleichaltrigen
Was den Erfolg der Turbo-Sprachkurse ausmacht, zeigt ein Blick in den Kurs von Katja Roberts: Ein Mädchen strahlt, als sie einen Hamster als Erste richtig erkannt und den korrekten Artikel verwendet hat. Zwei Jungs wundern sich, warum die Wasserflasche der Kursleiterin immer so sprudelt. Alles auf Deutsch, alles ohne Druck, dafür mit viel Spaß. Auch von Nervosität oder gar Angst fehlt jede Spur. Im Gegenteil: Die Art, wie die Kinder mit ihren Fehlern umgehen, ist erfrischend locker und für uns Erwachsene sogar vorbildlich.
Auffällig sind die kleinen Klassen mit durchschnittlich gerade mal neun Schülerinnen und Schülern. Laut Organisatorin Ettischer werden die Kurse bewusst nicht nach Nationalität geordnet. Dass die Kinder in ihrer jeweiligen Muttersprache miteinander sprechen, sei aber dennoch nicht vermeidbar. Allerdings zeigt sich das im Kurs auch als Chance, so Roberts. Die Kinder helfen sich gegenseitig, im Notfall werde eine Aufgabenstellung oder eine gesuchte Vokabel dann eben auf Türkisch oder Englisch erklärt.
Als ihr Kurs Volker Rosins "Lied über mich" singen darf, leuchten die Augen der Grundschulkinder. Die Leiterin erzählt, dass sich viele nach Ablauf der zwei Wochen über das Ende des Kurses enttäuscht zeigten.
Turbo-Sprachkurse verfolgen "ganzheitliches" Konzept
Wenn es ums Lernen geht, steht in den zweiwöchigen Kursen nicht nur Deutsch auf dem Programm. "Ganzheitlich" nennt Heike Ettischer das Konzept der Kurse. Es werde auch der soziale Umgang miteinander geschult. Außerdem gebe es gerade bei Grundschülern häufig noch Nachholbedarf zum korrekten Verhalten im Klassenzimmer.
Darüberhinaus bietet die VHS beispielsweise einen kostenfreien, dauerhaft gültigen Bibliotheksausweis. Dort fänden die Schülerinnen und Schüler die passende Umgebung, um zu lernen, abseits von den oft beengten Wohnverhältnissen zu Hause, so Ettischer.
Deutsch ist für viele Schulkinder die erste Fremdsprache
Gerade beim Stichwort Integration sind die verschiedenen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler eine große Herausforderung. Beim Besuch in einem Sprachkurs für Siebt- bis Zehntklässler stehen gerade die Vergangenheitsformen auf dem Plan. Hier wirken die Kinder etwas zurückhaltender, es geht nicht so locker zu wie bei den Kleinen.
Das liegt vielleicht auch am Zeitdruck: Viele stehen kurz vor ihrem Abschluss und haben immer noch Probleme mit der deutschen Sprache. Die Kursleiterin erklärt, dass es für die Mehrheit der Schüler die erste Fremdsprache sei, sie also keinerlei Erfahrungen mit dem Erlernen von Sprachen haben. Das sei den Schulsystemen der Herkunftsländer geschuldet.
Fazit: Feriensprachkurse sind ein Erfolgsmodell
Nach dem Besuch der Sprachkurse in Ludwigshafen steht eines fest: Jeder Tag Deutschlernen hilft den Schulkindern. Ein Hauptgrund für den Erfolg der Kurse ist, dass sie dort ohne Leistungsdruck, Hemmschwellen und auf Augenhöhe lernen können. Dadurch lassen sich in kurzer Zeit deutliche Fortschritte erzielen, gerade wenn die Kinder vorher überhaupt nicht Deutsch sprachen.
Woran man das merkt? An den Schülerinnen und Schülern selbst: Von der Diskussion über Grammatikregeln bis hin zum Lachen über seltsam klingende Bezeichnungen ist ein Lernwille deutlich erkennbar. Selbst beim Spielen auf dem Pausenhof sprechen einige weiter Deutsch miteinander, eine Sprache, die sie vor wenigen Tagen kaum oder gar nicht kannten.