Mehr Luft holen wollen, aber es geht nicht - so beschreibt Antje Gillenberg das immer anhaltende Gefühl, mit der Krankheit Lungenhochdruck zu leben.
Bei der 44-Jährigen wurde die Erkrankung vor knapp zehn Jahren kurz nach ihrer zweiten Schwangerschaft diagnostiziert. Nachdem sie damals entbunden hatte, sei es ihr immer schlechter gegangen. Als sie dann aus Atemnot noch nicht einmal mehr den Weg von der Toilette zum Schlafzimmer geschafft habe, wusste sie, dass etwas nicht stimmt.
Rund 300 Millionen Menschen mit chronischen, seltenen Erkrankungen weltweit
Eine erklärbare Ursache für ihre Erkrankung gibt es bis heute nicht. Ihre Form des Lungenhochdrucks wird als Seltene Erkrankung definiert. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.
Antje Gillenbergs Leben änderte sich mit ihrer Erkrankung schlagartig. Die damals 34-Jährige musste ihren Beruf als Krankenschwester aufgeben und hing den ganzen Tag an Sauerstoffschläuchen. Viele hätten ihr damals dazu geraten, für immer zu Hause zu bleiben, wegen ihrer Kinder, aber "Vollzeit-Mama" zu werden, sei für sie nicht in Frage gekommen.
Der Kampf zurück ins Leben
Sie hatte Glück: Medikamente schlugen an und sie kämpfte sich mit der Hilfe ihrer Familie zurück ins Leben, belegte Fortbildungen und leitet nun ein Seniorenheim in Dahn und eine Selbsthilfegruppe für Lungenhochdruckkranke in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sauerstoff brauche sie heute nur noch in der Nacht oder bei Belastung - wie bei längeren Spaziergängen oder beim Einkaufen.
Den Aktionstag für Seltene Erkrankungen sieht sie mit gemischten Gefühlen: "Ich finde es einerseits wichtig, dass es diesen Tag gibt, aber auch schade, dass es nur auf einen Tag begrenzt ist. An dem Tag finden ja viele Aktionen statt, aber mittlerweile gibt es ja für alles einen Tag. Ich finde, es müsste immer präsent ein."
Betroffene erleben Odysseen durch das Gesundheitssystem
Überhaupt die richtige Diagnose für eine Seltene Erkrankung zu bekommen, sei eine Herausforderung, sagt Bianca Paslak-Leptien von ACHSE, dem Dachverband von und für Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen und deren Angehörige in Deutschland.
ACHSE kritisiert, dass bisher zu wenige Behandlungsmöglichkeiten und Therapien für Erkrankte zur Verfügung stünden, nach eigenen Angaben gebe es nur für sechs Prozent der Betroffenen eine Behandlung. "Ein Großteil der Betroffenen wird von Angehörigen gepflegt. Die Angehörigen werden meist notgedrungen zu Experten für die seltene Erkrankung."
Seltene Erkrankungen werden oft nicht erkannt
"Oftmals sind die Patienten im Alltag der Praxen und Kliniken verloren, weil die Zeit fehlt, sich mit langen Vorgeschichten und den bereits durchgeführten Untersuchungsergebnissen zu beschäftigen und die meist lange Krankengeschichte in ihrer Komplexität zu erfassen", meint Dr. Birgit Petersen vom Zentrum für Seltene Erkrankungen in Mainz.
Hinzu komme, dass man als Mediziner die Seltenen Erkrankungen bisher nur wenig im Studium oder der weiteren klinischen Ausbildung kennenlerne. Sie würden also oft nicht erkannt oder verkannt. Aber sie betont, dass es zunehmend mehr Zentren für Seltene Erkrankungen mit Expertise gebe, an die Patienten überwiesen werden.
Insgesamt gibt es zurzeit 36 dieser Zentren in Deutschland, das Zentrum für Seltene Erkrankungen in Mainz gibt es seit 2015.
Kompetenzzentren in RLP Seltene Erkrankungen - eine Herausforderung für die medizinische Betreuung
Seltene Krankheiten sind Erkrankungen, von denen nur eine geringe Anzahl von Menschen betroffen ist. In Deutschland gibt es etwa 8.000 seltene Krankheiten, die zusammen sechs bis acht Prozent der Bevölkerung betreffen. : Sie werden unter anderem in Mainz erforscht.
Zu wenig grenzübergreifende Vernetzung bei Seltenen Erkrankungen
Bianca Paslak-Leptien von ACHSE sagt: "Wo es nur wenige Fallzahlen gibt, wie bei den einzelnen seltenen Krankheiten, sind die Herausforderungen zu forschen etwas größer. Das reicht von der Suche nach Studienteilnehmer*innen - hier fordern wir eine grenzübergreifende Vernetzung - bis hin zum Interesse, überhaupt zu forschen und Therapien zu entwickeln, die nur wenigen Personen zur Verfügung stehen. Schnell wird da der Blick zuerst auf die Kosten gerichtet."
Ausstellung für Aufmerksamkeit
Im Mainzer Hauptbahnhof wird vom 1. bis 15. März die Ausstellung "Selten allein" gezeigt. Die Aktion zeigt Kunstwerke von und über Menschen mit Seltener Erkrankung – Zeichnungen, Gemälde, Fotografien. Bei den Bildern ist auch eine Selbstauskunft der Betroffenen dabei und ein Steckbrief zu ihrer Erkrankung.
Petra Johanna Mack kommt aus Rödersheim-Gronau und hat auch ein Kunstwerk zu der Ausstellung beigesteuert. Sie hat die Seltene Erkrankung "Interstitielle Zystitis" und die Begleiterkrankung "Lymphozytäre Kolitis".
Die beiden Krankheiten sorgen dafür, dass ihre Blase schrumpft, was eine große Belastung für sie ist: "Ich muss teilweise bis zu 40 Mal am Tag auf die Toilette - das zieht sich auch in die Nacht. Ich habe große Schmerzen und vertrage viele Lebensmittel nicht." 50 Jahre lang habe es gedauert, bis sie die Diagnose für ihre Leiden bekommen habe. Durch ihr Umfeld schaffe sie es, die Qualen zu ertragen:
"Ich will mit dem Bild Lebensfreude vermitteln"
Sie erhofft sich, dass andere Betroffene Mut schöpfen, wenn sie ihr Bild in der Ausstellung sehen und die Gedichte lesen. Die Ausstellung wird auch in den Hauptbahnhöfen in Berlin, Dresden, Freiburg, Lübeck und in manchen Universitätskliniken gezeigt. Der Anstoß für die Kunstaktion kam von den universitären Zentren für Seltene Erkrankungen und wird vom Verband ACHSE koordiniert.