Auf den ersten Blick erkennt man an dem Waldhang an der Ahr bei Müsch nichts. Der Geograph Rainer Bell von der Universität Bonn muss erst Blätter und Äste zur Seite schieben, damit das Seismometer sichtbar wird. Es sind zwei kleine Kästen, die ein wenig an Autobatterien erinnern. Der eigentliche Erdbebensensor ist darunter in der Erde vergraben.
Sensoren in Müsch erfassen Erschütterungen
Rainer Bell gehört zu einem internationalen Forscherteam, die unter anderem im Ahrtal forschen. Insgesamt sind an dem Hang fünf dieser Sensoren verteilt und installiert. Sie messen die Erschütterungen im Hang, erklärt Rainer Bell. Das gilt vor allem für Bewegungen in der Erde. Die Sensoren sind aber so sensibel, dass sie sogar Spaziergänger, Radfahrer oder Autos erfassen, die über die Straße am anderen Ahrufer fahren. Das alles kann der Geograph später an den Ausschlägen am PC sehen.
Projekt fürs Ahrtal läuft seit Oktober 2021
Die katastrophale Flutwelle im Juli 2021 riss alle Ahrpegel mit. Das Pegelnetz fiel in der Flutnacht entsprechend sehr früh aus. Deswegen hat das Forschungsteam im Nachgang nach einer Alternative gesucht, um Messwerte zu erhalten, erklärt der Geograph Michael Dietze von der Universität Göttingen. Hier sei die Idee entstanden, die Erschütterungen der Flut mit Seismometern zu messen.
Erdbebensensoren reagieren auch auf Wasserbewegungen
Denn nicht nur ein Erdrutsch oder ein Auto bringt die Sensoren zum Ausschlagen. Auch das Wasser, das durch die Ahr fließt, erzeugt bereits kleine Schwingungen. Und diese Schwingungen werden stärker, je mehr Wasser fließt oder wenn die Strömung so stark ist, dass sie zum Beispiel Gestein mitschwemmt.
Die Vorstellung der Wissenschaftler: Mit einem Netzwerk aus Seismometern könnten die Forscher ein herannahendes Hochwasser messen. Am Beispiel der Ahrflut erklärt Michael Dietze, dass die Flutwelle auf eine Entfernung von 1,5 Kilometer erkennbar gewesen und auch die Geschwindigkeit messbar gewesen wäre. Etwa eine halbe Stunde vorher wäre es für die Forscher möglich gewesen, mit den Seismometern die Flutwelle und ihre Kraft zu erkennen. Mit einem solchen System könnten somit viele wichtige Informationen in Echtzeit an mögliche Entscheidungsträger weiter gereicht werden, sagt Dietze.
Messergebnisse könnten bei künftigen Hochwassern helfen
Für künftige Hochwasserereignisse könnten die Seismometer wichtige Informationen für Hochwasserzentren bieten. Wichtig sei dafür aber, dass die Datenverarbeitung auch entsprechend optimiert und automatisiert sei und damit solche Daten richtig zu deuten und zu warnen.
Die Optimierung sei einer der nächsten Schritte, bestätigt Michael Dietze. Im Rahmen seiner Forschung will das Team demnach weitere Sensoren in hochwassergefährdeten Tälern installieren, um die Datenverarbeitung in Echtzeit zu verbessern. Wie, wann und ob das neue System in die tatsächliche Hochwasservorsorge des Landes implementiert werden kann, ist aktuell noch unklar. Das hänge vor allem davon ab, was die Verantwortlichen in der Politik entscheiden und ob das Projekt auch finanziert wird, heißt es vom Forschungsteam. Aus Sicht der Wissenschaftler seien Erdbebensensoren im ganzen Ahrtal sinnvoll.