Hundertprozentige Auslastung, mehr Patienten als Plätze und eine lange Warteliste - das ist für den Psychologen und Psychotherapeuten Christian Falkenstein in seiner Praxis in Kalenborn im Ahrtal im Moment Alltag. Dabei kommen seine Patienten gerade mal aus einem Umkreis von zehn Kilometern.
Seine Praxis ist aktuell die einzige in der Verbandsgemeinde Altenahr. Patienten gebe es aber genug für drei, sagt er. Die Praxen im Ahrtal seien alle komplett überlastet. "Selbst wenn jemand auf meiner Warteliste steht, kann ich keinen Platz versprechen. Und erst recht nicht zeitnah", sagt Falkenstein.
Psychologe: Viele Flutbetroffene haben resigniert
Die Menschen, die bei Falkenstein Hilfe suchen, hätten oft resigniert, sagt er - aus ganz verschiedenen Gründen. Da seien die Älteren, die sich fragten, ob es überhaupt noch Sinn für sie mache, wieder aufzubauen. Oder ob sie das lieber ihren Kindern überlassen sollten.
Auf der anderen Seite gebe es die, die schon wieder in ihrem Haus lebten und realisierten, dass drum herum noch alles kaputt sei. "Die stellen dann fest, dass mit ihrer Heimat noch immer nicht wieder alles in Ordnung ist. Sie öffnen das Fenster, gucken raus und gucken auf den Dreck", so Falkenstein. Das sorge für Verzweiflung und vielen Menschen gehe es dadurch jetzt sogar schlechter als noch vor einem Jahr.
Zusammenhalt unter Flutbetroffenen lässt nach
Und auch zwischenmenschlich werde es schwerer. Während die einen bereits in ihr renoviertes Haus wieder einziehen konnten, steht bei anderen noch der Rohbau und alles verzögert sich. Das sorge teilweise für Neid, so Falkenstein. "Zu Beginn der Flutereignisse gab es viel Zusammenhalt. Jetzt sind aber viele wieder in alten Verhaltensweisen. Die Menschen schauen wieder mehr auf sich selbst und den eigenen Vorteil."
Unterschiedlicher Wiederaufbau-Fortschritt belastet Gemüter
Das ist eine Beobachtung, die auch Rebecca Arnoldy-Heimansfeld aus Dernau in ihrem Umfeld gemacht hat. "Es ist so unterschiedlich, wie weit die Leute sind. Da kann dann auch Neid passieren. Das ist nicht schön, aber viele können nicht an der Hoffnung festhalten, glaube ich", sagt sie.
Rebecca hat bei der Flutkatastrophe ihr Haus verloren und musste mit dem Hubschrauber gerettet werden. Aktuell lebt sie an der Mosel bei Koblenz. Dieser Abstand und das neue Zuhause würden ihr helfen, so dass sie sich auf Feiertage wie Weihnachten oder Silvester auch wieder freuen könne, erzählt sie. Sie selbst hat sich auch Hilfe gesucht: Sie war erst in Therapie und dann in Kur, um die Flut zu verarbeiten.
Nicht alle Flutbetroffene im Ahrtal suchen sich Hilfe
Aber sie weiß, wie es in vielen Menschen auch eineinhalb Jahre nach der Flut noch aussieht: "Da fragt man sich dann: Wann kommt man endlich an und wann ist es endlich fertig?" Und für viele sei dann der Wiederaufbau wichtiger, als die eigene Gesundheit und eine Therapie. Dabei sei gerade das so wichtig, meint Rebecca. Auch Christian Falkenstein betont, dass eine Aufarbeitung wichtig sei: "Die Flut bleibt ein Leben lang. Sie ist für die Menschen im Ahrtal ein Einschnitt wie ein Krieg."