Experteninterview zu Schutz vor digitaler Gewalt

Polizei Koblenz: Wie sich Frauen gegen Angriffe im Netz wehren können

Stand
Autor/in
Sarah Mauer
Foto von Multimediareporterin Sarah Mauer

Frauen und Mädchen werden im Internet überproportional oft Opfer sexualisierter Attacken. Im SWR-Interview erklärt ein Experte der Polizei Koblenz, welche Maschen die Täter nutzen.

Norbert Heck ist im Polizeipräsidium Koblenz für den Bereich Gewaltprävention zuständig. Er sagt, weil im Netz vieles noch nicht ausreichend reguliert sei, müssten die Menschen für das Thema digitale Gewalt sensibilisiert werden, damit sie gar nicht erst Opfer werden. Darum arbeitet er mit verschiedenen Institutionen zusammen, geht in Schulen und informiert Lehrpersonal sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Im SWR-Interview erklärt er, wie insbesondere Frauen und Mädchen im Internet zu Opfern werden.

SWR-Aktuell: Herr Heck, was sind typische Straftaten im Bereich der digitalen Gewalt, von denen vor allem Frauen betroffen sind?

Norbert Heck: Am bekanntesten ist wohl das Teilen von „DickPics“, also Fotos von männlichen Genitalien. Das ist ein Internetphänomen, woran sich viele Mädchen und Frauen schon gewöhnt haben. Aber das ist ganz klar eine Straftat. Auch dann, wenn man irgendwann mal ein sexuelles Verhältnis zueinander gehabt hat, weil der Empfänger damit einverstanden sein muss. Da haben wir oftmals ganz gute Ermittlungsansätze und es kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung. Oder es wird zumindest auf den Verursacher eingewirkt, dass er das zu lassen hat. Wir haben auch durchaus die Möglichkeit, das Tatmittel, in dem Fall das Handy, das Tablet etc. einzuziehen.

SWR-Aktuell: Welche Straftaten gehören außerdem noch in den Bereich der digitalen Gewalt?

Norbert Heck: Ein weiteres Beispiel ist „Sextortion“, das ist die sexuelle Erpressung. Die Täter haben Bilder oder geben vor, Bilder zu haben. Damit erpressen sie das Mädchen oder die Frau, in Hinsicht einer sexuellen Handlung im realen Raum. Oder es geht um Geldbeträge. In Partnerschaften gibt es das einvernehmliche „Sexting“, das heißt, man lebt seine Sexualität auch im digitalen Raum aus. Wenn die Partnerschaft beendet ist, kommt es dann zur „Sharegewaltigung“. Das ist ein Kunstwort aus Vergewaltigung und aus dem englischen Wort „share“ für „teilen“. Damit wollen die Täter ihre Opfer schlecht aussehen lassen. Das Material wird inflationär verbreitet, weil es interessant für das Umfeld ist.

SWR-Aktuell: Durch künstliche Intelligenz nimmt das mittlerweile aber noch ganz neue Dimensionen an…

Norbert Heck: Ja, Sie brauchen mittlerweile nur ein gutes Bild und daraus können Sie einen Porno basteln. Die Experten sprechen da von „DeepNudes“. Es ist extrem schwierig zu differenzieren, ob das real ist. Meines Wissens gibt es in Deutschland nur eine Hochschule, die das entsprechend differenzieren kann.

SWR-Aktuell: Aber Täter können KI-generierte Bilder ja auch nutzen, um beispielsweise ihr eigenes Alter zu verschleiern und dann gezielt Kinder und Jugendliche anzusprechen. Warum ist dieses sogenannte „Cybergrooming“ so gefährlich?

Norbert Heck: Kinder und Jugendliche sind natürlich auf der Suche nach sozialen Kontakten, wenn sie einsam sind. Letztendlich bedeutet „Cybergrooming“, dass ich mit einer geschönten Identität im Netz unterwegs bin, beispielsweise als 50-Jähriger mit einem Teenager-Filter, und dann jemanden im Netz anspreche. Es entwickelt sich sowas wie eine Freundschaft. Und diese Freundschaft, die kann sexuell werden - erstmal im Digitalen. Und mit diesen Bildern kann man dann auch wiederum erpresst werden.

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SWR-Aktuell: Was machen solche Straftaten mit den betroffenen Frauen oder Mädchen?

Norbert Heck: Das geht natürlich schon an den Ruf. Oftmals kommt es zum Wegzug, um aus der Sache rauszukommen. Was wir auch festgestellt haben, ist eine Zunahme von psychischen Erkrankungen und auch eine Häufung von Suiziden, gerade bei jungen Mädchen zwischen 10 und 14 oder zwischen 17 und 19 Jahren.

SWR-Aktuell: Wer sind die Täter?

Norbert Heck: Wir haben zwei Tätergruppen: Das eine ist in erster Linie der sexuell aktive Mann. Aber das ist nicht der klassische Pädosexuelle, der vermutet wird - der alte Mann mit dem Lodenmantel. Wir haben sehr viele junge Täter, fast schon Jugendliche. Die machen etwa 50 Prozent aus. Da stellt sich auch die Frage, ob die das machen, weil sie eine sexuelle Präferenzstörung haben oder ob es um Macht geht. Oftmals sind diese jungen Männer enttäuscht worden und kommen in ihrer Peer-Group nicht zum Zuge. Es entwickelt sich keine Partnerschaft und dann versucht man, auf jüngere Mädchen einzuwirken, wo noch keine Resilienzen da sind, um da letztendlich sein Ziel zu erreichen.

SWR-Aktuell: Und diese Ziele variieren stark. Das geht vom Treffen im realen Leben bis hin zu sadistischer Gewalt.

Norbert Heck: Ja, es gibt im Internet Blaupausen, an denen sich die jungen Männer bedienen können, um auf junge Frauen einzuwirken und sie zu sadistischen Handlungen zu zwingen. Eine Einstiegsaufgabe in dem Zusammenhang ist beispielsweise, dass die Mädchen sich vor laufender Kamera die Haare abschneiden und aufessen müssen. Das geht hin bis zur Tötung von Haustieren vor laufender Kamera und vergleichbarem. Druckmittel sind einvernehmlich entstandene Bilder. Die jungen Frauen und Mädchen versuchen, aus der Sache rauszukommen, indem sie sich auf dieses böse Spiel einlassen.

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SWR-Aktuell: Und die andere Tätergruppe?

Norbert Heck: Das sind organisierte Strukturen, die an Internetknotenpunkten fernab von Europa sitzen, und ein Interesse haben, Geld zu erpressen. Das passiert alles rein digital.

SWR-Aktuell: Würden Sie sagen, dass digitale Gewalt gegen Frauen zunimmt?

Norbert Heck: Es ist ein modernes Phänomen. Mittlerweile haben wir bundesweit beispielsweise annähernd 4.000 Fälle von „Sextortion“ im Jahr 2023 laut BKA-Statistik. Tatsächlich sieht die Wirklichkeit jetzt ganz anders aus. Meine Kollegen in der zentralen Anzeigenbearbeitung sprechen von 500 Fällen in diesem Jahr, allein beim Polizeipräsidium Koblenz. Und das sind nur die Versuche. Da kommt natürlich noch einiges dazu. Das heißt, im Dunkelfeld können wir durchaus noch zwei Nullen hinten dranhängen.

SWR-Aktuell: Warum ist das Dunkelfeld so groß?

Norbert Heck: Es geht um Sexualität. Die findet im Privaten statt und darüber zu reden, ist ein riesiges Problem. Und wenn es letztendlich zu einer Eskalation kommt, muss man sein Privates nach außen kehren. Die Polizisten sehen entsprechendes Material und von Täterseite wird auch noch gesagt: „Du hast eine Mitschuld. Du hast doch mitgemacht. Du hast dich doch darauf eingelassen.“ Und dementsprechend sind die Leute sehr zurückhaltend.

SWR-Aktuell: Viele Opfer haben ja auch das Gefühl, dass sie selbst eine Mitschuld tragen…

Norbert Heck: Dabei ist die Schuldfrage total einfach: Der Täter ist ganz klar dafür verantwortlich. Bei vielen Straftaten sehen wir natürlich irgendwo eine gewisse Fahrlässigkeit, aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, wer am Schluss gehandelt hat.

SWR-Aktuell: Wo sehen Sie auf Seiten des Gesetzgebers weiteren Handlungsbedarf?

Norbert Heck: Die nächste Hürde, die wir haben, ist das Vorgehen gegen „DeepNudes“, also Material, was mit einer KI generiert wurde. Dabei behelfen wir uns aktuell mit anderen Tatbeständen. Aber ein spezieller Tatbestand, der fehlt noch. Das wird auch von der EU gefordert und es gibt auch entsprechende Initiativen, die bereits eingereicht wurden. Die sind aber jetzt noch nicht ratifiziert. Darüber hinaus sehe ich nach wie vor im World Wide Web, dass es immer noch zugeht wie im wilden Westen. Das ist ein weltweites Problem, das man versucht, in den Griff zu bekommen. Da sind sich Diktaturen, Autokratien und Demokratien einig, dass das nicht mehr so laufen kann, wie es bisher gelaufen ist.

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