Man sieht es ihnen nicht an. Den mutmaßlich Millionen Kindern und Erwachsenen bundesweit, in deren Leben ein großer Stein im Weg liegt: das Fetale Alkoholsyndrom (FASD) – eine unheilbare Schädigung des Gehirns, die das Baby bereits im Mutterleib erleidet, wenn die Mutter Alkohol trinkt. Von den Folgen können auch Pfälzer Familien berichten.
Alkoholsyndrom: Adoptivmutter findet in der Pfalz keine Anlaufstelle
Claudia Kettering aus Kaiserslautern fiel es schon auf, als ihre Adoptivtochter in den Kindergarten ging. Ihre Tochter war aufgeweckt, sehr energiegeladen, arglos, unkonzentriert, "mit ein paar Entwicklungsrückständen". Manches musste man ihr gleich zehnmal erklären. Die Mutter recherchierte im Internet und wurde schließlich fündig: Alle Eigenschaften, selbst die äußerlichen Gesichts-Merkmale ihrer Tochter, passten ins Bild.
Ihr Verdacht: die leibliche Mutter des Mädchens muss während der Schwangerschaft getrunken haben. Doch der Weg bis hin zur Diagnose war, wie bei vielen anderen Pflegefamilien auch, lang und schwer.
Jahrelang gab es in Deutschland nur wenige Anlaufstellen, um sich, beziehungsweise das eigene (Pflege-)Kind mit dem Verdacht auf FASD untersuchen zu lassen. Noch heute gibt es in der Region nur wenige Beratungsangebote, geschweige denn genügend Ärztinnen und Ärzte, die sich mit der Diagnose Fetales Alkoholsyndrom gut auskennen.
FASD – eine unsichtbare Behinderung
Als ihre Adoptivtochter in der zweiten Klasse schließlich die Diagnose FASD bekam, sei das ein wichtiger Schritt gewesen. "Jedes Kind mit FASD merkt, dass es anders ist", so Kettering, die sich zur FASD-Beraterin fortgebildet hat. "Und es gibt kein betroffenes Kind, das kein Mobbing erlebt." Wie alle Kinder mit dem Alkoholsyndrom leide auch ihre Tochter unter den Beeinträchtigungen, die damit einhergehen: Betroffene können schlecht mit Zahlen und Geld umgehen, haben oft Rechtschreib- und Konzentrationsprobleme, lassen sich schnell ablenken und von anderen ausnutzen und sind unter Stress wenig belastungsfähig.
Mobile Beratung schließt Lücke in der Versorgung Rheinland-Pfalz & Saarland: Fetales Alkoholsyndrom früh erkennen
Philipp hat viel mitgemacht, bevor er im “Sonnenhof” endlich Hilfe fand. Dass er FASD hat, wurde lange Zeit nicht erkannt. Heute ist er 19 und hilft jüngeren Betroffenen.
"Doch man sieht ihnen diese Behinderung nicht an. Sie werden chronisch überschätzt", so Kettering. Mittlerweile sei ihre Tochter 21, könne aber wegen ihrer Erkrankung nicht im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen, wie auch die meisten anderen Betroffenen. Das Wissen, wie sehr FASD ihr Leben ausbremst, belaste ihre Tochter auch psychisch – so wie rund 90 Prozent aller Menschen mit FASD.
Trotz der Wut: Pflegeeltern im Kontakt mit den leiblichen Eltern
Wie belastend es ist, sich die Ursache der Behinderung – den Alkoholkonsum der leiblichen Mutter – bewusst zu machen, weiß auch ein Paar aus der Vorderpfalz: Das Paar hat in den vergangenen Jahren immer wieder Pflegekinder aufgenommen. Die meisten der Kinder zeigten Anzeichen von FASD. Die Wut gegenüber den leiblichen Eltern sei groß.
So drückt die 46-jährige Pflegemutter ihren Zorn aus, den sie verspüre, wenn sie die leibliche Mutter ihres kleinen, schwer kranken Pflegesohns trifft. Diese würde sich aber gar nicht klar machen, dass ihr Alkoholkonsum während der Schwangerschaft für das Leiden des Kinds verantwortlich ist.
Alkohol könne das Paar nicht mehr trinken. "Das würde sich wie Verrat an den Kindern anfühlen", berichten die beiden. Sie wollen die schweren Folgen für die betroffenen Kinder bekannt machen. Und sich dafür einsetzen, "dass es Alkohol nicht mehr überall wie einen Kasten Wasser zu kaufen gibt." Der Konsum, insbesondere in der Schwangerschaft, dürfe nicht länger verharmlost werden. "Es reichen ein oder zwei Gläser, um das Kind im Bauch zu schädigen", so die 46-Jährige.
Hier kann man sich bei Verdacht auf FASD und im Umgang mit Betroffenen beraten lassen: beim Netzwerk BINE.