RLP-Familienministerin Binz sieht begleitetes Trinken nicht kritisch

Jugendschutzgesetz von 1952 auf dem Prüfstand

Familienministerin Binz: Kein generelles Nein zu "Begleitetem Trinken"

Stand

"Ein Bierchen mit den Eltern auf der Kerwe, das schadet Jugendlichen doch nicht." Oder doch? "Begleitetes Trinken" soll verboten werden. In RLP sind sich nicht alle einig.

Lange Zeit galt die Devise: Besser, die Jugendlichen beginnen mit dem Alkohol trinken, wenn Erwachsene dabei sind, als wenn sie das sozusagen unbeaufsichtigt tun. So kam es zu der Regelung, die "Begleitetes Trinken" ab 14 Jahren in Gaststätten und generell in der Öffentlichkeit erlaubt. Sie wurde 1952 im Jugendschutzgesetz festgelegt und scheint heute wie aus der Zeit gefallen. Viele sind auch überrascht, dass es diese Regelung überhaupt gibt.

Familienministerin sieht im "Begleiteten Trinken" auch Vorteile

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das "Begleitete Trinken" verbieten. Sein Argument: "Die Anwesenheit von Erwachsenen ändert nichts an der Schädlichkeit von Alkohol für Kinder. Deswegen sollte das sogenannte Begleitete Trinken untersagt werden."

Die rheinland-pfälzische Familienministerin Katharina Binz (Grüne) findet: "Wir müssen uns grundsätzlich anschauen, wie wir als Gesellschaft mit Alltagsdrogen wie Alkohol umgehen." Und es müsse geprüft werden, ob das Jugendschutzgesetz insgesamt noch zeitgemäß sei. Ob man aber ausgerechnet bei der Frage über das "Begleitete Trinken" anfangen müsse, das halte sie für fraglich.

"Denn eigentlich kann es doch auch ganz sinnvoll sein, dass man sagt: Okay, wenn Erwachsene, in diesem Fall die Eltern, darüber auch mit Jugendlichen ins Gespräch kommen wollen, was Alkoholkonsum auch anstellen kann. Dann kann so eine Regelung vielleicht sogar ganz sinnvoll sein."

Lernen 14- und 15-Jährige einen besseren Umgang mit Alkohol, wenn sie unter der Kontrolle von Eltern, Onkeln oder Tanten zum ersten Mal Wein und Bier trinken? Oder werden sie dadurch überhaupt erst an Alkohol herangeführt?

Was sagen

Ärzte: Begleitetes Trinken sollte aus medizinischer Sicht verboten werden

"Wer sehr früh anfängt, Alkohol zu trinken, hat ein sehr viel größeres Risiko süchtig zu werden", sagt Prof. Klaus Lieb von der Psychiatrie der Unimedizin Mainz. "Bei Kindern entwickeln sich in der Zeit der Pubertät im Vorderhirn die Zentren aus, die für Planung und Impulskontrolle zuständig sind. Und wenn da Alkohol ins Spiel kommt, können diese Bahnen gestört werden." Dieses "nicht kontrollieren können" sei ein Faktor, der für die spätere Suchtentwicklung entscheidend sei.

"Alkohol ist ein Zellgift, eine toxische Substanz", erklärt Lieb, "deshalb ist es wichtig, dass Jugendliche so spät wie möglich damit in Verbindung kommen. Denn in dem Alter, zwischen 14 und 18 Jahren, werden sehr viele Nervenbahnen neu formiert und ausgebildet." Und wenn dieser Entwicklungsprozess durch Alkohol gestört und Nerven geschädigt würden, habe das langfristige Folgen.

Pfälzer Sozialarbeiter: Eltern sollten positives Beispiel sein

Daniel Hübner ist Sozialarbeiter im Jugendzentrum Lauterecken. Dass 14- und 15-Jährige in Begleitung eines Sorgeberechtigten in der Öffentlichkeit Bier, Sekt oder Wein trinken dürfen, hält er für falsch. Jugendliche sollten in diesem Alter noch gar keinen Alkohol trinken, findet er. Im Gegenteil die Eltern könnten mit positivem Beispiel vorangehen. "Die Jugendlichen orientieren sich an ihren Bezugspersonen, wie die mit Alkohol umgehen", sagt Hübner. Bei seiner Arbeit mit den Jugendlichen ist es ihm wichtig, die Risiken und Gefahren des Alkohols aufzuzeigen und auch Alternativen anzubieten, alkoholfreie Parties beispielsweise.

Trockener Alkoholiker hält Gesetz zum "Begleiteten Trinken" für absurd

Robert Jacobs aus Ingelheim kämpfte Jahrzehnte gegen seine Alkoholsucht. Heute arbeitet er als Genesungsbegleiter - ein relativ neues Berufsbild. Menschen, die selbst durch psychische Krisen gegangen sind, werden ein Jahr lang ausgebildet, um psychisch Kranke auf ihrem Weg zu begleiten.

Dass Jugendliche in Begleitung Erwachsener Alkohol trinken dürfen, hält Robert Jacobs für absurd. "Was machen die Eltern denn genau? Worin besteht denn diese Begleitung?" Er erzählt eine eigene Erfahrung, die er damit als Siebenjähriger gemacht hat.

"Mit sieben Jahren hab ich zum ersten Mal Alkohol getrunken"

"Auf dem Geburtstag von Tante Annie eine rote Flüssigkeit auf dem Tisch gesehen, getrunken, in die Hammondorgel gegriffen. Und alle Gäste waren super amüsiert, dass da jetzt ein Kind angetrunken Hammondorgel spielt" Für Robert Jacobs war dieser erste Alkoholkontakt mit der positiven Erfahrung verbunden, im Mittelpunkt zu stehen und von allen Anerkennung zu bekommen. Danach habe ihn der Alkohol nicht mehr losgelassen, erzählt er. Als 17-Jähriger sei er praktisch durchweg betrunken gewesen. Der Alkoholmissbrauch hat ihn zu einem schwerkranken Mann gemacht.

Nicht jeder Jugendliche, der bei der Geburtstagsparty der Tante ein Glas Wein trinkt, wird Alkoholiker, sagt Jacobs. "Aber wenn er eine solche Lebensgeschichte durchläuft, dann werden sich diese Eltern ganz schwere Vorwürfe machen." Seinen eigenen Eltern macht er aber keine Vorwürfe. Damals habe man es einfach nicht besser gewusst, meint er. Aber heute wisse man, was Alkohol bewirke.

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SWR