Verliebt, verlobt, verheiratet - so war es ganz und gar nicht, als 1946/1947 hessische, nassauische, preußische und bayerische Landesteile miteinander verheiratet wurden. Ergebnis der Liaison war ein neues Bundesland mit dem Familiennamen Rheinland-Pfalz.
Es war eine arrangierte Hochzeit - eingefädelt von der französischen Besatzungsmacht und von den Menschen mit großer Skepsis beäugt. "Da war auf einmal alles ganz anders, da musste man sich wirklich dran gewöhnen", erinnert sich Maria Johannides aus Mainz noch heute gut an das befremdliche Gefühl von damals. Die damals 23-Jährige fühlte sich zur hessisch-nassauischen Provinz Rheinhessen zugehörig, die Region reichte bis nach Darmstadt und Offenbach. "Da hat man gewusst, dass man dazugehört und dann war das plötzlich weg, auch die ganzen Vororte von Mainz auf der anderen Rheinseite." Mittlerweile fühlen sich die Menschen ihrem Bundesland eng verbunden.
Das Leben in den Anfangsjahren scheint heute Lichtjahre entfernt zu sein von unserem Alltag. "Es war einfach alles ganz anders", das sagen die 98-jährige Maria Johannides und die 93-jährige Anna-Maria Gehindy unisono.
Eine Ausbildung machen, einen Beruf nach den eigenen Interessen lernen, das stand für beide Frauen nicht zur Diskussion. "Ich durfte keine Lehre machen, wir hatten ja Landwirtschaft", erinnert sich Maria Johannides, deren Eltern einen Milchbauernhof hatten. Sie war noch keine 14 Jahre alt, als sie mit der Schule fertig war und fortan zuhause mit anpacken musste. Ähnlich erging es auch der heute 93-jährigen Anna-Maria Gehindy aus Ingelheim. Auch ihre Eltern hatten Landwirtschaft und bauten unter anderem Spargel, Kirschen und Pfirsiche an. "Du musst im Feld helfen, Du kannst nichts lernen", hörte Anna-Maria Gehindy von ihrer Mutter.
Der Alltag mit Kohleofen, Zinkwanne und fleißigen Briefträgern
Der Alltag, so erinnern sich die Zeitzeuginnen, war in vielen Dingen beschwerlicher - in mancherlei Hinsicht aber auch überraschend praktisch. Geheizt wurde früher mit Kohle - aber mit großem Bedacht: "Wir hatten schon mehrere Öfen zum Heizen, aber es wurde eigentlich nur in der Küche geheizt, weil man sich da aufgehalten hat", erinnert sich Maria Johannides. Als später eine Gasheizung kam, "da konnte ich nicht einschlafen, das war eine große Umstellung, weil es insgesamt wärmer war".
Auf dem Küchenfeuer wurde bei der Familie von Anna-Maria Gehindy auch das Wasser zum Baden warm gemacht. Immer am Samstag, dann war Badetag - und zwar für die ganze Familie. In der Küche wurde die Zinkwanne aufgestellt und dann wurde in genau festgelegter Reihenfolge gebadet: "Erst sind wir Kinder gebadet worden, dann kamen die Eltern an die Reihe und wenn das Wasser noch gut war, hat auch noch unsere Oma gebadet." Anna-Maria Gehindy erinnert sich, dass das so noch bis in die 1950er Jahre üblich war.
Anders als beim Baden gab es bei der Post eine viele höhere Schlagzahl als heute: "Der Briefträger kam zweimal am Tag. Morgens früh und dann nochmal am Nachmittag. Und an allen Wochentagen, bis auf den Sonntag", erzählt Maria Johannides.
Unverpackt-Läden waren normal
Rund um die Elternhäuser der beiden Seniorinnen gab es sämtliche Geschäfte des täglichen Lebens: Ob Bäcker, Metzger, den klassischen Tante-Emma-Laden oder das Milchgeschäft - "wir hatten alles in der Straße und konnten hinlaufen", erinnert sich Maria Johannides an den Alltag im Mainzer Stadtteil Bretzenheim. Die Milch ließ sich die Familie von Anna-Maria Gehindy in Kannen abfüllen und auch Zucker oder Mehl gab es nicht in fertigen Päckchen. "Da gab es Spitztüten und dann kaufte man eben ein Pfund oder ein Kilo Mehl lose", erinnert sie sich. Heute würde man von umweltfreundlichen Unverpackt-Läden sprechen.
In diesen Anfangsjahren von Rheinland-Pfalz war das Leben in vielen Bereichen auf Kante genäht, es wurde geflickt und repariert, wo es nur ging. Wegschmeißen - das war den Menschen ein Fremdwort. Nachhaltigkeit war damals Normalität. Maria Johannides holt eine fünf Zentimeter kleine Miniatur-Milchflasche hervor, in der ein Nähset verpackt ist - Nähgarn, Näh- und Sicherheitsnadel sowie Fingerhut, alles drin. Ein nachhaltiger, ökologischer Werbeartikel, den vor mehr als 70 Jahren die Kunden auf dem Milchhof der Eltern geschenkt bekamen.
Der Rhein - Schwimmbad und Schlittschuhbahn
Freizeit - für die beiden über 90-jährigen Frauen ein Fremdwort, auch heute noch. Irgendwas ist immer zu tun, da sind sie sich einig. Mit leeren Händen gehen, das ist verschwendete Zeit. Aber der Spaß und die Freude blieben dennoch nicht ganz auf der Strecke, erzählt Anna-Maria Gehindy und strahlt bei der Erinnerung: "Wir waren immer eine ganze Gruppe als ich so 17 oder 18 war. Da sind wir mit den Rädern zum Rhein in Heidenfahrt zum Schwimmen." Gefährlich war das damals genauso wie heute. Sie erinnert sich an zwei ertrunkene Bekannte. Sie selbst hatte schon mit fünf Jahren schwimmen gelernt, genauso wie radfahren.
An den Rhein zog es die Jugendlichen auch im Winter. Früher war es immer wieder so kalt, dass die Menschen über den zugefrorenen Fluss laufen konnten. Heute undenkbar - präsent ist die Erinnerung aus dem Jahr 2018 als man bei Bingen nach einer langen Hitzeperiode durch den Fluss zum Binger Mäuseturm laufen konnte.
1947 war einer der kältesten Winter überhaupt. Im Februar 1947 waren es durchschnittlich -5 Grad und bei Oberwesel türmte sich das Packeis. "Ich habe den Rhein mehrfach zugefroren erlebt und dann sind wir rauf zum Eislaufen." Schlittschuhe hatte Anna-Maria Gehindy schon früh, "dafür hat meine Mutter gesorgt". Wobei der Schlittschuh eigentlich nicht mehr war als die Kufe mit einer Vorrichtung zum Festschnallen am Straßenschuh.
Bratwurst im Brötchen für eine Mark
"Wir mussten viel arbeiten, aber wir hatten auch viel Spaß", sagt die Ingelheimerin rückblickend, die mehr Gelegenheiten zum Feiern hatte als das "Stadtkind" Maria Johannides. Weinfeste waren für die Mainzerin unerreichbar weit weg - im sieben Kilometer entfernten Klein-Winternheim oder eben in Ingelheim. "Ich konnte ab 18 zum Weinfest, vorher nicht. Das war schön und laut", sagt dagegen Anna-Maria Gehindy. Und vor allem war wichtig: "Eine Wurst, eine Bratwurst im Brötchen für eine Mark, die musste immer sein."
Auf eine andere Freizeitaktivität hätte Anna-Maria Gehindy gerne verzichtet: auf den obligatorischen Sonntagsspaziergang mit den Eltern, selbst als sie schon fast erwachsen war. Aber: "Früher war das so, da haben wir gemacht, was uns gesagt wurde." Freiheit, Selbständigkeit so wie heute - das hätten Anna-Maria Gehindy und Maria Johannides in ihrer Jugend beide gerne gehabt. Dann hätten sie wohl beide ihren Traumberuf lernen können: Anna-Maria wäre Erzieherin geworden, Maria Johannides Schneiderin.