Wissing (FDP): "Digitalisierung hängt Menschen nicht ab"

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Andreas Herrler
Andreas Herrler steht im Gang eines SWR-Gebäudes.
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Stefan Eich

Vor dem Digitalgipfel der Bundesregierung fordert Digital- und Verkehrsminister Wissing, das Land schneller auf „digital only“ umzustellen. Gemeint ist, dass Verwaltung und Dienstleister nicht mehr sowohl mit Papier als auch mit Computer arbeiten sollen, sondern nur noch digital. Im SWR-Aktuell-Gespräch mit Andreas Herrler weist der FDP-Politiker den Vorwurf zurück, der Staat würde damit Menschen ohne Computerkenntnisse „abhängen“.

SWR Aktuell: Deutschland digital, innovativ, souverän, international das ist das Motto des heutigen Digitalgipfels in Frankfurt am Main. Weit mehr als tausend Teilnehmer sind dabei aus Wirtschaft, Wissenschaft und vor allem natürlich aus der Politik. Bundeskanzler Scholz reist nach Frankfurt. Bundeswirtschaftsminister Habeck will auch dort sei. Und natürlich ist auch Digitalminister Volker Wissing von der FDP dabei. Nehmen wir mal zwei Schlagworte aus diesem geradezu zitierten Motto „innovativ und souverän“. Beschreiben diese Begriffe in Sachen Digitalisierung die Gegenwart, oder sind das Wünsche für die Zukunft?

Volker Wissing: Wir sind schon gegenwärtig sehr gut aufgestellt. Wir sind in den letzten drei Jahren massiv vorangekommen, was die Digitalisierung angeht, und darüber freue ich mich sehr. Wir haben in Deutschland Fahrt aufgenommen, was die digitale Infrastruktur angeht. Die EU-Kommission spricht von einer spektakulären Aufholjagd. Vor allen Dingen ist wichtig, dass wir bei KI gut aufgestellt sind. Da bescheinigt uns die OECD, ein führender Standort in Europa zu sein. Und das ist der Erfolg, über den wir uns freuen können- aber auf dem wir uns nicht ausruhen wollen. Denn, wenn man vorne ist, muss man dafür sorgen, dass man auch vorne bleibt.

SWR Aktuell: Und in manchen Studien, in manchen europäischen Vergleichen, liegt Deutschland auch wiederum eher im Mittelfeld. Da ist Finnland zum Beispiel auf Platz eins bei den Digitalkompetenzen. Was muss sich denn da noch tun?

Wissing: Ganz entscheidend ist, dass man bei künstlicher Intelligenz vorne ist und dass man auch bei den digitalen Infrastrukturen vorne ist. Deutschland hat inzwischen 93 Prozent Flächenabdeckung mit 5G und 97 Prozent Mobilfunkabdeckung insgesamt mit 4G. Und wir kommen beim Glasfaserausbau voran. Der hat sich verdoppelt. Deutschland ist einer der führenden Forschungsstandorte für künstliche Intelligenz. Die Patente, die bei uns angemeldet werden, die zeigen, dass wir hinter den USA, aber vor China und Japan liegen. Das heißt: Platz zwei für Deutschland ist eine hervorragende Position. Deswegen sollten wir diese Erfolge identifizieren, sollten sie anerkennen, aber uns, wie gesagt, nicht darauf ausruhen. Denn entscheidend ist, dass wir jetzt, wo KI unser Leben verändern wird, auch souverän bleiben und diese Technologie selbst beherrschen.

SWR Aktuell: Nun sagt die Kreditanstalt für Wiederaufbau in einer Studie im September, dass die Erforschung digitaler Technologien keine Stärke des deutschen Innovations-Ökosystems sei. Führende Länder brächten hier vier bis sechsmal so viele wissenschaftliche Publikationen zu diesen Technologien hervor. Ist da also doch noch Nachholbedarf da?

Wissing: Nein, man kann immer besser werden, aber wir stehen sehr gut da. Die OECD, wie gesagt, bescheinigt uns ein führender Forschungsstandort bei KI zu sein. Aber wenn man diese ganzen Studien, die sich zum Teil auch widersprechen, mal beiseite nimmt, sehen wir ja, dass bei den digitalen Start-ups im KI-Bereich Deutschland ein enormes Wachstum hat. Da liegen wir hervorragend. Und das bedeutet: Bei uns passiert gerade ganz viel im Bereich künstlicher Intelligenz. Offensichtlich gelingt es uns sehr gut, dass wir die Erkenntnisse aus der Wissenschaft und Forschung auch ins Wirtschaftsleben transferieren können. Das heißt: Bei uns finden nicht nur Forschung und Entwicklung statt, sondern auch Gründung. Innovation wird bei uns umgesetzt und wird dann in Zukunft auch zur Wertschöpfung in unserem Land beitragen.

SWR Aktuell: Nun ist natürlich KI ein super wichtiges Thema, gerade für Unternehmen, und das wird in den nächsten Jahren sicherlich ein noch wichtigeres Thema werden. Aber viele ganz normale Bürgerinnen und Bürger sagen vielleicht auch: Naja, künstliche Intelligenz ist mir relativ wurscht, solange ich nicht einmal einen Führerschein oder meinen Ausweis digital beantragen kann. Wir haben neulich erst von einer Umfrage berichtet. Da haben ganz viele Menschen gesagt, sie hätten mittlerweile digitalen Kontakt zu ihrem Rathaus, ihrer Stadtverwaltung - aber nur, um einen Termin zu vereinbaren. Mehr tut sich da in Sachen Digitalisierung noch nicht. Wann wird denn das flächendeckend besser?

Wissing: Es ist vor allen Dingen eine Herkulesaufgabe für die Länder. Da muss mehr passieren. Der Bund hat seine Verwaltungsdienstleistungen bereits zu 90 Prozent digitalisiert. Sie können ein Fahrzeug voll digital anmelden und abmelden. Sie können mit dem E-Rezept das ist auch ein schönes Beispiel, ganz einfach ein Medikament bestellen oder auch ein neues Rezept sich digital zusenden lassen. Wir haben mit dem Deutschland-Ticket bei 13 Millionen Nutzern einen Riesensprung bei der Digitalisierung des ÖPNV geschafft und 4,8 Millionen aktive Kunden bei der Bund AG. Also klar, die Verwaltung, Dienstleistungen vor allen Dingen auf Landes- und kommunaler Ebene, die müssen digitaler werden. Beim Bund sind es schon 90 Prozent. Und das zeigt: Ja, es geht was, wenn man gezielt an einer Sache arbeitet.

SWR Aktuell: Da Sie das Deutschland Ticket ansprechen: Ich habe das auch. Und als ich das bekommen habe vor etwas mehr als einem Jahr, da war das eine Plastikkarte. Und auf dieser Plastikkarte war ein QR-Code aufgedruckt, und den konnten dann Kontrolleure abscannen. Es ist auch noch wieder so halb-digital gedacht. Findet die Digitalisierung vielleicht auch in manchen Köpfen, vielleicht auch auf Landes- bis hin zu Kreisebene, eben noch nicht ausreichend statt?

Wissing: Das Problem ist, dass sich viele Menschen Doppelstrukturen wünschen. Das heißt, das Analoge soll beibehalten werden und das Digitale als Option. Hinzukommen. Das halte ich nicht für richtig. Wir müssen digital machen, das Analoge abschalten, nur noch digital arbeiten, wo es sinnvoll ist und wo es gut funktioniert. Denn der Vorteil des Digitalen ist ja nicht nur, dass es einfacher ist im Umgang im Alltag, sondern dass auch Daten generiert werden, die uns helfen, die Dinge präziser zu planen. Bleiben wir beim Beispiel des ÖPNV: Wenn wir wissen, wie viele Menschen zu welcher Uhrzeit von wo nach wo fahren wollen, dann kann man den ÖPNV auch passgerecht planen. Dann fahren weniger Busse und Bahnen leer durch die Gegend. Das ist effizienter, kostengünstiger. Und dadurch kann man das Angebot für die Bürger so ausweiten, dass es dann zur Verfügung steht, wenn es von vielen genutzt werden soll. Und diese Dinge, die brauchen wir in den nächsten Jahren. Der Bund ist hier Treiber. Wenn ich nicht so viel Druck gemacht hätte, hätte es das Deutschland-Ticket in Papierform gegeben. Das war jedenfalls der Wunsch vieler Bundesländer. Deswegen ist es wichtig, dass wir ein Digitalministerium auf Bundesebene haben, das klar committed ist, mit einer klaren Digitalstrategie und immer wieder einfordert, dort, wo es sinnvoll ist, so schnell wie möglich „digital only“.

SWR Aktuell: Sie sagen: alles digital. Hängen Sie dann nicht wieder zum Beispiel ältere Menschen ab, die sagen: Ich komme mit der Technik nicht klar?

Wissing: Die Digitalisierung hilft auch älteren Menschen. Ich habe neulich sind Digital-Preis bei der Caritas mit verliehen und dort erleben können, wie Menschen mit Behinderung es im Leben leichter haben, wenn Digitalisierung und künstliche Intelligenz genutzt werden. Dieses Argument, dass die Digitalisierung Menschen zurücklässt, teile ich nicht. Im Gegenteil: Digitalisierung ist ein wichtiger Beitrag zur Inklusion und auch zur Unterstützung von Menschen, die im Alltag Unterstützung brauchen. Nehmen Sie nur eine Sprachsteuerung eines Zimmers. Dann müssen Menschen, die vielleicht Schwierigkeiten haben, aufzustehen oder zu laufen, nicht den Lichtschalter bedienen oder können Hilfe auch einfach per Sprachsteuerung rufen, wenn sie sie brauchen. Auf einfache Art und Weise. Sie müssen nicht Knöpfe betätigen, wenn ihnen das körperlich schwerfällt. Wir sollten dieses Argument, dass Menschen nicht zurückgelassen bleiben dürfen, dass ja richtig ist, nicht als Argument gegen die Digitalisierung nutzen. Denn Digitalisierung ist ein wichtiger Inklusionsbeitrag.