Wieder Castoren unterwegs: Warum bald Atommüll durch Deutschland rollt

Stand
Autor/in
Constance Schirra

Demonstrationen, Atomkraftgegner, die sich an Gleise ketten, und auf der anderen Seite Hunderte Polizisten. Das waren Mitte/Ende der 1990er prägende Bilder, wenn Atommüll in Castor-Behältern durch Deutschland transportiert wurde. Auch heute noch gibt es solche Transporte. Denn Brennelemente aus deutschen Atomkraftwerken wurden über Jahre in England und Frankreich wiederaufbereitet. Den strahlenden Müll, der übrig bleibt, müssen die deutschen Kraftwerksbetreiber zurücknehmen. Bis Ende des Jahres werden die letzten radioaktiven Abfälle aus der Wiederaufbereitungsanlage im französischen La Hague ins Zwischenlager Philippsburg gebracht. Alice Thiel-Sonnen aus der SWR-Umweltredaktion erklärt im Gespräch mit Constance Schirra, was über den Transport bekannt ist.

SWR Aktuell: Was weiß man über den Transport?

Alice Thiel-Sonnen: Man weiß, es werden vier Castoren sein. Der Transport läuft nahezu komplett über die Schiene, und er wird noch in diesem Jahr laufen. Das ist aber auch alles, was man weiß. Das steht in der Genehmigung, wann genau das läuft, wo genau das läuft - und das wird natürlich geheim gehalten, aus Sicherheitsgründen.

Statt viel schwach strahlendem Müll jetzt nur ein Transport, aber hochradioaktiv

SWR Aktuell: Ursprünglich sollten ja viel mehr Castoren mit Atommüll aus Frankreich zurückkommen. Warum jetzt nur dieser eine Transporte?

Thiel-Sonnen: Das hatten Deutschland und Frankreich 2021 ausgehandelt. Das ist ein Kompromiss. Eigentlich hätten es 157 Behälter sein müssen, mit schwach- bis mittelradioaktivem Müll. Das wären insgesamt 17 Transporte gewesen, und das hätte natürlich noch Jahre gedauert. Da hat Frankreich ein bisschen Dampf gemacht, und deshalb hat man sich geeinigt. Vier Castor-Behälter, das ist dann nur noch ein Transport. Dafür sind die dann aber mit hochradioaktivem Abfall gefüllt. Das heißt: Insgesamt ist das radioaktive Volumen, das zurückgenommen werden muss, gleichgeblieben, aber jetzt eben nur noch in einem Transport.

SWR Aktuell: Also geht es jetzt um den letzten radioaktiven Müll aus Frankreich. Was ist denn mit dem, der in England ist?

Thiel-Sonnen: Es steht natürlich auch noch Atommüll in der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield in Großbritannien. Der muss auch zurückgenommen werden. Bislang gab es da erst einen Rücktransport vor vier Jahren ins Zwischenlager am AKW Biblis in Hessen. Es stehen noch 14 Behälter mit hochradioaktiven Abfällen in Sellafield. Sieben davon sollen ins Zwischenlager Isar nach Bayern, die anderen sieben nach Brokdorf in Schleswig-Holstein. Dass die Behälter dort gelagert werden dürfen, das ist schon genehmigt. Aber für die Transporte gibt es noch keine Genehmigung. Die Bundesregierung schätzt, dass das alles dann voraussichtlich 2026 abgeschlossen sein wird.

SWR Aktuell: Warum kommt jetzt dieser Müll, dieser Castor-Transport aus La Hague ausgerechnet nach Philippsburg?

Thiel-Sonnen: In den ersten Jahren liefen diese ganzen Atommülltransporte aus Frankreich oder Sellafield nach Gorleben. Und da hat man sich 2015 zwischen Bund und Ländern geeinigt: Es sollten eigentlich möglichst alle Verursacher auch zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb eben diese anteilsmäßige Verteilung von dem, was noch an Rücklieferungen aussteht, auf diese Zwischenlager. Das waren Biblis, Brokdorf, Isar, Philippsburg. Und damit hat man jeden der vier AKW-Betreiber in Deutschland sozusagen getroffen. Jeder kriegt was ab und damit eben auch die EnBW. Da eignete sich das Zwischenlager Philippsburg, weil es noch Platz hatte, und weil es eben sich für die Transporte aus Frankreich gut einigt. Es ist sehr nah und der Transport lässt sich eben über die Schiene sehr gut abwickeln.

SWR Aktuell: Ist das Zwischenlager Philippsburg damit voll oder kommt da noch mehr Müll hin?

Thiel-Sonnen: Es ist noch nicht ganz voll, aber es soll auf keinen Fall weiterer Atommüll dort gelagert werden. Das hat der Chef der Kernenergie-Sparte der EnBW ausdrücklich betont. Und es gibt auch im Prinzip ja keinen Anlass. Das, was aus dem Ausland noch kommt, kommt aus Großbritannien. Das kommt über Schiffswege. Und da ist so ein Standort in Süddeutschland wirklich auch ungeeignet, da noch irgendetwas aufzunehmen.

Zwischenlager können nicht ewig betrieben werden

SWR Aktuell: Jetzt ist Philippsburg ja nur ein Zwischenlager. Ein Endlager haben wir noch gar nicht. Warum wartet man denn eigentlich nicht, bis es das gibt? Dann müsste man den Müll nicht zweimal „anfassen“…

Thiel-Sonnen: Das ist die Kritik der Anti-Atomkraft Bewegung. Die sagt, die Transporte jetzt könnte man sich doch eigentlich sparen. Man muss aber mal sehen, wie lange dieser Müll schon im Ausland, also in Großbritannien und Frankreich liegt. Es ist ja schon seit vielen Jahren eigentlich verboten, Atommüll in die Wiederaufbereitung zu bringen. Das heißt, das ist Müll von vor zwei Jahrzehnten. Und dass das Ausland da natürlich auch Interesse hat, den möglichst bald wieder loszuwerden und nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten will, das ist durchaus verständlich. Und wenn wir mal sehen, wie lange es noch dauern wird, bis wir wirklich ein Endlager haben... Derzeit wird über die 2040er, 2060er-Jahre gesprochen, dass dann ein Standort feststehen soll. Es dauert also viel zu lange, um zu sagen, wir schleichen uns da aus der Verantwortung.

SWR Aktuell: Ist denn dieses Zwischenlager Philippsburg für diese hochradioaktiven Abfälle auch sicher genug?

Thiel-Sonnen:Im Moment auf jeden Fall. Die Zwischenlager sind alle auf ungefähr so 40 Jahre genehmigt worden. Aber das ist ein Grundproblem, was wir in Deutschland haben werden mit unserem Atommüll - denn bis dahin haben wir noch kein Endlager für hochradioaktiven Müll. Das heißt, man muss sich in Deutschland auch eine Vorstellung machen, wie geht es weiter mit den Zwischenlagern, wenn die Genehmigungen dort auslaufen? Muss das neue geprüft und muss das neu genehmigt werden?

Stand
Autor/in
Constance Schirra