Immer sonntags zeigen ARD und ZDF die Sommerinterviews. Warum die in Zeiten von Social Media wichtig bleiben, sagt der Politikberater Johannes Hillje im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Stefan Eich.
Bundes- und Landespolitik sind weitgehend in den Ferien. Auch der Bundeskanzler macht Pause. Mit seiner Sommer-Pressekonferenz am Freitag (14. Juli) hat sich Olaf Scholz (SPD) in den Urlaub verabschiedet.
Doch das Politikgeschäft läuft auf Social Media natürlich weiter. Im Fernsehen zeigen ARD und ZDF immer sonntags die Sommerinterviews. Warum diese Form des Journalismus in Zeiten von Twitter, Facebook, Instagram und TikTok besonders wichtig ist, erläutert der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. SWR Aktuell-Moderator Stefan Eich hat mit ihm gesprochen.
SWR Aktuell: Twitter und Instagram haben nie Ferien. Unsere Politiker sind dort auch im Urlaub omnipräsent und melden sich einfach so zu Wort, wenn sie was zu sagen haben. Brauchen wir die Institution Sommerinterview überhaupt noch?
Johannes Hillje: Nun, das eine ist Journalismus, und das andere ist Polit-PR. Es ist gut, wenn Politiker und Politikerinnen über Social Media zu den Menschen direkt kommunizieren. Aber auf Social Media sind Politiker eben ihr eigenes Medium, und kritische journalistische Rückfragen sind da gar nicht möglich. Deswegen sind politische Kommunikation und politischer Journalismus immer komplementär. Sie ergänzen sich, aber sie können sich in einer demokratischen Öffentlichkeit niemals ersetzen. Wir brauchen beides in hoher Qualität, insbesondere in einer Zeit, in der ein hoher Vermittlungsbedarf von Politik gegenüber der Bevölkerung besteht.
SWR Aktuell: In einem typischen Sommerinterview sitzt der Politiker bei sich zu Hause oder zumindest in irgendeinem Garten. Der Journalist sitzt auf einem Stühlchen daneben. Beide wirken, was die Kleidung angeht, recht entspannt. Besteht da nicht die Gefahr, dass ein solches Interview eine harmlose Plauderei wird, allein wegen der Situation, in der es stattfindet?
Hillje: Es gibt ja zwei große Sommerinterview-Formate im deutschen Fernsehen. In der ARD finden die Interviews draußen vor dem Reichstagsgebäude statt, im ZDF tatsächlich an einem schönen Fleckchen im Heimatort des Politikers oder der Politikerin. Und sie haben schon recht: Dieses Setting vermittelt manchmal ein bisschen eine Sommerlaune-Atmosphäre.
Aber Sommerinterviews sind keine Urlaubsveranstaltung. Für die Politiker geht oft darum, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Fragen sind durchaus kritisch. Das hat man auch bei den ersten Sommerinterviews in diesem Jahr gesehen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an ein Interview im Sommer 2018 mit Alexander Gauland von der AfD. Da wurde er mal nicht nach den Lieblingsthemen der AfD befragt, sondern zu Mindestlohn, Digitalisierung, Pendlerpauschale. Das wurde dann zu einem Beispiel aus dem Lehrbuch, wie man die AfD interviewen sollte. Denn da wurden sehr üppige Leerstellen in der Programmatik der Partei deutlich. Deshalb ist das Sommerinterview keine Wohlfühlveranstaltung.
SWR Aktuell: Es kann also passieren, dass sich ein Politiker von dem Setting - von der Atmosphäre - ein bisschen einlullen lässt und dann bei einer kritischen Frage aufläuft?
Hillje: Ich würde grundsätzlich sagen, dass Sommerinterviews kritische Interviews sind. Wir haben es auch schon öfter gesehen, dass sich einige Politiker ein Stück weit ihren Sommerurlaub, der danach in der Regel erfolgt, vermiest haben, weil sie eine Diskussion angestoßen haben. Im letzten Jahr beispielsweise hat Friedrich Merz die Pariser Klimaziele für unerreichbar erklärt. Das hat für Kritik gesorgt. Also damit muss ein Politiker rechnen, dass danach natürlich die Diskussion weitergeht.
Außerdem sind Sommerinterviews in diesen Krisenzeiten wichtig. Sie regen zum Nachdenken über den richtigen politischen Kurs an. Das ist in den Sommerinterviews möglich, weil sie mit 20 Minuten bis 30 Minuten gut geeignet sind, die relevanten Themen etwas vertiefter zu besprechen, als das an anderer Stelle möglich ist.
Leider werden Sommerinterviews oft journalistisch etwas anders ausgefüllt. Das sehe ich eher kritisch. Die Moderatoren wollen sehr viele Themen besprechen. Damit werden Sommerinterviews zu einem Checklisten-Journalismus. Es wird eine große Anzahl von Themen der Reihe nach abgefragt. Dabei kommt das vertiefte und kritische Nachfragen oftmals zu kurz.
Ich bin beispielsweise kein Freund dieser sogenannten Schnellrunden. Damit meine ich Fragen, auf die Politiker und Politikerinnen nur mit einem Satz antworten dürfen. Ich glaube, diese Art der journalistischen Aufbereitung wird der Komplexität der Themen häufig nicht gerecht. Da könnte man aus einem langen Format mehr herausholen.
SWR Aktuell: Schauen wir auf die Sommerreisen der Politikerinnen und Politiker. Die Idee ist klar: Man will sich volksnah zeigen und den Menschen das Gefühl vermitteln, die Politik interessiere sich dafür, was vor Ort los ist. Stehen Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis?
Hillje: Der direkte Dialog ist gerade in diesen Zeiten großer Verunsicherung enorm wichtig. Vertrauen entsteht durch Verständigung. Sommerreisen dienen dem Vertrauensaufbau. Wenn eine Sommerreise gut geplant ist, hat der Politiker mindestens drei größere Termine an einem Tag und kann vielleicht insgesamt 500 bis 600 Leute treffen. Wenn Interviews mit regionalen Medien vor Ort hinzukommen, werden die Inhalte noch über Social Media verbreitet. Dabei können die wichtigen Politiker durchschnittlich mit einem Post noch einmal bis zu 100.000 Leute erreichen. Der Aufwand wird in jedem Fall dem Ertrag gerecht, weil in diesen Zeiten nichts wichtiger als der direkte Dialog mit den Menschen ist.