Für den neuen Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, General Wolf-Jürgen Stahl, ist Russland das größte Sicherheitsrisiko. Er ist überzeugt, dass Putin nicht mit der Ukraine aufhört, sondern "dass es gegebenenfalls weitergeht".
Kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist die Situation vor Ort schwierig. Während der Ukraine die Munition ausgehen könnte, hat Russland längst auf Kriegswirtschaft umgestellt. Das heißt, es nutzt seine Rohstoffe vorrangig, um Rüstungsgüter und Munition zu produzieren. "Damit generiert Russland eine wachsende militärische Fähigkeit, die man auch außerhalb der Ukraine oder nach einem Krieg einsetzen kann", befürchtet General Wolf-Jürgen Stahl. Und während Russland Waffen und Munition aus Nordkorea und dem Iran bekommt, wackelt die westliche Unterstützung für die Ukraine. Doch die müsse jetzt gewährleistet werden und künftig wachsen, sagt General Wolf-Jürgen Stahl. Sein derzeitiger Eindruck: "Zum Gewinnen hat die Ukraine zu wenig, zum Verlieren glücklicherweise zu viel. Sie können Widerstand leisten".
Deutschland kann sich behaupten
Der neue Präsident der Bundesakademie für Sicherheit ist sicher, auch die Bundeswehr könnte sich "im Krieg behaupten, aber begrenzt". Es gehe deshalb jetzt darum, "dass man es länger, dass man es umfänglicher kann". Die Fähigkeit Deutschlands sich zu verteidigen, muss besser werden, fordert General Stahl. Und deshalb muss mehr investiert werden - "wenn die Mittel begrenzt sind, dann muss priorisiert werden - auch wenn das schmerzhaft ist". Es geht dabei nicht nur um die Ausstattung der Bundeswehr, sondern um die sogenannte Gesamtverteidigung. "Das bedeutet nicht nur militärische, sondern auch zivile Verteidigung". Also, dass Menschen beispielsweise eine Grundausstattung an Lebensmitteln und Wasser bevorraten, für den Fall, dass Lieferketten zusammenbrechen. Dass Brücken Panzern standhalten oder dass "militärische Transporte auf Autobahnen akzeptiert werden", auch wenn sie zu Verkehrseinschränkungen führen. Die vieldiskutierte Wiedereinführung der Wehrpflicht sieht General Stahl als "kleineren Teil“ des Ganzen an. Insgesamt müsse Sicherheit in diesem Land von jedem mitgetragen werden, denn jeder Bürger ist betroffen.
Angst vor atomarer Aufrüstung
Die jüngste Debatte um amerikanische und mögliche europäische Atomwaffen hält General Stahl für wenig zielführend, denn es gibt eine atomare Abschreckung. Schließlich sind in Europa US-amerikanische Atomwaffen stationiert: "Diese Dimension gibt es in der NATO ohne Wenn und Aber. Und es besteht weiterhin die Notwendigkeit dafür". Die Atomwaffen abzuschaffen, erlaube die globale Situation leider nicht, so der General im SWR-Interview der Woche. Die vorrangige Frage ist aus seiner Sicht vielmehr, "wie europäisch wollen wir uns militärisch aufstellen". Wenn man eine europäische Armee will, dann komme man irgendwann auch dahin, über die "nukleare Komponente zu sprechen und wie man die dann europäisch abdeckt". Stahl gibt dabei aber zu bedenken, dass über eine europäische Armee schon seit Jahrzehnten geredet wird. Grundsätzlich hält der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik "Angst vor Aufrüstung" für den falschen Ansatz. Man müsse vielmehr Angst haben, "dass wir nicht genügend abschrecken können, dass wir nicht genügend verteidigungsfähig sind".
Kaum Aussichten auf eine Verhandlungslösung
Mit Blick auf Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine ist der Sicherheitsexperte derzeit skeptisch. Es finden zwar Verhandlungen statt, wenn es zum Beispiel um den Austausch von Gefangenen geht. Hier habe man eine gemeinsame Basis. Für weitergehende Verhandlungen mit Blick auf einen Waffenstillstand oder gar einen Frieden, sieht General Stahl derzeit keine Voraussetzungen: "Einfach nur miteinander reden und weiterhin sterben Menschen, das ist für mich keine konstruktive Grundlage für Verhandlungen". Angesichts dieser insgesamt schwierigen Situation fordert er, die Realitäten anzuerkennen. Aus Sicht des neuen Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ist Russland auch für Deutschland "auf absehbare Zeit die größte Gefahr".