Wegen Verspätungen und Zugausfällen musste die Deutsche Bahn im letzten Jahr eine Rekordsumme an Entschädigungen zahlen. Das wird nun wohl ähnlich weitergehen. Im Raum Stuttgart werden wegen einer Sanierung ab dem 21. April wichtige Strecken gesperrt. Dagegen will das bundesweite "Aktionsbündnis gegen Streckensperrungen" am Freitagabend am Stuttgarter Hauptbahnhof protestieren. Ihr Motto: "Wir lassen uns nicht abhängen". SWR Aktuell hat mit dem Sprecher des Bündnisses über die Forderungen und die Kritik an der Deutschen Bahn gesprochen.
SWR Aktuell: Ihr Bündnis hat für heute Abend zu einer Demo vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof aufgerufen, unter dem Motto "Wir lassen uns nicht abhängen". Sind sie also nicht dafür, dass das Bahnnetz modernisiert wird?
Martin Poguntke: Natürlich sind wir dafür, dass das Bahnnetz modernisiert wird. Aber die Bahn macht - seit sie besteht - Streckenarbeiten nachts, weil die Aufrechterhaltung des Zugverkehrs ein hohes Gut mit Verfassungsrang ist. Und da kann man nicht einfach wochenlang eine Bahnstrecke dafür stilllegen.
SWR Aktuell: Die Folge wäre dann aber doch, dass man noch länger braucht für wichtige Instandhaltungsarbeiten ...
Poguntke: Dann muss man diese Arbeiten eben zeitlich strecken. Wir fordern, dass die Bahn ausschließlich nachts arbeitet - auch wenn das teurer wird, auch wenn Stuttgart 21 deswegen später in Betrieb geht.
SWR Aktuell: Also im Klartext: Sie haben den Eindruck, die Bahn zieht da ihre Arbeiten durch und wie es den Bahnpendlern geht, ist ihr wurscht?
Poguntke: Ja, das scheint wirklich so zu sein. Stuttgart 21 und dieser "Digitale Knoten Stuttgart" sind ein politisches Projekt, das von der Bahn-Spitze lediglich willfährig unterstützt wird. Und wir fordern deshalb, dass sich auch die Politik dieser Sperrungspläne annimmt und sie sofort stoppt. Der Verkehrsminister versucht sich da einen schlanken Fuß zu machen, um nicht der Schuldige für eine neue Stuttgart-21- Verspätung zu sein. Aber es ist sein Job, sich für die Aufrechterhaltung des Zugverkehrs einzusetzen.
SWR Aktuell: Ihr Bündnis setzt sich aus verschiedenen Initiativen zusammen, Vereine und Kommunalpolitiker sind dabei, Parteien auch. Was hat Sie motiviert zu sagen: Wir müssen etwas tun?
Poguntke: Der Ärger ist riesengroß im Rems-Murr-Kreis und darüber hinaus. Die Leute - ganz normale - die mit Politik sonst nichts zu tun haben, sprechen uns an, nehmen uns die Flugblätter aus der Hand, weil sie empört darüber sind, dass sie jetzt bis zu elf Wochen nicht mehr die paar Kilometer in die Stadt nach Stuttgart kommen können. Und die Bahn kündigt einen Ersatzverkehr an - mit 80 Omnibussen! Man fragt sich, woher die kommen sollen, woher die 80 Fahrer kommen sollen, wo diese 80 Busse überhaupt vor dem Bahnhof in Waiblingen oder in Cannstatt halten sollen.
SWR Aktuell: Sie glauben also, der Ersatzverkehr wird nicht funktionieren?
Poguntke: Die reine Katastrophe wird das sein. Die Bahn kündigt an, sie wolle für die Busse eine Extraspur freihalten auf der Bundesstraße. Das führt dann eben zu entsprechenden Autostaus.
SWR Aktuell: Sie haben gesagt, Ihnen geht es vor allem darum, dass die Bahn diese Arbeiten nur nachts durchführt - also nicht Tag und Nacht die Strecken sperrt. Ist das alles? Oder haben Sie vielleicht sonst noch weitergehende Forderungen, vielleicht eben, dass die Kommunikation besser wird?
Poguntke: Es ist ja fast ins Leere gesprochen, von der Bahn noch irgendwie gute Kommunikation zu fordern. Seit Monaten und Jahren haben wir hier an unseren Strecken ein ständiges Chaos mit der Bahn - und die Bahn informiert nicht vorne und nicht hinten. Wir sind es leid, von der Bahn eine gute Kommunikation zu fordern.
SWR Aktuell: Wenn diese Arbeiten gestreckt werden, beispielsweise eben nur nachts stattfinden, dann dauert das Ganze noch viel, viel länger. Glauben Sie nicht, dass am Ende langfristig die Vorteile überwiegen könnten?
Poguntke: Auf gar keinen Fall! Wenn der Bahnhof fertig ist, wird ja alles noch viel schlimmer, weil der Bahnhof zu klein ist und es auf den Zuläufen noch mehr Verkehrschaos in der Bahn gibt.
SWR Aktuell: Sie rufen ja heute Abend zur eine Demo auf. Ist das erstmal der Auftakt? Was planen Sie noch weiter?
Poguntke: Wir werden in Kontakt bleiben in diesem Bündnis und planen natürlich weiter. Wir wollen jetzt mal sehen, wie das in den nächsten Wochen weitergeht, was die Bahn an Veränderungen ankündigt. Dann werden wir sehen, welche Maßnahmen wir noch ergreifen wollen.
SWR Aktuell: Mit wie vielen Leuten rechnen Sie heute Abend in Stuttgart?
Poguntke: Mindestens mit 1.000 Leuten. Das sind ja keine üblichen "Polit-Demonstranten". Deswegen wollen wir unsere Erwartungen nicht zu hoch setzen.
SWR Aktuell: Wie groß sind die Überschneidungen mit der S21-Gegnerschaft?
Poguntke: Es sind auch viele S21-Gegner dabei. Aber das Besondere an diesem Bündnis ist wirklich, dass es ein breites Bürgerbündnis ist, das nicht speziell von uns jetzt dominiert oder geplant wird.