Queere Pastorin: "Evangelische Kirche lässt Homophobie zu"

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Autor/in
Jenny Beyen

Queer zu leben und gleichzeitig Pastorin in der evangelischen Kirche zu sein - funktioniert das? Über ihre Erfahrungen hat Ellen Radtke mit SWR Aktuell-Moderatorin Jenny Beyen gesprochen.

In Nürnberg findet der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Das Motto lautet „Jetzt ist die Zeit“. Es wird um das Thema Vielfalt in der Kirche gehen. Hauptrednerin einer Podiumsdikussion ist die Pastorin Ellen Radtke, die mit einer Frau verheiratet ist, die ebenfalls Pastorin ist. Beide betreiben den queeren YouTube-Kanal "Anders Amen".

SWR Aktuell: Wie sehr fühlen Sie und Ihre Frau sich als verheiratetes Pastorinnenpaar mit Kind in einem kleinen Dorf in Niedersachsen akzeptiert?

Ellen Radtke: In unserem Dorf war es nie ein Problem - egal, in welchen Dörfern wir bisher waren. Wir sind mit dem Kind sogar noch akzeptierter als vorher, weil vorher immer die Fragen kamen: "Na, jetzt wird es bei Euch aber auch Zeit, oder?" Da wurde mir immer gesagt: "Ellen, Du bist schon 35 - langsam muss aber mal!" Als dann das Kind da war, stand für alle fest: "Jetzt sind sie endlich eine Familie." Und dann war es gut.

SWR Aktuell: Sind Sie denn mit Ihrer Lebensführung in der Gemeinde, bei Kollegen oder auch in der Kirchenleitung nie angeeckt?

Radtke: Bei der Kirchenleitung tatsächlich nie. Wir haben immer Unterstützung von allen Leitenden bekommen. Aber tatsächlich ist das größere Problem der Kolleg:innen-Kreis. Auch wenn unsere Kirche sagt, dass sie für Vielfalt steht, lässt sie in dieser Vielfalt auch homophobe Meinungen zu. Und die Kirche lässt es auch zu, dass Menschen hetzen dürfen, dass sie die Bibel missbrauchen dürfen, um Hass zu verbreiten. Das kriegen wir eben auch mit.

SWR Aktuell: Sie stammen aus einer katholischen Familie und dort wäre Ihr Lebensstil nicht denkbar. Haben Sie deshalb die Kirche gewechselt?

Radtke: So weit war ich damals noch nicht. Ich war 17, als ich konvertieren wollte. Damals ging es vor allem um die Frauenfrage. Ich habe nicht verstanden, warum der Priester, den ich nicht so gerne mochte, alles tun durfte. Auf der anderen Seite durfte die Pastoralreferentin, die ich total super fand und die mit uns Jugendlichen super gearbeitet hat, in der Kirche nie vorne stehen. Das war für mich damals der Anlass zu wechseln.

SWR Aktuell: Kann man zugespitzt sagen - in Sachen Vielfalt ist die evangelische Kirche inzwischen sehr offen und liberal und die katholische Kirche leider noch sehr rückständig?

Radtke: Ich würde sagen: die evangelische Kirche ist auf einem guten Weg. Wir sollten aber nichts beschönigen. Und der katholischen Kirche - der wünsche ich einfach alles Gute.

SWR Aktuell: Was fehlt Ihnen noch in der evangelischen Kirche?

Radtke: Von den 20 Bischöfen, die wir in Deutschland haben, sind gerade einmal vier Stellen mit Frauen besetzt. Schon da fängt es an. Wir haben zwar viel Vielfalt an der Basis, aber oft geht es dann nur darum, sich um die Armen zu kümmern. Das kann Kirche gut. Sie kümmert sich um die queere Community, weil das diskriminierte Menschen sind. Aber sie wirklich als Menschen wahrzunehmen, die sich einbringen, die Kompetenzen haben, die selbst Leitungsaufgaben übernehmen können, so weit sind wir noch lange nicht.

SWR Aktuell: Sie betreiben gemeinsam mit Ihrer Frau den YouTube-Kanal "Anders Amen", wo Sie sehr offen und lustig über Ihr Privatleben Auskunft geben. Warum thematisieren Sie Ihr Familienleben in der Öffentlichkeit?

Radtke: Weil das Private immer politisch ist. Zum Beispiel: Wo kriegen zwei Frauen ein Kind her? Wie leben die miteinander? Haben die ihr ganzes Zimmer mit Regenbogentapeten vollgeklebt? Was feiern die für Partys miteinander? Um zu zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind, die sich zufällig ineinander verliebt haben, ist der YouTube-Kanal wichtig.

SWR Aktuell: Bekommen Sie auch negative Reaktionen bei YouTube?

Radtke: Ja. Leider. Wir versuchen, es einzuordnen, dass weniger als ein Prozent der Reaktionen negativ sind. Aber es ging sogar schon so weit, dass uns Gewalt angedroht worden ist. Das ist immer so, wenn man Online präsent ist.

SWR Aktuell: Wann denken Sie, dass die Gesellschaft so weit ist, dass wir beide solche Interviews nicht mehr führen müssen, weil queere Paare in der Kirche so selbstverständlich sind, dass es für niemanden mehr ein Thema ist?

Radtke: Ich hätte immer gesagt, dass es nicht mehr lange dauert. Aber wir erleben gerade eher einen Backlash. Also es geht gerade in der Gesellschaft eher wieder zurück. Wir merken das selbst, dass böse Kommentare und Blicke auf der Straße gerade zunehmen. Deswegen - ich weiß es nicht. Ich hoffe, wenn meine Tochter erwachsen ist, dass es dann völlig egal ist, in was für einen Menschen sie sich verliebt.

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Jenny Beyen