Nach schweren Missbrauchsvorwürfen in Videos auf TikTok gegen eine Kita in Freiburg steht nun fest, dass die Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprechen. Das haben Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitag in einer gemeinsamen Pressemitteilung klargestellt. Die Behörden haben demnach Ermittlungen zu den im Internet verbreiteten falschen Behauptungen aufgenommen. Laut Mitteilung liegen auch mehrere Strafanträge von Betroffenen vor - geprüft werden nun die Straftatbestände der Verleumdung, der üblen Nachrede und des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten. Die Polizei will die Urheberin der Videos ausfindig machen, deren Account mittlerweile von der Plattform gelöscht wurde.
Ob vermeintliche von Tierhassern ausgelegte Hundeköder oder angebliche Fremde, die Kinder vor Schulen aus Autos oder Lieferwägen ansprechen - immer wieder versetzen Falschnachrichten, auch Fake News genannt, viele Menschen in Aufruhr. Woran das liegt, was mit Fake News bezweckt werden soll und wie man sich vor Fake News schützen kann - darüber hat SWR Aktuell mit dem selbstständigen Medienpädagogen Lukas Flad gesprochen. Er leitet regelmäßig Schulworkshops zu Fake News und KI.
SWR Aktuell: Weshalb verbreiten sich Fake News so schnell?
Lukas Flad: Besonders rasant können sich Fake News, also Falschnachrichten, über die Sozialen Medien verbreiten, wenn sie emotionale Reaktionen auslösen. Ein Grund dafür ist die sogenannte Negativity Bias: Wir Menschen reagieren viel stärker auf negative Nachrichten als auf positive. Fake News sind deshalb fast immer emotional aufgeladen. Starke Emotionen wie Wut und Hass stellen das Nachdenken aus - wir hinterfragen dann nicht mehr die Botschaft und verbreiten sie einfach weiter. Zusätzlich befeuern dann auch noch die Algorithmen der jeweiligen Plattformen die Verbreitung der Fake News. Denn die nehmen ja nur wahr, dass stark auf die Inhalte reagiert wird - und zeigen sie deshalb noch mehr Menschen an.
SWR Aktuell: Wieso fallen Menschen so leicht auf Falschmeldungen herein?
Flad: Verantwortlich dafür ist die sogenannte Confirmation Bias. Wir sind viel leichter bereit, Dinge zu glauben, die unsere bereits existierenden Haltungen oder Vermutungen bestätigen. So verbreiten etwa Eltern, die sich um das Wohl ihrer Kinder sorgen, im Affekt schneller Meldungen, die auf eine vermeintliche Gefahr für die Kinder aufmerksam machen. Auch hier spielen die Algorithmen der Social-Media-Plattformen wieder eine unrühmliche Rolle: Aufgrund ihrer Zuspruchslogik bilden sich sogenannte Echokammern oder Filterblasen. Menschen darin bekommen dann nur noch Informationen angezeigt, die sie auch glauben wollen. Das kann dazu führen, dass Fake News in solchen Gruppen auch dann noch weiter geglaubt werden, wenn sie von der breiten Öffentlichkeit als nachweislich falsch erkannt worden sind.
SWR Aktuell: Warum ist das gefährlich?
Flad: Wozu Fake News im Extremfall führen können, zeigt der Fall der Kita in Freiburg: Wegen der mutmaßlich falschen Missbrauchsvorwürfe hat es bereits Morddrohungen gegeben. Es ist leider absolut normal, dass man im Internet Morddrohungen bekommt, wenn man in einem Shitstorm gefangen ist. Die Mehrheit dieser Morddrohungen wird allerdings nicht umgesetzt. Erst wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind, könnte es dazu kommen, dass eine solche Drohung in die Tat umgesetzt wird. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die androhende Person unter einer psychischen Erkrankung leidet, keine Interventionsmaßnahmen erfährt und der Zuspruch im Netz auf die Drohung so groß ist, dass eine zunehmende Radikalisierung der Person stattfindet. In der Regel bleibt es jedoch bei der Drohung. Aber auch abseits von körperlicher Gewalt können solche Vorwürfe weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben - bei der Arbeit, im Verein, im Freundeskreis und der Familie.
SWR Aktuell: Weshalb verbreiten Menschen trotzdem gezielt Fake News?
Flad: Es könnte sein, dass jemand die Wut der Menschen ausnutzen will, um die Reichweite seiner Posts und seine Followerzahl zu erhöhen - das nennt man "Ragebaiting" oder auch "Ragefarming". Die Motivation dafür kann sehr unterschiedlich sein. Bei politischen Themen ist es zum Beispiel häufig so, dass Akteure damit die politische Lage oder sogar das politische System in ihrem Land verändern wollen. Es kann aber auch Geldgier dahinter stecken. Zum Beispiel, wenn jemand Angst vor einem angeblich bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch verbreitet, um Menschen dadurch empfänglicher für Anlagebetrug zu machen. Über die Motivation in dem Freiburger Fall kann ich nur spekulieren, aber Geltungsdrang und ein Bedürfnis nach Bestätigung könnten da sicher auch eine Rolle spielen. Manche Menschen bringen Fake News auch nur zum Spaß in Umlauf - das gab es auch schon zu meiner Schulzeit in sogenannten Kettenbriefen.
SWR Aktuell: Wie prüfe ich, ob eine Nachricht stimmt?
Flad: Im Grunde ist es mit Fake News wie mit Gerüchten auf dem Schulhof. Wenn ich ein Gerücht über meinen Kumpel Timo höre, dann frage ich ihn doch auch erst mal selber, ob er wirklich in der Mathearbeit abgeschaut hat. Um herauszufinden, ob eine Nachricht stimmt, muss ich das Zwei-Quellen-Prinzip beachten - mit dem arbeiten zum Beispiel auch Journalistinnen und Journalisten. Das bedeutet, ich muss mindestens zwei seriöse Quellen finden, die übereinstimmend berichten. Wenn zum Beispiel in sozialen Netzwerken die Meldung kursieren würde "Donald Trump will sich mit Russland verbünden" und ich will wissen, ob das stimmt, dann kann ich über die Google-Suche herausfinden, ob Medien im deutsch- oder auch englischsprachigen Raum darüber berichten. Ist das auch nach Stunden nicht der Fall, kann ich davon ausgehen, dass die Meldung falsch ist.
SWR Aktuell: Bei einer Meldung über den Ex-US-Präsidenten geht das, aber wie prüft man ein TikTok-Video wie das vom Freiburger Fall?
Flad: Bei den Vorwürfen gegen die Freiburger Kita war das anfangs mega schwer einzuschätzen - denn die Frau auf TikTok hätte ja die erste Quelle sein können. In solchen Fällen hilft es oft, sich das Profil und andere Posts der Person anzuschauen, um ein Gefühl für ihre Glaubwürdigkeit zu bekommen. Grundsätzlich gilt aber: Im Zweifel für den Angeklagten. Wenn ich mir nicht sicher bin, ob eine Meldung wahr ist, sollte ich sie besser nicht verbreiten.
SWR Aktuell: Was hilft gegen Fake News? Ist Löschen wirklich der richtige Weg?
Flad: Ich halte es grundsätzlich für richtig, Accounts zu löschen, die Fake News verbreiten - so wie den TikTok-Account der Frau, die die Missbrauchsvorwürfe gegen die Freiburger Kita verbreitet hat. Aber klar, für Anhänger von Verschwörungsglauben sieht das jetzt natürlich so aus, als hätten mal wieder "die da oben" den Account gelöscht, um jemanden mundtot zu machen. Das wäre aber auch dann nicht anders, wenn stattdessen zu dem Account und den Videos der Warnhinweis "Achtung Fake News" und entsprechende Korrekturen angezeigt werden würden.
SWR Aktuell: Wie erreicht man Menschen noch, die Medien bereits derart stark misstrauen?
Flad: Ich habe leider noch keinen guten Weg gefunden, jemanden zu überzeugen, der weder staatlichen Institutionen wie der Polizei noch etablierten Medien vertraut. Eine Grundlage kann man vielleicht schaffen, indem man Fakten kommuniziert. Und ich würde mir wünschen, dass Plattformen wie TikTok allen Usern, die eine solche Falschnachricht gesehen haben, eine Richtigstellung in den Feed schicken. Und die sollte auch erst dann weggehen, wenn sie gelesen wurde. Auch Faktenchecker können helfen - auf manchen Plattformen gibt es die bereits in Kooperation mit Medien, aber auf TikTok fehlt bislang noch eine vergleichbare Funktion.