Wütende Bauern in Deutschland und Frankreich: Baut sich da ein großer europäischer Protest auf?

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Arne Wiechern

Immer wieder Traktor-Konvois und blockierte Straßen – seit Wochen protestieren Bauern in Deutschland gegen die Kürzung von Subventionen und inzwischen auch oft gegen die Bundesregierung insgesamt. Gestern sind in Frankreich die Proteste der Landwirte eskaliert, die seit gut einer Woche andauern. Dort richtet sich die Wut gegen Normen und Vorschriften, auch von der EU, die nach Ansicht der Bauern ausufern. Außerdem kämpfen die Bauern auch dort für mehr Geld. Was sich da gerade entwickelt, hat SWR-Aktuell-Moderator Arne Wiechern die Protestforscherin Julia Zilles vom soziologischen Forschungsinstitut Göttingen gefragt.

SWR Aktuell: Der vordergründige Auslöser ist das eine, aber wenn man unter die Oberfläche schaut, dann entdeckt man ja vor allem den Frust. Fühlen sich die Landwirte in beiden Ländern einfach insgesamt nicht genug gehört, nicht genug wahrgenommen?

Julia Zilles: Ja, man kann sagen, dass die Landwirtschaft zum einen unter einem großen Transformationsdruck steht, und zum anderen wirklich mit den Preisen und diesem Aspekt, dass man eben von seiner Landwirtschaft gut leben möchte, dass das eben immer schwieriger wird mit steigenden Preisen und eben immer weniger Verdienstmöglichkeiten für bestimmte Gruppen der Bauern. Man muss ja auch immer sagen, dass die Bauernschaft wirklich sehr heterogen ist, von Großbetrieben zum ganz kleinen Biobetrieben. Daher sind dann so einheitliche Forderungen sich so immer etwas schwierig,

SWR Aktuell: Warum protestieren denn gerade die Bauern so heftig? Wirtschaftliche Probleme gibt es ja auch in anderen Berufsgruppen…

Zilles: Zum einen hat man das jetzt ja in Deutschland gesehen, dass sie natürlich mit dieser Art der Blockaden, also dieser Protestart, indem sie ihre großen Maschinen auf die Straße bringen, wirklich sehr mächtige Bilder erzeugen können, und dass das eben sehr erfolgreich war in Deutschland - weil ja die angekündigten Sparmaßnahmen zum großen Teil sehr schnell, sogar schon vor dieser Protestwoche Anfang Januar, wieder zurückgenommen wurden. Sie versprechen sich davon sicherlich Erfolg, weil es jetzt auch in Deutschland geglückt ist. Es hat diesen politischen Druck aufgebaut.

SWR Aktuell: Inwieweit haben denn diese Bauernproteste auch eine europäische Dimension, also auch mit Blick auf die Europawahlen im Juni?

Zilles: Er hat eine ganz große europäische Dimension, weil ja sehr viele Aspekte der Agrarpolitik auf EU-Ebene geregelt werden, insbesondere auch die Subventionen. Da haben die Mitgliedsstaaten oft gar nicht so viel Handlungsspielraum, wo man überhaupt politische Regelungen schaffen kann. Das heißt: Die EU gibt da an ganz vielen Stellen einen Rahmen vor - und ist deswegen eigentlich Hauptadressatin für Lösungen. Und genau das wollen wir jetzt ja auch die Protestierenden in Frankreich erreichen, dass die französische Regierung auf EU-Ebene vor allem diese Punkte vorbringt und dann dort für andere Rahmenbedingungen sorgt.

SWR Aktuell: Und wie sehr beeinflussen sich die Proteste ihrem Eindruck nach über Grenzen hinweg – nehmen also zum Beispiel die Bauern in Frankreich den Schwung mit von der Protestwelle in Deutschland?

Zilles: Ja, das hat auf jeden Fall einen Einfluss. Man kann jetzt nicht sagen, dass die Bauern in Frankreich nur deswegen auf die Idee gekommen wären, auch Proteste zu machen, weil es jetzt in Deutschland erfolgreich war. Aber natürlich wirken soziale Bewegungen oder Protestbewegung immer auch über Grenzen hinweg. Und gerade, wenn es Bewegungen und Protesten gelingt, eine große mediale Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dann ist es natürlich immer auch Vorbild und schwappt dann sozusagen auch als Impuls über auf andere Länder.

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