In der Nacht von Samstag auf Sonntag haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wieder von Sommerzeit auf Winterzeit gewechselt. Eingeführt wurde das Prozedere letztmalig 1980, um Energie zu sparen. 2018 wurden die EU-Bürger und -Bürgerinnen befragt und die Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus. Seitdem ist aber nichts passiert.
SWR Aktuell: Schon 2018 hat die EU angekündigt, die Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst abzuschaffen sowie eine einheitliche Zeitzone zu schaffen. Warum ist bis heute nichts passiert?
Stephan Ueberbach: Weil die Sache komplizierter ist als gedacht. Die EU-Kommission und das Europaparlament haben nämlich damals die Mitgliedsstaaten aufgefordert, sich in Absprache mit ihren Nachbarn entweder für dauerhafte Sommer- oder Normalzeit zu entscheiden. Und ab dem Zeitpunkt begannen die Probleme: Manche Länder sind nämlich für die ewige Sommerzeit, andere wollen lieber die Winterzeit, die meisten haben sich noch nicht entschieden. Außerdem gibt es Länder wie Portugal oder Griechenland, die gar nichts ändern wollen.
Es droht also das Ende der großen gemeinsamen Zeitzone zwischen Spanien und Polen. Und einen kleinteiligen Flickenteppich will keiner, weil das zu gewaltigen Problemen führen würde. Für Grenzpendler zum Beispiel, für die Bahn oder für Fluggesellschaften. Die EU-Länder haben sich deshalb schon seit 2019 nicht mehr mit dem Thema beschäftigt. Man könnte es auch so sagen: Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte sich kurz vor der Europawahl 2019 besonders bürgernah zeigen, hat aber die Umsetzung seiner Idee den Mitgliedsstaaten vor die Füße gekippt - und da liegt sie bis heute.
SWR Aktuell: Die Deutschen haben sich bei einer Umfrage ja mehrheitlich für eine durchgängige Sommerzeit ausgesprochen. Was würde dies konkret für Länder weit im Osten wie Polen und weit im Westen wie Spanien bedeuten?
Ueberbach: Das hätte zur Folge, dass es dann zum Beispiel in Warschau, in Polen und in anderen Ländern im Osten von Europa im Winter nicht mehr ganz so früh dunkel wird wie jetzt, die würden also profitieren. Aber: Bei ewiger Sommerzeit würde es in Bilbao an der spanischen Atlantikküste im Winter erst um kurz vor zehn Uhr am Vormittag hell, hier in Brüssel um halb zehn, das heißt, weite Teile von Westeuropa würden morgens deutlich länger im Dunkeln sitzen. Was ich für den Weg zur Arbeit oder in die Schule ziemlich schwierig finde.
SWR Aktuell: Wäre dann nicht eine durchgängige Winterzeit, die ja vor Einführung der Zeitumstellung die Standardzeit war, eine Lösung für Europa?
Ueberbach: Naja, dann wären die hellen Sommerabende deutlich kürzer, in Osteuropa wäre dann schon um acht Uhr Schluss, in Deutschland um halb neun, und genau das wollen die Sommerzeit-Fans ja nicht, die möchten ja gerade, dass es abends - wenn man im Straßencafé oder im Garten sitzt - lange hell bleibt. Also: Egal, ob dauerhafte Sommerzeit oder dauerhafte Normalzeit ist - für einen Teil Europas bringt das Nachteile. Auch das ist ein Grund, warum es bei diesem Thema keine Bewegung gibt, obwohl sich ja gezeigt hat, dass die Zeitumstellung so gut wie keine Energieeinsparung bringt. Dafür aber bei einer Reihe von Menschen zu gesundheitlichen Problemen führt. Eigentlich gibt es also viele Gründe, sich diesem Thema ernsthaft zu widmen.
SWR Aktuell: Glauben Sie als langjähriger Brüssel-Korrespondent noch daran, dass die Zeitumstellung noch einmal abgeschafft wird?
Ueberbach: Nein. Wenn sich in absehbarer Zeit kein EU-Land, keine Regierung für das Ende der Zeitumstellung stark macht und neuen Schwung in die Debatte bringt - wonach es nicht aussieht - dann wird das Ganze im Sand verlaufen. Es gibt zwar ein paar deutsche Europaabgeordnete, die sich zuverlässig alle sechs Monate melden und sagen: Es kann doch nicht sein, dass hier der Wille von Millionen Menschen einfach ignoriert wird und die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern zweimal im Jahr einen Mini-Jetlag verordnet.
Aber ohne die Mitgliedsstaaten geht es nicht - und die wollen an diese heiße Kartoffel einfach nicht dran. Wir werden die Uhren also auf absehbare Zeit weiter umstellen, und sehr wahrscheinlich sogar für immer. Übrigens scheint das Thema vor allem die Deutschen zu beschäftigen. Dem Rest von Europa ist es ziemlich egal. Hier in Belgien oder den Niederlanden zum Beispiel wird zweimal im Jahr die Uhr umgestellt - und fertig.
Die Abstimmung ist bereits beendet.
Hinweis: Das Abstimmungsergebnis zeigt ein Meinungsbild unserer Nutzer*innen und ist nicht repräsentativ.
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