Eine Kinderarztpraxis schließt, eine Nachfolge gibt es nicht. Alle anderen Kinderärztinnen und -ärzte im näheren Umkreis haben keine Plätze mehr frei. Ein Termin - nur viele Kilometer weit entfernt. Situationen, die viele Eltern in Baden-Württemberg kennen. Im Gespräch mit dem SWR betont eine Mutter mit Blick auf die kinderärztliche Versorgung, es sei nicht fünf vor zwölf, es sei fünf nach zwölf. Mehrere Eltern haben sich wegen des Kinderarztmangels im Land zusammengeschlossen und fordern Lösungen.
Die verzweifelte Suche nach einem Kinderarzt - ein Beispiel aus Renningen (Kreis Böblingen):
"Wenn ein Kind sich ständig übergibt, sind 45 Minuten Fahrt unzumutbar"
Als der Arzt ihrer Kinder in Oberndorf am Neckar (Kreis Rottweil) überraschend verstirbt, steht Miriam Hempel plötzlich ohne Kinderarzt da. Sie telefoniert daraufhin sämtliche Arztpraxen in ihrem Landkreis Rottweil ab, keine hat einen Platz frei. Auch in 10 oder 20 Kilometern Entfernung habe es keine freien Plätze gegeben, berichtet die Mutter zweier Kinder. Die Familie kommt schließlich bei einem Kinderarzt in Balingen im benachbarten Zollernalbkreis unter. Das seien 45 Minuten Fahrt von Haustür zu Haustür mit Parkplatzsuche, so Hempel. Wenn ein Kind sich ständig übergeben müsse oder hohes Fieber habe, sei das eigentlich unzumutbar.
Miriam Hempel rechechiert und merkt, sie ist nicht allein. Sie schließt sich einer Petition an, die auf den Kinderarztmangel in den Kreisen Rottweil und Freudenstadt, im Zollernalbkreis und im Schwarzwald-Baar-Kreis aufmerksam machen will. Außerdem gründet Hempel eine Elterninitiative, in einer WhatsApp-Gruppe mit fast 400 Elternteilen berichten alle über dieselben Probleme mit Kinderärztinnen und -ärzten. Verständnis für die Medizinerinnen und Mediziner haben aber alle. Es gebe einfach zu wenige und die seien auch am Limit, betont Hempel.
"Wenn eine Praxis schließt, stehen häufig tausende Kinder ohne Arzt da"
Verständnis für die Situation der Kinderarztpraxen hat auch Maximilian Kumpf. Wenn eine Kinderarztpraxis schließe, weil ein Arzt zum Beispiel in Rente gehe und es keinen Nachfolger gebe, hätten plötzlich sehr viele Eltern das gleiche Problem. Sie bräuchten schnell einen neuen Arzt für ihr Kind. Die Eltern würden dann alle die umliegenden anderen Praxen anrufen und die könnten diesen großen Ansturm nicht stemmen.
Kumpf ist Mitinitiator einer weiteren Petition, die auf den Kinderarztmangel in ganz Baden-Württemberg aufmerksam machen will. Die Petition wurde ursprünglich wegen fehlender Kinderärztinnen und -ärzte in den Kreisen Calw, Freudenstadt und Rottweil ins Leben gerufen. Dort sei es derzeit unmöglich einen Kinderarzt zu finden, heißt es. Inzwischen würden sich aus ganz Baden-Württemberg Eltern melden, die genau die gleichen Probleme hätten, so der Vater Maximilian Kumpf.
In der Petition von Kumpf geht es unter anderem auch um den Fall eines Horber Kinderarztes, der ab 2025 nur noch Privatpatientinnen und -patienten behandeln wird. Dadurch würden tausende Kinder ohne Arzt dastehen.
Eltern verbünden sich und starten Petition Kinderarzt in Horb will nur noch Privatpatienten - warum eigentlich?
In Horb (Kreis Freudenstadt) will ein Kinderarzt ab 2025 nur noch Privatpatienten behandeln. Viele Eltern machen sich deswegen Sorgen. Auch die Stadt sucht nach einer Lösung.
Mehr Kinder in Kliniken wegen Arztmangel
Dass es bei der kinderärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg große Probleme gibt, bestätigt auch die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg (KVBW). Das bereitet uns große Sorge, betont Sprecher Kai Sonntag im Gespräch mit dem SWR. Ein Problem sei, dass die Kinderärzte eine verhältnismäßig kleine Fachgruppe seien. Wenn also einer wegfalle, habe das große Auswirkungen. Außerdem würden einige Ärztinnen und Ärzte als Angestellte und in Teilzeit arbeiten, das könne auch zu einem Versorgungsengpass führen, sagt Sonntag.
Doch wo können Eltern mit ihren kranken Kindern hin, wenn sie gar keinen Termin beim Kinderarzt bekommen? Eine Anlaufstelle sind die Kinderkliniken. Den Kinderarztmangel bekommt auch das Klinikum Stuttgart zu spüren. Dort kämen täglich viele Eltern mit ihren Kindern wegen Dingen wie Husten, Schnupfen, kleineren Schürfwunden oder Platzwunden, so der Ärztliche Direktor des Olgahospitals - der Kinderklinik im Klinikum Stuttgart - Axel Enninger.
Viele würden berichten, dass sie keinen Termin bei ihrem Kinderarzt bekommen hätten. Für die Kinderklinik in Stuttgart bedeutet das deutlich mehr Patientinnen und Patienten. "Wir schicken niemanden weg", betont Enninger. Das bedeute aber, dass einige Kindern mit weniger akuten Beschwerden drei bis vier Stunden warten müssten.
Der Ärztliche Direktor am Olgahospital in Stuttgart hält es für den richtigen Ansatz, dass Kinder- und Jugendärzte, die sich in Stuttgart niederlassen, Fördergelder bekommen sollen. Um den Ärztemangel in den Griff zu bekommen, hätte er sich zusätzlich gewünscht, dass mehr Ausbildungsstellen in den Kinderkliniken zum Kinder- und Jugendarzt bezuschusst werden.
Ärztemangel wächst weiter Stuttgart will Kinderärzte mit Geld locken - Skepsis bei Medizinern
Der Gemeinderat in Stuttgart will mit einem Förderprogramm Kinderärzte anlocken. Ärzte im Rems-Murr-Kreis bezweifeln, dass das dauerhaft hilft. Es brauche strukturelles Umdenken.
Gesundheitsministerium sieht aktuelle Situation nicht kritisch
Und wie sieht die Landesregierung die aktuelle Lage der Kinderärztinnen und -ärzte? Das Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg schätzt die medizinische Versorgung von Kindern in Baden-Württemberg allgemein als nicht so kritisch ein. Auf SWR-Anfrage heißt es: "In der Winter- und Erkältungszeit spannt sich die ambulante kinder- und jugendärztliche Versorgunglage in der Regel jedes Jahr an, so auch aktuell. Zum Frühjahr beziehungsweise Sommer hin entspannt sich die Lage jedoch grundsätzlich wieder."
Generell verweist, dass Gesundheitsministerium darauf, dass es die Aufgabe der der Kassenärztlichen Vereinigung sei, die kinder- und jugendärztliche Versorgung sicherzustellen. Das Ministerium würde die KVBW aber dabei auch unterstützen, unter anderem mit dem Aktionsprogramm "Landärzte", das auch für Kinder und Jugendärzte gedacht sei.