30, 40 oder doch lieber 100 Prozent? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma "Atelier 552" in Markdorf (Bodenseekreis) entscheiden selbst, wie viele Stunden sie in der Woche arbeiten möchten. Die Diskussion über eine Fünf- oder Vier-Tage-Woche ist dort längst kein Thema mehr. In einer umgebauten Scheune arbeiten 60 Leute in den Bereichen Architektur, Design und Verwaltung. Sie entwerfen Gebäude, gestalten Hotels, Küchen und sogenannte Lifestyle-Räume - immer alles im Team.
Die Innenarchitektin Julia Papp hat sich für 24 Stunden Arbeit pro Woche entschieden. Ihr Pensum an Aufträgen schafft sie trotzdem. Das funktioniert, weil sie nicht allein, sondern mit anderen zusammenarbeitet, sagt sie der SWR Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg".
Teams teilen Arbeitszeiten unter sich auf
Im Team von Julia Papp sind sieben Leute - sechs davon in Teilzeit und einer in Vollzeit. Sie verabreden sich flexibel, damit vormittags und an den Nachmittagen immer jemand da ist. Kollegin Nicole Gerland kümmert sich im Team unter anderem um die Bauleitung draußen auf den Baustellen. Sie hat sich für 28 Stunden Arbeitszeit pro Woche entschieden. Ihre Aufgaben erledigt sie trotzdem ohne Problem.
"Wir sind flexibel und können alles unter einen Hut bekommen", erklärt Gerland. Wenn sie raus muss auf die Baustelle und der Termin liegt außerhalb ihrer Arbeitszeit, dann tauscht sie auch mal mit ihrem Mann.
Seit Anfang Februar testen deutschlandweit 45 Unternehmen in einem Pilotprojekt die Vier-Tage-Woche. Dabei wird die wöchentliche Arbeitszeit reduziert. Um wie viel, können die Unternehmen selbst entscheiden. Die Reduzierung der Arbeitszeit ist vor allem auf Arbeitgeberseite umstritten. Unternehmen argumentieren, dass sie wegen des Fachkräftemangels kein neues Personal fänden, um die fehlende Arbeitszeit auszugleichen.
Bundesweit 45 teilnehmende Unternehmen Pilotprojekt Vier-Tage-Woche startet mit Unternehmen aus BW
In Deutschland beginnt derzeit ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche. Daran beteiligt sich auch ein halbes Dutzend Unternehmen aus BW. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet.
Mitarbeiter passen Arbeitszeit flexibel an
Wer wie viele Stunden arbeitet, können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Markdorfer Firma auch bei Bedarf anpassen. Bezahlt werden sie nach Anzahl der Stunden, beruflicher Erfahrung und Branche. Marius Riether ist Kommunikationsdesigner und seit zehn Jahren in der Firma. Er ist für den Internetauftritt zuständig. Angefangen hat er mit 100 Prozent Arbeitszeit. Heute arbeitet er weniger. "Im Endeffekt kann ich das von einem Monat auf den anderen tun, wenn ich das rechtzeitig anmelde und die Auftragslage das hergibt", sagt Riether.
Wie viel oder wenig er arbeitet, hängt auch davon ab, wie sein Leben außerhalb des Jobs aussieht. Um mehr Zeit für seinen Sohn zu haben, hat Riether auf 85 Prozent reduziert. Seine Frau arbeitet 75 Prozent, die Erziehung teilen sie sich. Die Kinderbetreuung seines Sohnes befindet sich direkt neben seinem Büro.
Firmengründer setzten auf absolutes Vertrauen
Für die Firmengründer Lisa und Philipp Beck gehört Kinderbetreuung ebenso zum Angebot, wie Vergünstigungen für die Therme und Job-Rad Angebote, damit die Leute mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Die Geschwister setzen sozusagen auf Zuschüsse für Aktivitäten außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit.
Das Entscheidende für Philipp und Lisa Beck ist allerdings ihre Philosophie: absolutes Vertrauen in ihre Beschäftigten. Als die Firmengründer vor 15 Jahren mit dem flexiblen Arbeitszeitmodell anfingen, war das neu und gewagt.
Firma profitiert von flexiblen Arbeitszeiten
Statt aufwendiger Organisation und Kommunikationsschwierigkeiten profitiert die Firma von ihrem Arbeitszeitmodell. "Am Ende geht es darum, je besser man auf die Menschen eingeht, je mehr wir miteinander die beste Lösung suchen, desto besser ist das Ergebnis", sagt Philipp Beck. "Wir haben weniger Krankheit, mehr zufriedene Mitarbeiter und man bekommt auch so gute Talente, die nicht 100 Prozent arbeiten wollen." Auch das ist ein Ziel der Firma: Alles bieten, um die fähigsten Köpfe zu holen - und zu halten.
Bei "Zur Sache Baden-Württemberg" diskutierten Arbeitgebervertreter Stefan Wolf, Ex-Trigema Chef Wolfgang Grupp, der New Work Experte Gregor Kalchthaler und Handwerksmeister und 4-Tage-Woche-Fan Sascha Wagner über das Arbeitszeitmodell:
Eine Lösung für alle Betriebe?
In der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" wurde das Thema flexible Arbeitszeiten und die Vier-Tage-Woche diskutiert. Stefan Wolf, Chef von Gesamtmetall, sagte, in einem Architekturbüro würden flexible Arbeitszeiten funktionieren. "Aber das ist überhaupt nicht vergleichbar mit einem Produktionsbetrieb der Metall- und Elektroindustrie". Dennoch müsse man Angebote für junge Menschen - wie zum Beispiel Kinderbetreuung - bringen, jetzt wo die "Babyboomer-Generation" in Rente gehe, so Wolf.
Seit Sascha Wagner, der Inhaber eines Sanitär- und Heizungsunternehmens aus Widdern (Kreis Heilbronn), die Vier-Tage-Woche eingeführt hat, habe er mehr Bewerberinnen und Bewerber. Er findet, die ganze Firmenmentalität, also das gesamte Paket, muss für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer passen. Da gehöre auch Work-Life-Balance mit dazu.