Es war der zweite Weihnachtsfeiertag, als verheerende Tsunamis die Küsten des indischen Ozeans erreichten. Die Bilder gingen um die Welt. 230.000 Menschen haben bei den Flutwellen vor 20 Jahren ihr Leben verloren. Der Ulmer Bestatter Daniel Streidt war in den Tagen danach als ehrenamtlicher Helfer in Thailand. Der damals 28-Jährige war der jüngste in einem zehnköpfigen Team aus Bestattern. Sie präparierten sechs Tage lang hunderte Flutopfer.
Ulmer Bestatter Streidt Teil eines Teams
Am Abend, zwei Tage nach dem Tsunami, kam der Anruf. Das Auswärtige Amt suchte dringend Helfer, die die deutschen Flutopfer einbalsamieren, einsargen und für den Rücktransport in ihre Heimat bereitmachen. Nur wenige Stunden später war Daniel Streidt als freiwilliger Helfer mit seinem Team in München am Flughafen. Er erinnert sich, wie fremde Menschen ihnen Bilder von vermissten Angehörigen in die Hand drückten. "Bitte sucht nach ihnen", haben sie gesagt. Auf der Rückseite waren Telefonnummern notiert.
Das Team war auf dem Weg nach Phuket, ohne zu wissen, was sie genau erwartet. Vor Ort herrschte Chaos. Das Team wusste stundenlang nicht, wo sie arbeiten konnten. Auf einer Wiese zwischen Flughafen und Strand bauten thailändische Hilfskräfte dann einen provisorischen, zeltüberdachten Stützpunkt für die deutschen Helfer.
An den Sammelplätzen: Tausende Todesopfer des Tsunamis
Daniel Streidt hat in den kommenden sechs Tagen mehr Tote gesehen als all die Jahre zuvor. Dabei ist der Tod für ihn etwas Normales. Er arbeitete schon seit zehn Jahren als Bestatter im Familienunternehmen. Er hatte viel gesehen in dieser Zeit.
In Thailand waren es aber vor allem die Leichenberge, die ihn schockierten - und die vielen Einzelschicksale. Mütter und Väter, die am Strand nach ihren Kindern suchten. Der Mann, der sich am Sarg seiner Freundin festklammerte. All diese Bilder hinterließen Spuren.
Von ihrem Stützpunkt am Rande des Flughafens wurde die Gruppe in Kleinlastern zu den Sammelplätzen in Khao Lak und Krabi gebracht. Sie sollten dort bereits identifizierte Tote abholen und für den Rücktransport in die Heimat präparieren. "Wir waren total überfordert, als wir an der ersten Sammelstelle ankamen. Die Körper waren unansehnlich und es hat sehr unangenehm gerochen", erinnert sich Daniel Streidt. Zwei bis dreitausend tote Menschen lagen auf dem Boden, das Ausmaß: unvorstellbar.
Aufwendige Präparierung der Toten
Wenn Daniel Streidt von seiner Arbeit als Einbalsamierer erzählt, wird schnell klar, dass der Begriff Schönrederei ist. Das Einbalsamieren dient der kurzfristigen Konservierung eines Leichnams. Dabei dringt man mit einer dicken Spritze, einem so genannten Trokar in die Körperhöhle ein und füllt den Rumpf von innen mit Formalin. Die wässrige Lösung entzieht dem Körper Flüssigkeit und verlangsamt den Verwesungsprozess.
"Die Verstorbenen waren zum Teil so aufgedunsen, dass wir das Wasser zuvor aus dem Körper saugen mussten", erzählt Daniel Streidt. Manche Flutopfer passten dennoch nicht in die bereitgestellten Särge. Es mussten größere Särge aus Deutschland angefordert werden.
Wenn ein Körper desinfiziert und konserviert war, wurde er in einen Zinksarg gelegt. Das ist Pflicht bei einer Überführung von Verstorbenen nach Deutschland oder generell ins Ausland, erklärt Streidt. Der Sarg muss zugelötet und luftdicht verschlossen werden. Er erinnert sich an den Lötkolben seines Großvaters. Den hatte er bei seinem Einsatz in Thailand dabei. Er ließ ihn bei seiner Heimreise dort. Vielleicht werde er noch gebraucht, war damals sein Gedanke.
Große Angst vor Seuchen
Bei über 30 Grad und tropischem Klima beginnt die Verwesung sehr schnell. Schon nach wenigen Stunden wird der Kopf grün, die Zersetzung beginnt. Recht schnell war klar, dass die Helferinnen und Helfer auch gegen eine Seuchengefahr ankämpfen. Die Frage, die sich stellte: Was machen wir mit den vielen Toten?
Der Krisenstab sprach sich zuerst für Zwangsbestattungen und Massengräber aus, um die Seuchengefahr einzudämmen. Für Daniel Streidt und sein Team war das ein furchtbarer Gedanke. "Für uns Bestatter ist es schwierig, Menschen ohne Identität und ohne Namen zu beerdigen".
Kühlcontainer verschafften Zeit für die Identifizierung der Flutopfer
Die Idee von Daniel Streidt und seinem Team: Alle Menschen, die nicht identifiziert werden können, müssen so schnell wie möglich gekühlt werden. Nur so könne man Zeit gewinnen, um die Verstorbenen über ihre DNA oder einem Kieferabgleich zu identifizieren. Nur so könne man ihnen Namen geben und die Angehörigen informieren.
Der Plan ging auf. Alle Länder, die nach der Katastrophe ihre Hilfe anboten, ließen verfügbare Kühlcontainer nach Phuket einfliegen. Gerichtsmediziner aus aller Herren Länder kamen, um bei der Identifizierung der Flutopfer zu helfen, erinnert sich Daniel Streidt. "Ich bin so stolz, dass wir das umgesetzt haben. Damit konnten fast alle Flutopfer in ihrem Heimatland bestattet werden."
Streidt: "Zuhause wird einem erst alles bewusst"
Nach fünf Tagen im Krisengebiet wurde es Zeit nach Hause zu fahren, so der heute 48-Jährige. "Ich habe tagelang durcharbeitet und irgendwann funktioniert nichts mehr." Was er in Thailand erlebt hat, realisierte er erst zurück in Ulm. Sein Verhältnis zum Tod sei stärker geworden. Worüber man sich sonst im Alltag aufregt, ist plötzlich nichtig, so Streidt. "Im Krisengebiet wurde mir klar, dass es im Leben um wichtigere Dinge geht, als sich über einen leeren Handyakku aufzuregen."
Am Ende waren es zwischen dreihundert und vierhundert Flutopfer, die Daniel Streit und sein Team von "DeathCare", einem bundesweit organisierten Verein aus selbstständigen Bestattern, für den Rücktransport präpariert haben. Darunter 60 deutsche Flutopfer.