Gebiet südlich von Ulm besonders betroffen

Radioaktive Pilze im Raum Donau-Iller: Warum Tschernobyl noch heute nachwirkt

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Peter Schmid
SWR-Aktuell Redakteur Peter Schmid

Über 37 Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl lagert sich noch immer radioaktives Cäsium in Waldpilzen ab. Das Gebiet südlich und östlich von Ulm ist besonders betroffen.

Pilze aus dem Wald können auch über 37 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl noch immer radioaktiv belastet sein. Vor allem im Süden Baden-Württembergs und in Ostwürttemberg an der Grenze zu Bayern. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat dazu seinen jährlichen Pilzbericht veröffentlicht.

"Hier haben wir einen Semmelstoppelpilz", sagt Pilz-Experte Georg Schabel und zeigt seiner Gruppe von Pilzsammlern den Fund. Heute ist er bei Gerstetten im Landkreis Heidenheim auf Pilzsuche. "Dieser Pilz wächst sowohl im Laub und im Nadelwald und hat zum Teil immer noch extrem hohe Radiocäsiumwerte“, erklärt er. Ob ein Pilz radioaktiv belastet ist, sieht man ihm natürlich nicht an. Man schmeckt es auch nicht. Aber die Radioaktivität ist messbar – auch 37 Jahre nach Tschernobyl.

Georg Schabel mit einer Gruppe von Pilzsammlern im Wald. Georg Schabel gibt als geprüfter Pilzsachverständiger seit über 25 Jahren Führungen durch Wälder im Landkreis Heidenheim. Er informiert auch über die radioaktive Cäsium-Belastung im Waldboden.
Georg Schabel gibt als geprüfter Pilzsachverständiger seit über 25 Jahren Führungen durch Wälder im Landkreis Heidenheim. Er informiert auch über die radioaktive Cäsium-Belastung im Waldboden.

Super-Gau: Radioaktive Wolke durch Tschernobyl-Reaktorunfall

Vor allem die Angst vor einem Regenschauer war es, die die Menschen in Deutschland nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986 umtrieb. Eine erste Wolke mit radioaktiven Partikeln zog nach der Katastrophe zunächst über Skandinavien, eine weitere Wolke über die Slowakei, Tschechien und Österreich nach Deutschland.

Luftaufnahme des zerstörten Atomkraftwerks in Tschernobyl 1986. Das Atomkraftwerk in Tschernobyl nach dem Super-Gau im Jahr 1986. Eine radioaktive Wolke zog danach über die Slowakei, Tschechien und Österreich nach Deutschland. Schwermetalle und vor allem radioaktives Cäsium setzte sich im Boden ab.
Das Atomkraftwerk in Tschernobyl nach dem Super-Gau im Jahr 1986. Eine radioaktive Wolke zog danach über die Slowakei, Tschechien und Österreich nach Deutschland. Schwermetalle und vor allem radioaktives Cäsium setzte sich im Boden ab.

Über Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg gehen drei Tage nach dem Reaktorunglück heftige Regenschauer nieder. Das radioaktive Cäsium versickert im Boden. Und dort wirkt es bis heute.

Landkarte von Süddeutschland, auf der die Strahlenbelastung mit Cäsium zu sehen ist. Auf der Landkarte ist zu erkennen, an welchen Stellen im Jahr 1986 Cäsium gemessen wurde. Umso roter die Stelle ist, desto stärker die Strahlenbelastung. Das radioaktive Cäsium ist noch immer am selben Ort, allerdings hat sich die Strahlenbelastung um mehr als die Hälfte verringert.
Auf der Landkarte ist zu erkennen, an welchen Stellen im Jahr 1986 Cäsium gemessen wurde. Umso roter die Stelle ist, desto stärker die Strahlenbelastung. Das radioaktive Cäsium ist noch immer am selben Ort, allerdings hat sich die Strahlenbelastung um mehr als die Hälfte verringert.

Radioaktivität: Cäsium bereits um mehr als die Hälfte zerfallen

Seit 1987 untersucht das Bundesamt für Strahlenschutz die Kontamination von Wildpilzen im Süden Deutschlands. Die Behörde wurde einst wegen des Unglücks gegründet. Mittlerweile ist das radioaktive Cäsium von der Tschernobyl-Katastrophe laut Sprecherin Anja Lutz um mehr als die Hälfte zerfallen. "Die physikalische Halbwertszeit von Cäsium beträgt 30 Jahre. Der Rest des Cäsiums ist noch da, spielt für unser Leben im Normalfall aber so gut wie keine Rolle", so Lutz. "Im Wald ist das Cäsium für die Wurzeln der Pilze zugänglich, in landwirtschaftlichen Lebensmitteln gibt es kaum Rückstände, weil das Cäsium an Tonminerale gebunden ist."

Radioaktive Rückstände in Pilzen und vor allem in Wildfleisch

"Pilze nehmen das Cäsium durch ihre Verflechtungen im Boden, dem Myzel auf", erklärt Pilz-Experte Georg Schabel. Das könne sich auf viele Meter erstrecken und bilde den eigentlichen Pilz. Die Aufnahme von Radioaktivität hängt neben dem Standort auch von der Pilzart ab. Besonders hohe Cäsium-Werte werden laut Georg Schabel neben Semmelstoppelpilzen auch bei Elfenbeinschnecklingen, dem gemeinen Rotfußröhrling und dem gelbstieligen Trompetenpfifferling gemessen. "Diese Pilze können einige Tausend Becquerel Cäsium pro Kilogramm Frischmasse aufweisen", so Schabel.

Zum Vergleich: In Deutschland ist es nicht erlaubt, Lebensmittel mit mehr als 600 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm in den Handel zu bringen. Gleichwohl schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz: "Wenn Wildbret oder wild wachsende Speisepilze in üblichen Mengen verzehrt werden, ist die zusätzliche Strahlendosis vergleichsweise gering."

Ein Wildschwein auf Nahrungssuche. Das Fleisch von Wildschweinen kann noch mehr mit Cäsium belastet sein als Waldpilze. Die Schweine lieben den für Menschen ungenießbaren Hirschtrüffel, der widerum sehr viel Radioaktivität aufnehmen kann.
Das Fleisch von Wildschweinen kann noch mehr mit Cäsium belastet sein als Waldpilze. Die Schweine lieben den für Menschen ungenießbaren Hirschtrüffel, der widerum sehr viel Radioaktivität aufnehmen kann.

Deutlich höher belastet kann aber das Fleisch von Wildschweinen sein. "Das liegt daran, dass sich die Wildschweine aus den Produkten des Waldes ernähren. Der Hirschtrüffel ist zwar für Menschen ungenießbar, aber Wildschweine mögen den. Und dieser Pilz nimmt besonders viel Cäsium aus dem Boden auf", erklärt der Pilz-Fachmann.

Cäsium: Grenzwerte für Lebensmittel im Supermarkt

Kunden müssen sich allerdings keine Sorgen machen, radioaktiv verseuchte Lebensmittel zu kaufen, sagt Anja Lutz vom Bundesamt für Strahlenschutz. Lebensmittel über einem Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Frischmasse dürfen in Deutschland nicht verkauft werden. Dieser Grenzwert gilt allerdings nicht für Pilze, die privat für den eigenen Verzehr gesammelt werden. Beim Sammeln im Wald muss also jeder selbst entscheiden, ob er oder sie das Risiko eingehen möchte.

Ob ein Pilz giftig ist oder nicht, sieht man ihm an, wenn man entsprechende Pilzkenntnisse hat. Schwieriger wird es dem Pilz anzusehen, ob er mit Cäsium radioaktiv belastet ist. Die Strahlung lässt sich aber messen.
Ob ein Pilz giftig ist oder nicht, sieht man ihm an, wenn man entsprechende Pilzkenntnisse hat. Schwieriger wird es dem Pilz anzusehen, ob er mit Cäsium radioaktiv belastet ist. Die Strahlung lässt sich aber messen.

Radioaktives Cäsium: Pilze in Maßen essen ist unbedenklich

"Wer Pilze in Maßen genießt, ist aus Sicht des Strahlenschutzes auf der sicheren Seite", sagt Anja Lutz. Sie zieht einen Vergleich: "Wenn Sie jede Woche 200 Gramm Pilze mit 2.000 Bequerel Cäsium zu sich nehmen, dann ist die Strahlendosis, die am Ende des Jahres entsteht, ungefähr so hoch wie wenn Sie 20 Mal von Frankfurt am Main nach Gran Canaria fliegen." Wer Pilze sammelt, solle das vor allem dort tun, wo 1986 kein Cäsium die Wälder verseucht hat. Pilzsammler können sich beim Bundesamt für Strahlenschutz auch über Karten zur Bodenkontamination informieren.

Zu wenig Regen: Aktuelle Pilz-Saison nicht ertragreich

Ob in diesem Jahr viele Pilze in den Wäldern gefunden werden können, ist fraglich. "Dieses Jahr ist es wirklich sehr durchwachsen, es ist zu trocken", resümiert Georg Schabel. Trotz des Regens im August gebe es noch vergleichbar wenige Pilze. "Ich denke, es wird vor Mitte September nicht mehr regnen, was das Pilzwachstum weiter hemmen wird." Wer dennoch Pilze findet und unsicher ist, ob diese giftig sind, kann einen Pilzsachverständigen vor Ort kontaktieren.

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