Geld haben im Alter - da sind Frauen häufig die Verliererinnen. Sie haben Kinder erzogen, sich um pflegebedürftige Angehörige gekümmert und auch noch den Haushalt geschmissen und: viele Jahre lang gearbeitet, Teilzeit, in Minijobs und in schlecht bezahlten Berufen. Die Folge: Altersarmut. Mehr als 21 Prozent der älteren Frauen sind nach offiziellen Angaben in Baden-Württemberg von Altersarmut bedroht oder bereits betroffen, bei Männern sind es 16 Prozent.
Immer für andere da gewesen zu sein, das rächt sich im Alter. So wie bei Elmie Gutendorf aus Ulm. Dass sie kaum etwas zur Seite legen kann, das hat sie schon als Kind gelernt. "Das ging bei uns von der Hand in den Mund", erzählt sie, "da hat man nicht an Alter oder eine Rente gedacht. Das Einzige, was ich mir gewünscht habe, war, dass ich mal alleine wohnen kann und nicht immer für alle sorgen muss."
Warum die 88-Jährige auch mit über 70 noch arbeitete
Heute ist Elmie Gutendorf 88 Jahre alt. Seit einiger Zeit lebt sie in Ulm, getrennt von ihrem Mann, von dem sie keine Unterstützung zu erwarten hat. Den größten Teil ihres Berufslebens hat sie in der DDR verbracht, als Porzellan-Malerin. Als sie kurz vor dem Fall der Mauer endlich ausreisen durfte, da war sie schon weit jenseits der 50.
Gearbeitet hat sie dann bis 75, im Hotelgewerbe und in der Gastronomie. Da baut man keine Reichtümer auf. "Das war sozusagen wie Hilfskraft", erzählt Elmie Gutendorf, "also weder Urlaubsgeld noch Krankengeld. Ich hab da regelmäßig meine sechs oder sieben Stunden am Tag gemacht und zwar sehr gerne. Ich mache ja leider Gottes immer alles sehr gern."
Wo es Hürden bei Hilfen gegen Altersarmut gibt
Elmie Gutendorf hat sich jetzt - endlich - mit Hilfe ihres Sohnes an den Formular- und Behördendschungel Wohngeldförderung herangetraut. Mit Erfolg. Leicht ist ihr das nicht gefallen: "Nicht nur, weil man versuchen muss, ein Formular korrekt auszufüllen. Man muss sein Leben jemandem offenlegen. Das ist nicht schön, das Nackigmachen."
Warum Elmie Gutendorf nicht zur Tafel geht
Und gerade, wer in seiner Kindheit Krieg und Not erlebt hat, der scheut sich heute vor dem Begriff "Armut". In der eigenen Biographie gab es ja noch viel schlimmere Zeiten, ist häufig die Haltung. Und anderen geht es ja noch viel schlechter. Deshalb geht Elmie Gutendorf auch nicht zur Tafel, wo sie billig Lebensmittel bekommen könnte.
Was sie dagegen macht: Einmal in der Woche arbeitet sie weiter, als 88-Jährige, ehrenamtlich für die Hilfsorganisation Oxfam, die sich um Menschen in armen Ländern kümmert: "Aus Selbsterhaltungstrieb. Weil ich gerne mit Leuten zusammen bin. Ich bin ja noch nicht scheintot. Ich mache alles, was so irgendwie möglich ist."
Eine Haltung, die sie nach ihrem Umzug nach Ulm vor einigen Jahren auch zum Verein "Altersarmut Ulm nein" geführt hat.
Warum Altersarmut in der eigenen Familie zu Verein führte
"Altersarmut Ulm nein". Das ist nicht nur ein Appell, das ist der Name eines Vereins, den es seit zwei Jahren gibt. Gegründet von Christiane Blessing-Win.
Altersarmut hat sie in der eigenen Familie erlebt. "Ich bin in einem Geschäftshaus groß geworden, einem Blumengeschäft. Man musste nicht unbedingt in die Rentenversicherung einzahlen. Und meine Mutter war dann eine erfolgreiche pensionierte Geschäftsfrau mit weniger als 600 Euro Rente."
Es war auch diese Erfahrung, die dazu geführt hat, dass der Verein gegründet wurde. Heute ist er Anlaufstelle für viele, die in einer ähnlichen Situation sind.
Am Anfang habe es Tage gegeben, an denen niemand zu den Öffnungszeiten kam, erzählt Christiane Blessing-Win. "Zwischenzeitlich gibt es die Tage eigentlich gar nicht mehr. Durchschnitt ist jetzt sieben bis acht, aber wir haben auch schon 16 Personen gehabt. Wir führen jetzt auch auch Buch in Form von Strichlisten, damit wir einen Überblick haben."
Warum Männer zur Beratung kommen und Frauen eher anrufen
Der Verein ist offen für alle, in der jüngsten Vergangenheit hat Christiane Blessing-Win festgestellt, dass der Anteil von Männern, der von Altersarmut betroffen ist, ansteigt. Einen Unterschied gebe es aber: Männer kämen eher vorbei, um Informationen zu bekommen - Frauen riefen für Informationen eher an.
Und noch viel mehr Frauen und auch Männer kommen überhaupt nicht. Vielleicht, weil sie sich schämen, nicht viel Geld zu haben, vielleicht auch, weil sie sich selbst ihre eigene Lage nicht eingestehen wollen. Das ist kein Randproblem, wie der Altersarmut-Bericht der Stadt Ulm zeigt: Dort schätzt man, dass mehr als 60 Prozent der berechtigten älteren Menschen weder Wohngeld noch Grundsicherung beantragen. Verdeckte Armut ist der Fachbegriff. Von zehn älteren armen Menschen beantragen sechs gar keine Hilfe. In der Mehrzahl Frauen.
Warum es beim Verein "Altersarmut Ulm nein" kein Geld gibt
Der Verein "Altersarmut Ulm nein" ist bei Weitem nicht die einzige Anlaufstelle, wenn es finanziell im Alter nicht reicht. In Ulm gibt es, wie in ganz Baden-Württemberg, zahlreiche Hilfsangebote - staatliche, kommunale, kirchliche, von caritativen Organisationen. Wer in Ulm den Vereinsraum am Karlsplatz aufsucht, darf sich vorrangig eines nicht erwarten: Geld. "Wir sollten kein Geld übergeben, weil Menschen, die Grundsicherung oder Bürgergeld erhalten, sofort Gefahr laufen, dass sie dann Abzüge haben. Wenn es um eine kleine Reise geht, um einen letzten Besuch bei einem lieben Menschen, und das ist nicht mehr im Budget - dann können wir dieses Bahnticket finanzieren."
Der Verein sieht sich als Teil eines Netzwerks. Aber er leistet auch ganz praktische Hilfe: Im Vereinsraum steht ein Computer mit Internet-Anschluss. Zur freien Nutzung für die, die sich diesen Zugang zu Informationen sonst nicht leisten könnten.