Die Tübinger Richter sehen es als erwiesen an, dass die Tante und der Onkel ihre heute achtjährige Nichte über mehrere Jahre körperlich und seelisch massiv verletzt haben. Die beiden Angeklagten haben dazu geschwiegen, oft den Kopf geschüttelt, wenn von Vorwürfen gegen sie die Rede war. Die Frau muss für drei, der Mann für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Da die Taten mehrheitlich ihr zugerechnet werden, bekommt sie eine längere Haftstrafe.
Aufmerksam und ruhig, teils unter Tränen, haben die Frau und der Mann aus Wildberg (Kreis Calw) das Urteil am Landgericht Tübingen entgegengenommen. Es ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwältin, Nebenkläger und Verteidiger haben dem SWR gesagt, sehr wahrscheinlich in Revision zu gehen.
Pflegeeltern in Wildberg für schmerzhafte Verletzungen verurteilt
Das Gericht hat viele Stunden Zeugen vernommen, Sachverständige gehört und Fotos angeschaut, die Narben am ganzen Körper des Mädchens zeigen. "Ein Verfahren, das lange in Erinnerung bleiben wird und die Untiefen menschlichen Lebens gezeigt hat", so der Vorsitzende Richter am Mittwochnachmittag. Kein Urteil könne die Verletzungen mit Kabeln, brennenden Zigaretten und Stöcken wieder gut machen oder gar revidieren, sagte er gegen Ende der knapp zweistündigen Urteilsbegründung.
Die Eltern von drei leiblichen, "gut erzogenen" Kindern, mit verantwortungsvollen Jobs und einem eigentlich guten Vorsatz haben das Kind der Schwester in England vor einer Adoption bewahren wollen. Sie als Familienangehörige haben es bei sich aufgenommen. Der gute Vorsatz ist gescheitert. Das Ende ist eine Haftstrafe. Der Richter sprach von einer "Tragödie".
Staatsanwältin: "schuldig", Verteidiger: "Freispruch"
Auch die Staatsanwältin sieht keinen Zweifel an der Schuld der beiden Angeklagten. Sie hat 4 Jahre und drei Monate Haft sowohl für die Tante als auch den Onkel des Mädchens gefordert - wegen schwerer Misshandlung Schutzbefohlener. Dieser Forderung hat sich der Anwalt des achtjährigen Mädchens angeschlossen. Er hat gegenüber dem SWR von einem "Martyrium" gesprochen, das das Kind erlitten hat: möglicherweise schon in seinen ersten beiden Lebensjahren bei seiner leiblichen Mutter in London, dann in den vier Jahren danach bei Tante und Onkel in Wildberg. Die Verteidigerin der Frau und der Verteidiger des Mannes haben Freispruch beantragt.
Schule hat Alarm geschlagen
Lehrerinnen in der Schule sind im November 2021 darauf aufmerksam geworden, dass hier etwas nicht stimmen kann, und haben laut Richter "Alarm geschlagen". Das Kind wollte nicht mehr nach Hause und hatte Angst. Bereits zuvor hatten Menschen in Jugendamt, Gesundheitsamt und Kindergarten die Pflegeeltern auf die Unterernährung und phasenweise Verwahrlosung des Kindes hingewiesen. Das blieb aber erst einmal folgenlos. Die enormen Verletzungen, unter anderem auf dem Rücken des Kindes, fielen erst später in Kliniken auf.
Das Mädchen wurde in Obhut genommen und lebt inzwischen in einer Kinder- und Jugendeinrichtung. Es entwickelt sich dort laut Zeugenaussagen positiv, sei jedoch weiterhin stark verhaltensauffällig. Die äußerlichen und innerlichen Schäden begleiten es wohl ein Leben lang.