Joseph Ratzinger hat als Professor für katholische Theologie drei Jahre lang an der Uni Tübingen gelehrt: von 1966 bis 69. Damals galt er als aufgeschlossener, fortschrittlicher Theologe. Er war unter anderem auf Betreiben von Hans Küng im Jahr 1966 an die Universität Tübingen gekommen. Wolfgang Gramer studierte damals bei Ratzinger. Der Priester im Ruhestand erinnert sich mit Begeisterung an seinen ehemaligen Professor.
Bei Ratzinger gelernt, mit dem Herzen zu sehen
Gramer habe als junger Erwachsener von Ratzinger gelernt, dass die Auferstehung Jesu Christi nicht wörtlich zu verstehen sei, sondern als "eine neue Wirklichkeit, die wir mit unseren Augen des Kopfes nicht erfassen können, aber mit den Augen des Herzens", so Gramer gegenüber dem SWR. Trotz der späteren Kritik an Joseph Ratzinger als Theologe und Papst Benedikt XVI.: Der damals junge Professor Ratzinger bleibt seinem ehemaligen Studenten Wolfgang Gramer positiv im Gedächtnis - als tief gläubiger, feinfühliger Mensch, der ihm beigebracht habe, mit dem Herzen zu sehen.
68er-Gewalt an Uni veränderte Ratzinger
Auch der frühere katholische Rundfunkpfarrer Michael Broch erinnert sich an Joseph Ratzinger als einen brillanten Kopf und Theologen. In Tübingen geschah aber etwas, das Ratzinger offenbar veränderte: Er wurde mit radikalen und gewalttätigen Studenten der 68er-Generation konfrontiert, so Broch, der sein Staatsexamen in Theologie hinter verschlossenen Türen machen musste, um nicht gestört zu werden.
"Grandioser Theologe" macht "strikte Hoftheologie"
Der Mann, der als Theologe als aufgeschlossen galt, vollzog eine Kehrtwende. Er sorgte in den 1980ern dafür, dass Anhänger der Befreiungstheologie, welche die herrschenden Strukturen kritisierten, weil die ihrer Ansicht nach viele Menschen in die Armut trieben, in Südamerika nicht mehr lehren durften. Die Sorge Ratzingers: Die Kritik an den herrschenden Machtstrukturen könnte auch Kritik an kirchlichen Machtstrukturen bedeuten. Das wollte er nicht.
Nicht allein die 68er vertrieben Ratzinger aus Tübingen
Der Tübinger Journalist Raimund Weible hat sich in seinem Buch intensiv mit Ratzingers Zeit in Tübingen beschäftigt. Er sagte im SWR-Interview, Ratzinger sei geschockt gewesen von den Störungen bei Vorlesungen, von Sit-ins und Flugblättern. Doch es habe auch innerhalb der theologischen Fakultät Konflikte gegeben, Ratzinger habe sich von der Fakultät entfremdet. Und als er das Angebot bekommen habe, nach Regensburg in seine Heimat zurückzukehren, da habe er das Angebot angenommen.
Auch als Papst erinnert er sich an Kellnerin
Ratzinger, der keinen Führerschein hatte, sei immer mit dem Fahrrad zu seinen Vorlesungen gefahren, erzählte Weible. Seine Schwester Maria habe ihm den Haushalt geführt und mit ihr sei Ratzinger regelmäßig ins Restaurant Museum gegangen, immer sonntags am gleichen Tisch. Dort seien sie von Gabi Freudenmann bedient worden. Und diese Gabi Freudenmann aus Jungingen im Killertal (Zollernalbkreis) hatte Ratzinger auch als Papst nicht vergessen. Er gab einem Prälaten aus Rottenburg, der auf Pilgerfahrt in Rom war, eine Autogrammkarte mit für das Fräulein Gabi, das ihn immer bedient hatte in Tübingen.