Die Diözese Rottenburg-Stuttgart will Geistliche, die Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe sowie Missbrauch begangen haben, zukünftig stärker kontrollieren. Dafür gelten seit April neue Bewährungsregeln, die die Diözese jetzt öffentlich gemacht hat. Zusätzlich zu der Bewährung, die das Bistum verhängt, können auch strafrechtliche Maßnahmen laufen.
Zwölf bekannte Täter im Bistum Rottenburg-Stuttgart
Im Bistum Rottenburg-Stuttgart leben laut Domkapitular Holger Winterholer zwölf wegen sexuellen Straftaten verurteilte Geistliche. Davon sind laut Diözese acht mit Auflagen versehen, im Ruhestand oder ganz von jeder pastoralen Arbeit suspendiert. Vier sind weiter im pastoralen Dienst, allerdings in nicht leitender Funktion. Sie bekommen in Zukunft eine Bewährungsbegleitung, mit der sie sich vier Mal im Jahr treffen müssen. Dabei werde geprüft, ob sie ihre Auflagen wie Geldbußen und Psychotherapie einhalten. Zudem werde über die Lebensgestaltung des Täters gesprochen.
Umgang mit Tätern: Zuvor gab es keine klaren Regeln
Bevor die neue Bewährungsregel in Kraft trat, sind die Täter laut Winterholer individuell ohne klare Vorgaben begleitet worden. Lediglich Gespräche mit dem Hauptabteilungsleiter "Pastorales Personal" seien verpflichtend gewesen. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart gehöre deutschlandweit zu den ersten, die nun einen solchen verbindlichen Standard einführt. Laut einer Sprecherin ist die neue Regel keine direkte Reaktion auf den vor kurzem veröffentlichten Jahresbericht der neuen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. An der neuen Regel sei schon länger gearbeitet worden.
Zeitzeugen und Akten offenbaren: Täter wurden lange geschützt
Die neue Kommission hat im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufgenommen, alte Akten durchforstet und mit Zeitzeugen Interviews geführt, um die Missbrauchsgeschichte der Diözese aufzuarbeiten. Im ersten Jahresbericht zeigte sich: In der Vergangenheit wurde vertuscht und verschwiegen. Bis in die 1980er-Jahre hinein sei es dem Bistum vor allem um den Täterschutz und den Schutz der Institution Katholische Kirche gegangen.
Taten tauchen in Personalakten nicht auf
Die Kommission sichtete 195 Personalakten von Priestern, die mittlerweile nicht mehr leben. Laut Bericht gebe es zwar keinen Hinweis darauf, dass einzelne Seiten im Nachhinein aus den Personalakten herausgenommen wurden, um sexuellen Missbrauch zu vertuschen - aber in solchen Fällen seien wohl häufig Nebenakten geführt worden. Mögliche Taten tauchen also gar nicht erst in der eigentlichen Personalakte auf. Inwieweit die Nebenakten vernichtet wurden, lässt sich laut Komission nicht abschließend klären. Außerdem seien Fälle von Missbrauch oft gar nicht schriftlich festgehalten worden.
Die Personalakten brächten deshalb keine größeren Erkenntnisse. Selbst in den Akten erwiesener Täter (Zeitraum 1970 - 1999) seien keine Hinweise auf den Missbrauch zu finden gewesen. Eine weitere Sichtung der Personalakten hält die Kommission daher nicht für sinnvoll. Außer den Personalakten wurden Prozessakten zu Sexualstraftaten von Geistlichen und neuere Akten aus dem Geheimarchiv der Diözese gesichtet.
Hilfe für die Täter - wenig Empathie für die Opfer
Daraus habe sich ergeben, dass verurteilte Priester von den Personalverantwortlichen häufig unterstützt worden seien, etwa bei der Prozessführung, einer Revision, Weiterbeschäftigung nach Verbüßung einer Haftstrafe oder Vermittlung auf Stellen innerhalb der Kirche. Behandlungskosten seien oft von der Kirche übernommen worden. Empathie mit den Opfern oder Zahlungen an die Opfer habe es hingegen kaum gegeben.
Der Jahresbericht 2022 enthält nur vorläufige Ergebnisse. Abschließende Ergebnisse und Handlungsempfehlungen an die Diözese sollen in weiteren Berichten folgen. Die Diözese selbst veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Berichte mit aktuellen Zahlen zu sexuellem Missbrauch.