Mord ist nicht ihr Hobby - sondern ihr Beruf

Kriminologen in Tübingen: Kriegsverbrechen, Femizide, Messer-Attacken

Stand
Autor/in
Katharina Kregel
Katharina Kregel ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Mord und Totschlag als Tagesgeschäft: In Tübingen fand seit Donnerstag die Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft statt. Im Abschlussvortrag ging es um Messerkriminalität.

Ihre Arbeit beginnt dort, wo andere kriminell werden. Ob Kriegsverbrechen, Polizeigewalt, Femizide, Messerangriffe oder die Legalisierung von Cannabis: Die Themen der Kriminologen sind bunt gemischt. Drei Tage diskutieren die Spezialisten und tauschen sich aus. 270 Mitglieder der Kriminologischen Gesellschaft sind dafür in Tübingen angereist. Die meisten kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aber auch Gäste aus den Niederlanden, Großbritannien oder Taiwan sind dabei.

Messerkriminalität im Fokus

Einem aktuellen Thema widmete sich Gastdozent Dirk Baier, Professor an der Universität Zürich. In seinem Vortrag zur Messerkriminalität wies er direkt zu Beginn darauf hin, dass Messerangriffe lediglich 0,2 Prozent aller Straftaten im Jahr 2023 ausmachten. Auch dem weit verbreiteten Eindruck, dass Messerkriminalität ein "nichtdeutsches" Problem junger Männer sei, widersprach er. Im Durchschnitt seien Messerangreifer 34 Jahre alt, männlich, gering gebildet und der Polizei zumeist bereits durch andere Straftaten bekannt. Zwei Drittel aller Angriffe mit einem Messer würden von Deutschen ausgeübt. Das restliche Drittel teilt sich laut Baier auf Menschen verschiedenster Nationalitäten auf.

Dirk Baier, Kriminologie-Professor an der Uni Zürich, bei der Tübinger Kriminologen-Tagung. Im Hintergrund mehrere Ölgemälde.
Dirk Baier ist Professor für Kriminologie an der Uni Zürich. In Tübingen sprach er über das Thema "Messerkriminalität".

Anstieg der Gewaltkriminalität

Dirk Baier hält die Fokussierung auf Messerkriminalität deshalb nicht für richtig. Vor allem Politiker würden dieses Thema in den Fokus rücken, um Stimmung zu machen gegen die Flüchtlingspolitik. Was dem in Chemnitz geborenen Wissenschaftler viel mehr Sorgen mache, sei der Anstieg der Gewaltdelikte in der Bevölkerung allgemein.

Falsche Zahlen sorgen für Ärger

Ein großes Ärgernis für alle Kriminologen auf der Fachtagung: Immer wieder würden Polizeistatistiken von Politik, Medien und der Öffentlichkeit falsch interpretiert – das nervt die Kriminologen. Sie fordern eine bessere Einordnung der Zahlen, ohne sie aus dem Kontext zu reißen.

Mehr Kriminalität? Nicht unbedingt!

Das Beispiel der Fachleute: Steigende Zahlen einer Straftat seien nicht immer negativ zu bewerten. Es könne einfach sein, dass mehr Verbrechen zur Anzeige gebracht und damit aufgeklärt würden. Und das sei ja eigentlich positiv zu bewerten, so die Wissenschaftler.

Ein Hinweisschild zur Tagung der Kriminologischen Gesellschaft in Tübingen
Hunderte Kriminologen aus der ganzen Welt treffen sich derzeit in Tübingen.

Gegen schärferes Strafrecht

Außerdem wünschen sich die Spezialisten ein maßvoll eingesetztes Strafrecht. Höhere Strafen würden – entgegen der öffentlichen Meinung - keinen Rückgang der Kriminalität bewirken, so der Vorsitzende der Kriminologischen Gesellschaft, Prof. Jörg Kinzig aus Tübingen.

Prävention statt höhere Strafen

Was tatsächlich helfen würde, sei Prävention, so Kinzig. Er bemängelt, dass zu wenig Geld in Verbrechensforschung und -vorbeugung investiert werde. So sei das Nationale Zentrum für Kriminalprävention in Bonn nach nur sechs Jahren geschlossen worden. Und verschiedene Lehrstühle an Unis und Hochschulen seien nicht nachbesetzt worden.

Forderung: Mehr Schutz für die Arbeit der Kriminologen

Und noch etwas bewegt die Tagungsteilnehmer: Sie fordern die Einführung des Zeugnisverweigerungsrechts für kriminologisch arbeitende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Hintergrund: Im Jahr 2020 hatten die bayrischen Behörden Unterlagen eines Kriminologen beschlagnahmt, der an einem Projekt zur islamischen Radikalisierung arbeitete. Er hatte dafür im Gefängnis Interviews mit Inhaftierten geführt und ihnen vorher Anonymität und Nichtweitergabe ihrer Daten zugesichert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte danach zwar, dass durch kriminologische Forschung gewonnene Daten besonders schützenswert seien. Ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt es bis jetzt dennoch nicht.

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