«Yastayiz» - Türkisch für «Wir trauern», steht zwischen zahlreichen Trauerkerzen am Tatort auf einem Schild geschrieben. Ein 27-Jähriger Mann hatte ein 14-Jähriges Mädchen auf dem Schulweg getötet und eine 13-Jährige schwer verletzt. Gegen den 27-Jährigen wurde nun Haftbefehl erlassen - Ihm wird Mord und versuchter Mord vorgeworfen.

Interview zum Angriff auf eine 14-Jährige

Antirassismus-Expertin zu Illerkirchberg: "Über die Tat sprechen - nicht über die Herkunft des Täters"

Stand
Autor/in
Arne Wiechern
Interview
Stefan Eich

Nach dem tödlichen Messerangriff in Illerkirchberg bei Ulm werden auch rechtspopulistische Töne gegen Asylbewerber laut. Die Amadeu-Antonio-Stiftung will eine sachliche Debatte.

Ein 14-jähriges Mädchen ist nach einem Messerangriff in Illerkirchberg gestorben - ihre 13-jährige Freundin wurde schwer verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein 27-Jähriger aus Eritrea, der in einer Asylbewerberunterkunft gewohnt hat. Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung setzt sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus ein. Im SWR ruft sie dazu auf, in der Diskussion über die Tat "Vernunft einzusetzen".

SWR Aktuell: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von dieser Tat erfahren haben?

Anetta Kahane: Meine ersten Gedanken waren natürlich bei der Familie. Ich bin selbst Mutter einer Tochter. Es hat mich wirklich entsetzt, wenn man sich vorstellt, dass man so eine Nachricht kriegt: Jemand übermittelt einem die Nachricht, das eigene Kind ist auf offener Straße ermordet worden. Also mein wirklich großes, großes Mitgefühl für die Familie - das ist wirklich eine ganz furchtbare Sache. Jeder, der Kinder hat, weiß: das ist das Schlimmste, was einem passieren kann.

SWR Aktuell: Es ist eine Selbstverständlichkeit, aber man muss es offensichtlich betonen. Auch für den festgenommenen Mann gilt bis zum Urteil die Unschuldsvermutung. Manche sagen aber schon - Zitat: "Wieder mal ein Asylbewerber. Typisch!" Zitat Ende. Selbst gemäßigte Bürger von Illerkirchberg erinnern daran, dass dort 2019 eine 14-Jährige in einer anderen Flüchtlingsunterkunft vergewaltigt worden ist. Wie sollten Politiker und Medien damit umgehen?

Anetta Kahane: Es gilt natürlich immer die Unschuldsvermutung. Das ist ja klar. Aber wenn sich herausstellt, dass das tatsächlich dieser Mann war, dann muss man sich den Fall genau angucken, so wie man das bei allen anderen Fällen auch tut. Wenn dieser Mann dieses Mädchen ermordet hat und das andere Mädchen angegriffen hat, dann muss er ins Gefängnis. Dann kriegt er die ganze Härte des Gesetzes zu spüren. Das ist vollkommen klar. Das hat mit der Hautfarbe nichts zu tun.

Was jetzt passiert, ist, dass die Debatte sozusagen politisch aufgeladen wird: Es heißt also, dieser Mann ist aus Eritrea, es geht um alle Asylbewerber und überhaupt um die Asylpolitik. Es geht immer weiter, es geht immer höher. Man entfernt sich immer mehr von der Tat.

Ich habe mir angeguckt, was auf Twitter und anderen Netzwerken gesagt wird, und ich habe das Gefühl, dass in den Diskussionen etwas mehr Vernunft ist, als es noch vor ein paar Jahren in der gleichen Stadt der Fall war. Natürlich sind die Bürger aufgebracht. Natürlich versuchen sie, irgendwie einen Schuldigen zu finden, die Politik verantwortlich zu machen. Es ist es immer so: Menschen versuchen, für etwas Unfassbares einen Schuldigen zu finden, der außerhalb dieser Tat irgendwie fassbar ist. Es ist aber inzwischen auch vielen klar, dass das immer wieder ritualisierte politische Instrumentalisierungen sind.

Die Gegenstimmen fand ich interessant, die sagen: Jetzt hört mal auf damit! Dieser Mann, der offenbar der mutmaßliche Täter ist, der ist bisher überhaupt nicht auffällig geworden. Dieser Mensch hat ja bisher keinerlei Auffälligkeiten gezeigt. Man hätte ihm also auch nicht verweigern können, nach Deutschland zu kommen, wenn er verfolgt ist. Und das sind so Dinge, die langsam auch in das Bewusstsein eindringen, dass man sich das von Fall zu Fall anguckt. Die Mordstatistik in Deutschland ist überhaupt sehr gering. Jetzt also so zu tun, als wäre das die große Katastrophe, alle Asylbewerber würden morden und so weiter - diese Art von Hysterie verfängt so auch nicht mehr.

Wenn dieser Mann dieses Mädchen ermordet hat und das andere Mädchen angegriffen hat, dann muss er ins Gefängnis. Dann kriegt er die ganze Härte des Gesetzes zu spüren.

SWR Aktuell: Es gibt Menschen, die sagen, ich habe damit ein Problem, ich fühle mich unwohl dabei, wenn so etwas passiert, ich habe Angst, ich möchte aber auf keinen Fall ins rechtsextreme Milieu abrutschen. Wie können diese Menschen sich beraten lassen?

Anetta Kahane: Die können sich natürlich beraten lassen. Aber die Menschen, die so denken, haben auch recht, sie haben ja Gefühle für diese Tat. Das ist doch ganz normal. Und es ist auch normal, dass da so eine Pauschalisierung hochkommt. Das Wichtige ist doch, dass die Menschen auch Vernunft einsetzen und sagen: Moment mal, ich kann nicht, weil ich zurecht wütend bin auf diesen Mann, jetzt verallgemeinern und sagen, das träfe auf alle zu, die aus Eritrea kommen oder auf alle Asylbewerber.

Das ist, so glaube ich, das Kunststück: zu sagen, ich muss auch wieder runterkommen, auf eine sachliche Ebene - so schlimm, wie diese Tat auch ist.

Im Übrigen: dieses Mädchen hat ja auch einen türkischen Background. Dass das überhaupt nicht thematisiert wird, finde ich auch interessant - das finde ich auch gut. Es ist sozusagen eine Gesellschaft, in der es verschiedene ethnische Gruppen gibt - und verschiedene Formen von Kriminalität. Es gibt ja auch deutsche Femizide, also deutsche Männer, die deutsche Frauen vergewaltigen und umbringen. Ich würde mir wünschen, dass alles viel mehr auf die Taten bezogen wird als auf die Herkunft.

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