Am Montagmorgen ist in Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) ein 14-jähriges Mädchen von einem Mann mit einem Messer attackiert und tödlich verletzt worden. Ein 13-jähriges Mädchen kam verletzt ins Krankenhaus. Inzwischen ist bekannt, dass der Tatverdächtige ein 27-jähriger Mann aus Eritrea ist. Er soll gemeinsam mit zwei anderen Männern in einer Wohnung in der Nähe des Tatorts gelebt haben, wo die Gemeinde Asylbewerber untergebracht hat.
Hitzige Diskussion über Herkunft des Tatverdächtigen
Obwohl die Hintergründe der Tat weiter unklar sind und sowohl Polizei als auch verschiedene Politikerinnen und Politiker dazu aufgerufen haben, keinen Zusammenhang zwischen der Tat und Geflüchteten im Allgemeinen herzustellen, werden genau dazu hitzige Diskussionen geführt.
So stellen Userinnen und User die Frage, ob Geflüchtete in Deutschland und Baden-Württemberg mehr Straftaten begehen als der Rest der Bevölkerung. Wir haben den Faktencheck gemacht.
- Was ist "Kriminalität im Kontext der Zuwanderung"?
- Wie viele Straftaten begehen Geflüchtete?
- Wie beurteilen das Kriminalitätsforscher?
- Wie berichten Medien darüber?
Was ist "Kriminalität im Kontext der Zuwanderung"?
Explizit werden Straftaten durch Geflüchtete nicht erfasst. Das Bundeskriminalamt liefert aber seit 2015 ein Lagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung". Wie in der polizeilichen Kriminalstatistik werden dort Tatverdächtige erfasst, die zur Gruppe der "Zuwanderer" gezählt werden. Diese Gruppe umfasst Asylbewerberinnen und -bewerber, Menschen in Duldung, Kontingent- oder Bürgerkriegsflüchtlinge sowie Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Sie umfasst aber auch Menschen, die gezielt nach Deutschland einreisen, um eine Straftat zu begehen oder sich auf der Durchreise befinden. Nicht zur Gruppe der "Zuwanderer" werden Tatverdächtige mit positiv abgeschlossenem Asylverfahren gezählt. Ausländerrechtliche Verstöße fließen nicht in die Statistik ein.
Wie viele Straftaten begehen Geflüchtete?
Im Jahr 2016 wurden bundesweit 174.438 "tatverdächtige Zuwanderer" registriert. Damals machten sie einen Anteil von neun Prozent an der Gesamtzahl aller ermittelten Tatverdächtigen in Deutschland aus. Seitdem ist der Anteil "tatverdächtiger Zuwanderer" an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen in Deutschland im Trend gesunken. 2021 lag die Zahl "tatverdächtiger Zuwanderer" bei 127.489. Zum Vergleich: Insgesamt gab es 2021 fast 1,8 Millionen Tatverdächtige in Deutschland. "Tatverdächtige Zuwanderer" machten also zuletzt noch einen Anteil von etwas über sieben Prozent aus. Trotzdem fällt auf: Die Gruppe der "Zuwanderer" ist angesichts ihrer Größe im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich häufig an der Begehung von Straftaten beteiligt. Dafür gibt es in der Kriminalitätsforschung verschiedene Erklärungsansätze.
Zum einen werden auch Kriminelle gezählt, die nach Deutschland kommen und hier weitere Straftaten verüben. Zum anderen weist die Gruppe der "Zuwanderer" anteilig mehr junge Männer (und zum Beispiel weniger Frauen im Seniorenalter) auf als die deutsche Bevölkerung. "Bei Männern im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter sind in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten die höchsten Kriminalitätsraten zu beobachten", schreibt etwa der Kriminologe Christian Walburg. Das treffe insbesondere auf die Gruppe der Geflüchteten zu, wo junge Männer überrepräsentiert seien.
In Baden-Württemberg ist die Gesamtzahl aufgeklärter Straftaten mit Beteiligung von mindestens einem Geflüchteten in den vergangenen fünf Jahren gesunken. Das teilte ein Sprecher des Innenministeriums von Baden-Württemberg auf SWR-Anfrage mit. 2021 sank diese Zahl sogar um 12,5 Prozent auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2014. Dem SWR liegen diese Daten vor. Blicke man gesondert auf Gewaltstraftaten zeige sich, so ein Ministeriumssprecher, dass in diesem Bereich Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Vergleich zu den Gesamtstraftaten häufiger in Erscheinung treten.
Wie beurteilen das Kriminalitätsforscher?
Der Kriminologe Christian Walburg von der Uni Münster forscht zu den Zusammenhängen von Migration und Kriminalität. Er plädiert dafür, die Komplexität des Themas anzuerkennen und nicht nach einfachen Antworten zu suchen. In einer Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt er, die "Migrationsprozesse, Zuwanderergruppen und Aufnahmebedingungen in den Ankunftsländern sind ebenso vielfältig wie Formen strafbaren Verhaltens; es gibt weder 'die Migranten', noch 'die Kriminalität'."
Eine Erkenntnis der Kriminalitätsforschung, die Walburg beschreibt, ist jene, dass Menschen, die im Erwachsenenalter zugewandert sind, regelmäßig nicht besonders häufig mit Straftaten auffielen. Das gelte insbesondere dann, wenn ein Zugang zum Arbeitsmarkt bestehe. So werde in der Forschung diskutiert, dass Menschen, denen in Deutschland weniger Chancen und Perspektiven geboten werden, ein höheres Risiko hätten, straffällig zu werden. Personen mit guter Bleibeperspektive aus Ländern wie etwa Syrien hätten diese Chancen häufiger als Menschen aus Ländern mit geringer Schutzquote.
Auch eine Flucht in jungem Alter, fehlende Perspektive und schwierige Lebensbedingungen könnten das Risiko erhöhen, straffällig zu werden. Von den "tatverdächtigen Zuwanderern" bundesweit waren 2021 86,4 Prozent männlich. Fast sechzig Prozent waren jünger als 30 Jahre.
Ebenso wird in der Forschung diskutiert, dass Geflüchtete tendenziell häufiger ein höheres Risiko für Kriminalität haben könnten, weil sie tendenziell stärker armutsgefährdet seien oder früher Gewalt erlebt hätten. Es handele sich vielfach um traumatisierte Menschen, die sich nach ihrer Flucht in einer belastenden Lebenssituation befinden und in Unterkünften auf beengtem Raum mit anderen Menschen zusammenleben müssen.
Der Freiburger Kriminologe und Psychologe Helmut Kury sagte im SWR, Geflüchtete und Asylbewerber kämen aus Ländern, in denen es teilweise andere Einstellungen zu Straftaten und Kriminalität gebe.
Wie berichten Medien darüber?
Für den Mediendienst Integration hat der Medienforscher Thomas Hestermann herausgefunden, dass Ausländerinnen und Ausländer in der Medienberichterstattung überproportional oft als Tatverdächtige genannt werden.
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Während in der Polizeistatistik von 2020 etwa 30,6 Prozent der Gewalttaten ausländischen Tatverdächtigen zugeschrieben wurden, waren in Zeitungsberichten, die die Nationalität des Tatverdächtigen nannten, 87,1 Prozent der Tatverdächtigen Ausländerinnen und Ausländer. Über straffällige Ausländerinnen und Ausländer wurde laut der Studie also häufiger berichtet und es wurde häufiger die Nationalität genannt als bei deutschen Tatverdächtigen.
Mitarbeit: Giuseppa Spatola