Das Kindersolbad in Bad Dürrheim (Schwarzwald-Baar-Kreis) war für viele Kinder ein schrecklicher Ort: Sie berichten über schwere Misshandlungen und Missbrauch. Nun hat das Deutsche Rote Kreuz als Nachfolgeorganisation der Träger des Heimes seine Archive durchforstet und - nach eigenen Angaben - alle noch vorhandenen Akten in Buchform veröffentlicht. Die beiden Historiker, die das Buch herausgegeben haben, bestätigen: Der langjährige Chefarzt des Heimes, Hans Kleinschmidt, hat Kinder für Medikamententests missbraucht.
So berichtete die SWR Landesschau BW 2021 über das Schicksal der Verschickungskinder:
Wenige Akten erhalten
Das Buch, das das Deutsche Rote Kreuz (DRK) am Donnerstag im Beisein von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) in Bad Dürrheim vorgestellt hat, umfasst über 700 Seiten - vor allem Protokolle der Vorstands- und Präsidiumssitzungen. Darin geht es unter anderem um Streitigkeiten hinsichtlich der Finanzierung des Hauses sowie Machtkämpfe zwischen Chefarzt und Verwaltung. Wie es den Kindern damals ergangen ist, geht aus den Akten bis auf wenige Ausnahmen nicht hervor.
Unterlagen, die den ehemaligen Verschickungskindern bei der Aufklärung helfen könnten, wie Arztbriefe, Patientenakten oder Verträge mit Pharmafirmen, seien nicht mehr vorhanden, so das DRK. Auch wurden für die Studie weder Betroffene noch ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt.
Früherer Nazi-Arzt machte Medikamentenversuche
Was seit Jahren vor allem durch Recherchen der Journalistin Hilke Lorenz von der Stuttgarter Zeitung bekannt ist, wird nun auch von den Historikern bestätigt. Der ehemalige Nationalsozialist Hans Kleinschmidt - er war 1937 in die NSDAP eingetreten - leitete seit 1956 das Heim in Bad Dürrheim. In medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichte er Artikel über Versuche mit Medikamenten.
Die Kinder bekamen Mineralien wie Kobalt und Mangan, aber auch Antibiotika und Schlafmittel verabreicht. Laut Studie konnten die Historiker nicht nachweisen, ob die Medikamentenversuche mit Einverständnis der Eltern stattgefunden haben. Davon ist nach allen Gesprächen mit ehemaligen Verschickungskindern aber nicht auszugehen - womit solche Versuche auch in der damaligen Zeit nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch gesetzeswidrig waren.
Ehemalige Verschickungskinder fordern Aufklärung
Die ehemaligen Verschickungskinder berichten seit Jahren über Misshandlungen und schwarze Pädagogik. Zu Beispiel mussten sie in Solebadenwannen liegen und wurden bei jeder Bewegung mit einem verknoteten Handtuch auf den Kopf geschlagen, berichtet Rose Gommel, damals neun Jahre alt. Sie wurde gezwungen, ein Stück Brot zu essen, das vorher in die Toilette geworfen wurde.
Gerhard Lehmann wurde als kleines Kind mit einem Schild um den Hals, auf dem das Wort "Dieb" stand, durch das Dorf getrieben. Die Misshandlungen prägen die Menschen bis heute.