Marina Kreiter hatte Angst, ihre Wohnung zu verlieren

Frauen besonders gefährdet

Kaum Sozialwohnungen: Wie eine 62-Jährige der Obdachlosigkeit entkam

Stand
Autor/in
Susanne Babila
Onlinefassung
Jana Prochazka

Fast ein Drittel aller Wohnungslosen in Deutschland waren im vergangenen Jahr Frauen. Zu ihnen zählte beinahe auch Marina Kreiter - doch eine Stuttgarter Beratungsstelle half.

Marina Kreiter lebt seit über zehn Jahren in einer Sozialwohnung einer Wohnungsgesellschaft in Stuttgart. In der Küche der Altbauwohnung zieht es durch die verwitterten Fenster, an den Küchenschränken splittert der Lack und der alte Herd müsste dringend erneuert werden. Doch die 62-Jährige beschwert sich nicht, denn sie fürchtet nach Sanierungsmaßnahmen eine Mieterhöhung. Kreiter ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, bis vor kurzem hatte sie Angst, ihre Wohnung ganz zu verlieren.

Das Problem: Nach zehn Jahren waren Belegungs- und Mietpreisbindungen für öffentlich geförderten Wohnraum zwischen der Stadt Stuttgart und der Wohnungsbaugesellschaft ausgelaufen. Damit stieg die Miete für Marina Kreiter um 154,73 Euro - die Bezieherin von Sozialleistungen kann das nicht bezahlen. Kreiter wollte umziehen, fand jedoch auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt keine günstige Wohnung.

Die 62-Jährige ist wie viele andere Menschen angewiesen auf eine Sozialwohnung. Doch Wirtschaftsforscher des ifo-Instituts schlagen Alarm: Rund 22 Prozent der Bauprojekte sind geplatzt. Schätzungen zufolge fehlen in Baden-Württemberg etwa 70.000 Sozialwohnungen.

Zentrale Frauenberatung Stuttgart hilft

Auch für Kreiter verschärft das die Situation. Aber sie wird nicht allein gelassen. Seit vielen Jahren berät Eileen Pinczewski die 62-Jährige. Die junge Sozialpädagogin arbeitet in der Ambulanten Hilfe der Stuttgarter Frauenberatungsstelle und kümmert sich um alle Belange im Alltag von Marina Kreiter - von Beziehungsproblemen über Abrechnungen bis zu Wohnraumverlust. Bei der Zentralen Frauenberatung teilen sich fünf Sozialarbeiterinnen 3,5 Stellen, um Frauen in Not zu helfen.

Marina Kreiter und ihre Sozialarbeiterin
Sozialarbeiterin Eileen Pinczewski (rechts) half Marina Kreiter (links), in ihrer Sozialwohnung zu bleiben.

Wohnungssuche mit Haustieren fast unmöglich

2020 erhielt Marina Kreiter die Nachricht, dass die Wohnungsförderung nicht weiterläuft. "Wir hatten also schon einen langen Vorlauf, aber der Wohnungsmarkt ist leider so angespannt, dass wir keine Wohnung finden konnten", erklärt ihre Sozialarbeiterin Eileen Pinczewski im Interview mit dem SWR. "Und wenn dann noch Haustiere dazukommen, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit." Marina Kreiter teilt ihre Wohnung nämlich mit drei Katzen.

Zwei Jahre lang suchte Marina Kreiter verzweifelt eine neue Wohnung. Sie schrieb Bewerbungen und ging zu Wohnungsbesichtigungen. Doch die Schlange an Bewerberinnen und Bewerber war lang und die Suche blieb ohne Erfolg. "Jeden Tag wuchs meine Angst, obdachlos zu werden", erzählt Kreiter.

Zahl der Obdachlosen in Deutschland steigt

Im vergangenen Jahr hatten knapp 600.000 Menschen in Deutschland zeitweise keine Wohnung. Zum Vergleich: Stuttgart hat circa 630.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Damit lag die Zahl um der Obdachlosen 58 Prozent höher als im Vorjahr, so die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe. Etwa 30 Prozent davon waren Frauen.

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Vor über zehn Jahren lebte Marina Kreiter bereits einige Monate auf der Straße, bevor sie Hilfe bei der Stuttgarter Frauenberatungsstelle fand. Damals schlief sie mit ihrem Dackel Kenny und ihrer Katze Lucy in Hausfluren, Geschäftseingängen oder in Wartehallen. Kreiter hatte damals keine Möglichkeit in eine Notunterkunft oder zu Freunden zu ziehen. Sie wollte sich nicht von ihren Tieren trennen und pflegte sie bis zu deren Tod.

Leben auf der Straße für Frauen besonders gefährlich

Gerade für Frauen ist ein Leben auf der Straße besonders gefährlich. Sie sind sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Bei Kreiter waren es drei oder vier Monate, "aber das hat gereicht", erzählt sie rückblickend.

Mit meinem Dackel hatte ich nicht so große Angst, aber die Geräusche, wenn man auf der Bank saß und der Hund angeschlagen hat, dann hatte ich schon Panik.

Miriam Höppner-Gerecke aus der Zentralen Frauenberatungsstelle bestätigt die Situation. Die meisten Frauen, die von Obdachlosigkeit bedroht seien, flüchteten in prekäre Wohnungsverhältnisse oder müssten sexuelle Dienste leisten, um einen Unterschlupf zu haben. Die Dunkelziffer sei hoch.

Marina Kreiter hat schon vieles hinter sich: Eine Krebserkrankung mit 37 Jahren, gewalttätige Partner und Obdachlosigkeit. Doch mithilfe der Zentralen Frauenberatung hat sie wieder Halt im Leben gefunden. Und: Nach langem Hin und Her und mit Hilfe von Eileen Pinczewski wurde Marina Kreiter jetzt doch ein Mietzuschuss gewährt. Sie kann in ihrer Wohnung bleiben.

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