Drohnenangriffe, Raketeneinschläge, Pläne über Atomwaffen – der Krieg in der Ukraine wütet ungehindert weiter und zermürbt die Menschen im Land. Was kann man tun, wie kann man helfen? Das hat sich ein Freiburger Hausarzt gefragt und beschlossen, selbst in die Ukraine zu reisen und seinen Praxisalltag gegen einen gefährlichen Hilfseinsatz einzutauschen – und das bereits zum dritten Mal.
100 Stunden Vorbereitung für Hilfseinsatz
Packen, organisieren, koordinieren – Der Aufwand vor der Reise in die Ukraine ist groß. 100 Arbeitsstunden seien in die Vorbereitungen geflossen, resümiert Matthias Werner. Monatelang hat der Hausarzt gemeinsam mit anderen Freiwilligen Spenden und Hilfsgüter gesammelt, darunter unter anderem Medikamente, Verbandsmaterial und Gehhilfen. Dutzende Kartons sind zusammengekommen, die der 59-jährige Hausarzt kurz vor Abfahrt in einen weißen Transporter hievt. Auch auf der Packliste: nicht der Arztkittel, sondern eine schusssichere Weste mit kiloschweren Schutzplatten. "Falls wir doch mal näher an die Front müssen und da ein Soldat ist", erklärt Werner. Zur besseren Vernetzung hat der Freiburger Hausarzt die Hilfsorganisation "EUFOMEDA" mitgegründet. Ihr Ziel: medizinische Hilfe in der Ukraine.
Vom Schwarzwald an die Kriegsfront
Rund 30 Autostunden ist das Team rund um Matthias Werner unterwegs, inklusive Pausen. Die Fahrt ist beschwerlich. Schlaglöcher, Krater, Schlamm – die Straßen sind teilweise in einem sehr schlechten Zustand. Einige Fahrspuren sind vermint. Die Anspannung ist groß.
Das Hilfsteam steuert zunächst eine Unterkünft mit Flüchtlingen aus dem Osten der Ukraine an. Sie liegt zwischen Odessa und Mykolajiw. Werner behandelt rund 40 Menschen. Eine Dolmetscherin hilft bei der Verständigung. Am nächsten Tag geht es unter anderem zu einem schwerkranken Mann in der Nähe von Cherson. Er hat innere Verletzungen. Sein Zustand ist kritisch. Matthias Werner ist der erste Arzt, der ihn behandelt.
Granateneinschlag während Verteilaktion
Nächster Zwischenstopp: ein 600-Seelen-Dorf in Frontnähe. Alles ist zerstört, jede Hilfe wird gebraucht – ob Schmerzmittel, Nudeln oder Gehhilfen. "Die Dörfer sind nicht versorgt. Der Staat tut alles, was er kann, aber primär ist es wichtig, den Krieg zu gewinnen und nicht die Einwohner gut zu versorgen", so der Eindruck des 59-jährigen Hausarztes. Selbst die Kartons, in denen die Medikamente lagerten, nehmen die Menschen an sich. Sie feuern damit ihre Öfen an. "Jeder wollte noch ein Stück Karton haben, da sieht man unter welchem Druck die leben müssen", so Werner.
Bei der Verteilaktion erlebt das Team, wie eine russische Artilleriegranate in unmittelbarer Nähe einschlägt. Von der einen auf die andere Sekunde sei die Dorfbevölkerung totenstill gewesen, alle hätten sich gebückt und abgewartet, berichtet Matthias Werner. Kurz darauf habe sich die Stimmung wieder normalisiert. Immer wieder ist Luftalarm zu hören, vor allem in den größeren Städten. "In jeder Stadt, in der wir waren, hatten wir Luftangriffe", berichtet Werner.
Frühchen retten? Flugambulanz übernimmt Transport
Die Lage ist dramatisch, auch in einem Kinderkrankenhaus in Ternopil im Westen der Ukraine. Die Babys Eva und Angelina sind zu früh auf die Welt gekommen. Angesichts der prekären Versorgungsbedingungen haben sie laut Werner keine Überlebenschance. Er will die Frühchen mit nach Deutschland nehmen. Doch die 16-stündige Autofahrt ohne Inkubatoren wäre zu riskant für die Zwillinge. "Sie waren überhaupt nicht transportfähig, ich hätte ihr Leben gefährdet", berichtet Werner. Er kontaktiert die Deutsche Flugambulanz - mit Erfolg. Sie wird den Transport der Frühchen tatsächlich übernehmen. Mit einem spezialisierten Kinderarzt und einem Baby-Transport-System sollen Eva und Angelina in Sicherheit gebracht werden. Matthias Werner, der selbst Zwillinge hat, ist erleichtert, genauso wie die Mutter der Babys. Er wollte unbedingt Wort halten und den Frühchen helfen. Das hatte er auch der Mutter versprochen.
Spenden sammeln für Rettungswagen
Mehr als eine Woche dauert die Hilfsmission in der Ukraine. Trotz Schlafmangels, Augenringen und der emotionalen Belastung will Matthias Werner wieder zurück. "Ich bin motivierter denn je", sagt er. Er hofft auf weitere Spendengelder, von denen unter anderem ein eigener Krankenwagen angeschafft werden soll. Außerdem soll die Zusammenarbeit mit der ukrainisch-israelischen NGO "FRIDA" ausgebaut werden. Diese hat viele Kontakte vor Ort und könnte organisatorische Aufgaben abnehmen, sodass sich Matthias Werner und sein Team rein auf die medizinische Versorgung der Menschen konzentrieren könnte.