Am 10. Mai 1933 sind im nationalsozialistischen Deutschland an vielen Orten Bücher verbrannt worden. Was Freiburg angeht, gingen Historikerinnen und Historiker bislang allerdings davon aus, dass es keine oder nur kleinere Nazi-Bücher-Verbrennungen gegeben hat. Der Freiburger Forscher Heiko Wegmann, zu dessen Arbeitsschwerpunkten die südbadische NS-Geschichte gehört, kommt zu einem anderen Schluss. In seinem Buch "Dunkle Wolken über Freiburg" rekonstruiert der Historiker die Hintergründe zu den Bücher-Verbrennungen in Freiburg. Demnach sind auch in Freiburg viel mehr Bücher in Flammen aufgegangen als bisher angenommen, sagt Heiko Wegmann im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderatorin Nadine Zeller.
SWR Aktuell: Herr Wegmann, was sind das für Fälle, in denen in Freiburg Bücher verbrannt wurden?
Heiko Wegmann: Die Fälle entsprechen den verschiedenen Phasen von Bücher-Verbrennungen, die man auch allgemein feststellen kann. Das fängt am 17. März 1933 an, als das Gebäude der Freiburger sozialdemokratischen Tageszeitung "Volkswacht" gestürmt wurde. Dort wurde die gesamte Zeitungsauflage des Tages und eben auch die Bücher des Verlages auf die Straße geschmissen, zum Teil geraubt, zum Teil aber auch angezündet. Danach kommen dann die studentischen Bücher-Verbrennungen. Da wird es schon schwierig, weil wir bis heute nicht wissen, ob am 10. Mai 1933 im Rahmen der Aktion "Wider den undeutschen Geist", die von der deutschen Studentenschaft organisiert wurde, in Freiburg eine Bücher-Verbrennung stattgefunden hat oder nicht. Man ging bisher immer davon aus, sie habe nicht stattgefunden. Es gibt allerdings auch Zeitzeugen, die das Gegenteil behaupten. Und ab dem Zeitpunkt gab es immer und immer wieder angesetzte Versuche, Bücher-Verbrennungen durchzuführen.
SWR Aktuell: Wer war für diese Versuche verantwortlich?
Wegmann: Da treten ganz verschiedene Freiburger Akteure auf den Plan. Vorbereitend zum Beispiel die "Städtische Kommission gegen Schmutz und Schund", die bestand schon länger. Im März, April 1933 wurde sie dann aber von den Nationalsozialisten praktisch gekapert und umfunktioniert. Vorher ging es traditioneller Weise zum Beispiel um Sittlichkeit und Erotik - was eben so unter Schmutz und Schund definiert wurde. Die Nazis haben das dann politisch aufgeladen und jüdische Autoren, Arbeiter:innen-Literatur, pazifistische Bücher da mit reingebracht. Die Kommission hat auch Bücher aussortiert, die dann verbrannt werden sollten - von Studierenden, zum Beispiel. Oder, und da kommt noch ein weiterer Akteur dazu, von der Hitlerjugend.
SWR Aktuell: Hat die Hitlerjugend auch Bücher verbrannt?
Wegmann: Ja, genau. In Baden gab es zwei sogenannte kulturelle Kampfwochen. Die erste Kampfwoche war mit Bücher-Verbrennungen beschäftigt und die zweite Woche schloss sich dann an mit Ehrungen Völkischer- und Heimatdichter und Künstler:innen.
SWR Aktuell: Wieso ist man denn bisher davon ausgegangen, dass es nicht so viele Bücher-Verbrennungen in Südbaden gegeben hat?
Wegmann: Das hat verschiedene Gründe. Die liegen zum Beispiel darin, dass über diese Bücher-Verbrennungen zum Teil keine Berichte oder Fotos vorliegen. Wir denken bei Bücher-Verbrennungen ja häufig an den Berliner Opernplatz, an Reichsminister Goebbels, der dort eine Feuerrede hält und Erich Kästner, der das als betroffener Autor beobachtet und so weiter. So etwas Theatralisches gab es wohl in Freiburg nicht. Man muss dazu aber wissen, und deswegen heißt mein Buch auch "Dunkle Wolken über Freiburg", dass es in der Zeit schlicht und ergreifend ganz massiv geregnet hat.
Und dann hat man zum Beispiel bei einer Bücher-Verbrennung der HJ gesagt: Na ja, das wurde zwar angekündigt, dann ist es aber ausgefallen. Das heißt, es hat nicht stattgefunden. Eine weitere Bedeutung des Buchtitels, die dunklen Wolken, stehen sinnbildlich auch für Feuerwolken oder Qualm. Denn es waren tatsächlich Bücher-Verbrennungen geplant, die wurden dann immer sehr, sehr kurzfristig abgesetzt, wegen schlechter Bedingungen, und dann um ein paar Tage verschoben. Ich konnte nachweisen, dass es mindestens acht anberaumte Termine für Freiburger Bücher-Verbrennungen gegeben hat.
SWR Aktuell: Das Wetter hat den Nationalsozialisten einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Wegmann: Genau. Aber da spielt auch noch der Faktor mit rein, dass man sich in Freiburg offensichtlich mit der Thematik zu leicht zufrieden gegeben hat. Nach dem Motto: Na ja, die Freiburger, die waren sehr katholisch, die Nazis waren eher schwach und die Bücher-Verbrennungen sind ausgefallen. Aber wenn man sich das dann mal im Einzelnen anguckt, dann sieht man, dass es wechselnde Koalitionen gab, die in der Hinsicht zusammengearbeitet haben: Studierende, Hitlerjugend, der Kampfbund für deutsche Kultur, die Universität. Letztendlich fand dann eine Verbrennung am 24. Juni 1933 im Universitätsstadion statt. Die stand dann schon gar nicht mehr auf dem Programm, weil man das so oft angekündigt hatte. Aber es ist durch eine Zeitzeugin belegt - etwa von Käthe Fortriede, einer Freiburger sozialdemokratischen Redakteurin, die auch als Jüdin verfolgt wurde. Sie bezeugt, dass es dort neben einem großen Sonnenwendefeuer auch noch ein Bücherfeuer gegeben hat.