Machtübernahme Hitlers vor 90 Jahren

90 Jahre nach Machtübernahme: So verletzlich ist die Demokratie

Stand
Interview
Nadine Zeller
Onlinefassung
Maya Rollberg

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der SWR hat mit Julia Wolrab, der Leiterin des geplanten NS-Dokumentationszentrums in Freiburg, über diesen Tag gesprochen.

SWR Aktuell: Frau Wolrab, heute ist es 90 Jahre her, dass Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Warum war dieser Tag so wichtig und wie hat sich die Machtübernahme auf die Region Freiburg ausgewirkt?

Julia Wolrab: Mit dem 30. Januar 1933 endete faktisch die Zeit der parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik und damit auch in Freiburg. Nach dem 30. Januar, also schon am 1. Februar 1933, wurde der Reichstag aufgelöst. Am 28. Februar 1933 hat die sogenannte Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat, auch bekannt als "Reichtstagsbrandverordnung", dafür gesorgt, dass wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden wie die Unverletzlichkeit der Person, Vereins-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

SWR-Reporterin Nadine Zeller hat in SWR4 Baden-Württemberg mit Julia Wolrab, der Leiterin des NS-Dokumentationszentrums Freiburg, gesprochen.

SWR Aktuell: Was hatte das konkret für Folgen?

Wolrab: Es führte dazu, dass politische Oppositionelle, also Parteimitglieder von KPD und SPD, sukzessive verfolgt und in Konzentrationslagern interniert wurden. Die Zeit der Gleichschaltung ging dann auch hier in Freiburg weiter: Am 9. April 1933 musste der bis dahin regierende Bürgermeister Karl Bender von der Zentrumspartei aufgeben. Er hatte noch versucht, sein Bürgermeisteramt zu halten, musste sich dann aber einer Verleumdungskampagne der NSDAP geschlagen geben. Am 19. Mai 1933 trat der nationalsozialistische Oberbürgermeister Franz Kerber an die Spitze der Stadt Freiburg. 

SWR Aktuell: Wie wurde dieser Tag in Freiburg wahrgenommen?

Wolrab: Tatsächlich gibt es keine konkreten Quellen über diesen Tag in Freiburg und zur Frage, wie die Bevölkerung reagiert hat. Den verfügbaren Informationen zufolge gab es einen Teil, der das sehr befürwortet und positiv aufgenommen hat - eben die Personen, die lange Zeit versuchten, die NSDAP zur stärksten Kraft zu machen. Andere wiederum, vor allem die Oppositionellen im Stadtrat, haben das mit großer Bestürzung aufgenommen.

Männer stehen in Reih und Glied vor einem Gebäude, von dessen Balkon drei große Fahnen hängen
Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Freiburger Rathaus am 06.03.1933

SWR Aktuell: Wie genau lief denn die Machtübernahme in Freiburg ab?

Wolrab: Am 5. März 1933 erzielte die NSDAP in Freiburg erstmals eine Mehrheit von 35,8 Prozent. Sie wurde stärkste Partei bei den Reichstagswahlen, die eigentlich keine freien Wahlen mehr waren, woraufhin die NSDAP die Hakenkreuzflagge am Freiburger Rathaus hisste. Das geschah gegen den Willen des damals noch amtierenden Bürgermeisters Karl Bender von der Zentrumspartei. Franz Kerber und auch andere Mitglieder der NSDAP versuchten dann im Nachgang sukzessive, Bender aus dem Amt zu drängen.

SWR Aktuell: Was bedeutete das für die Jüdinnen und Juden in Freiburg? 

Wolrab: Unter den ersten Verordnungen und Gesetzen, die sich gezielt gegen Jüdinnen und Juden richteten, war zum Beispiel das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Damit ging einher, dass jüdische Beamte aus den Schulen oder Universitäten ausgeschlossen wurden. In Freiburg sorgte Oberbürgermeister Franz Kerber sogar dafür, dass das Gesetz noch einige Zeit früher als auf Reichsebene umgesetzt wurde, also dass Lehrkräfte schon vor dem offiziellen Inkrafttreten entlassen wurden.

 

SWR Aktuell: Wie verlief diese Zeit mit Blick auf ganz Baden-Württemberg? Gab es in den Städten unterschiedliche Entwicklungen?

Wolrab: Die sogenannte Gleichschaltung vollzog sich nicht überall gleich. In Freiburg zum Beispiel waren die meisten Wählerinnen und Wähler eher dem Zentrum zugetan, stammten also aus einem katholischen Milieu. Deshalb konnte die NSDAP hier bei den Wahlen erst vergleichsweise spät Erfolge verbuchen. An anderen Orten ging das schneller vonstatten. Im Großen und Ganzen war es so, dass die Nationalsozialisten großen Druck aufbauten und Oppositionelle durch Gewalt mundtot machten und von deren Ämtern verdrängten. Irgendwann hatten die Nationalsozialisten ein leichtes Spiel, die Diktatur auf der gesamten Reichsebene umzusetzen. Das gilt für ganz Baden-Württemberg wie auch für Freiburg.

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SWR Aktuell: Welche Lehren können wir heute aus einem solchen Tag ziehen? 

Wolrab: An Tagen wie dem heute, an dem sich die sogenannte Machtergreifung zum 90. Mal jährt, müssen wir uns einmal mehr in Erinnerung rufen, wie verletzlich die Demokratie ist. Und wie schnell politische Radikalisierung auch dazu führen kann, dass Mehrheiten generiert werden, die der Demokratie und Minderheiten innerhalb der Demokratie schaden können.  

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