HNO-Station D3 im Klinikum Stuttgart. Am späten Nachmittag beginnt Saaid Ajmman seine Schicht als diensthabender Arzt. In der 24-Betten-Station klingelt unablässig das Telefon. Der 29-jährige Arzt aus Syrien muss Übergabegespräche führen, Patientenlisten checken, Blutuntersuchungen vornehmen und eine Not-OP steht an.
Ein 78-jähriger Mann hat einen eiergroßen Abszess am Hals. Saaid Ajmman informiert den Patienten in perfektem Deutsch über den Ablauf der Operation und versucht ihn zu beruhigen. "Wir schauen jeden Tag, wie es Ihnen geht. Wenn etwas sein sollte, sagen Sie bitte Bescheid. Wir kümmern uns um Sie."
Studium in Damaskus begonnen
Neben Erwachsenen betreuen Saaid Ajmman und das HNO-Team auch Kinder und Jugendliche ambulant und stationär im Klinikum Stuttgart. "Zu uns kommen Kinder aus ganz Deutschland", erklärt er, "denn wir sind ein spezialisiertes Zentrum für Atemwegsstenosen, also Verengungen der Luftröhre, und behandeln auch komplizierte Eingriffe".
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Medizin sei schon immer sein Traumberuf gewesen, so Ajmman. Zum einen gefalle ihm der Umgang mit Menschen, die Teamarbeit und zum anderen sei die Entwicklung im medizinischen Bereich faszinierend. Vor allem die Arbeit mit Kindern mache ihn froh. Krankheiten zu lindern und Menschen zu heilen, gebe seinem Leben Sinn. Dabei lerne er jeden Tag etwas Neues, vor allem, wenn er bei Operationen assistieren könne, so Saaid Ajmman. Vor zehn Jahren begann er sein Studium in seiner Heimatstadt Damaskus.
Wie Saaid Ajmman arbeiten 6.000 Syrer als Ärzte in Deutschland
Damals, 2014, tobte der Bürgerkrieg in Syrien im dritten Jahr. Seine Eltern fürchteten um das Leben ihres Sohnes und um seine Zukunft. Sie entschieden, dass der damals 18-Jährige sein Studium in Deutschland fortsetzen solle. "Sie hatten große Angst, dass die Situation für uns immer schlimmer wird, vor allem nach den Sanktionen. Es wurde so gut wie nichts mehr nach Syrien importiert. Auch im medizinischen Bereich fehlten immer mehr Materialien aus dem Ausland oder wurden nur geringfügig zur Verfügung gestellt. Das hat natürlich auch eine Rolle gespielt."
Der Abschied von seinen Eltern, seinen Verwandten und Freunden war hart. Der junge Mann kam in ein Land, das ihm fremd war. "Für mich war die Sprache die krasseste Barriere, aber es hat sich im Verlauf ganz gut entwickelt", bemerkt er bescheiden, "und ich habe mich gut eingelebt".
Im Klinikum Stuttgart arbeitet Saaid Ajmman im zweiten Jahr als Assistenzarzt. Von den 1.200 dort tätigen Ärztinnen und Ärzten haben rund 200 einen nicht-deutschen Pass. Das entspricht etwa dem Bundesdurchschnitt von 15 Prozent, erklärt Jan Steffen Jürgensen, Vorstand des Klinikums Stuttgart: "Natürlich können wir nicht auf 15 Prozent hochqualifizierter Fachkräfte im Klinikum Stuttgart verzichten."
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Menschen seien unzufrieden, gerade auch im Südwesten, denn es gebe Schwierigkeiten, vor allem auch in ländlichen Regionen, überhaupt einen Arzt oder Facharzt zu finden, so Jürgensen weiter. "Wir haben einen demografischen Wandel, ein Generationenwechsel ist in vollem Gange und wir haben ein Nachwuchsproblem. Dazu kommt die Forderung nach mehr Qualifizierung und Studienplätzen und insofern können wir nicht nur nicht verzichten, wir bräuchten im Prinzip mehr."
Menschen aus 100 Nationen im Pflegebereich
Das Klinikum Stuttgart hat die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Dort arbeiten Menschen aus etwa 100 Nationen im Pflegebereich und in der Ärzteschaft. "Wir sind froh über diese kulturelle, sprachliche und soziale Kompetenz, die wir haben. Neben unserer hohen fachlichen Expertise ist das ein Riesenbeitrag, um unsere Patienten zu verstehen und adäquat zu versorgen", so Jürgensen.
Von den insgesamt 428.000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten in Deutschland kommen fast 15 Prozent aus einem anderen Land, so die aktuelle Statistik der Bundesärztekammer. Tendenz steigend. Darunter sind auch Ärzte und Ärztinnen aus Fluchtregionen, allein aus Syrien arbeiten 6.000 Ärzte in Deutschland, in Baden-Württemberg über 326, so die Landesärztekammer.
Stuttgarter Arzt Saaid Ajmman nennt Deutschland seine zweite Heimat
Saaid Ajmman will in Deutschland bleiben und hat vor zwei Monaten einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, denn nach zehn Jahren fühle er sich in Deutschland beheimatet. Ab und an gebe es diskriminierende Erfahrungen, sagt er, aber im Klinikum habe er das noch nie erlebt. Doch die Art und Weise, wie aktuell über Migranten und Geflüchtete gesprochen werde, ärgere ihn: "Leider ist das Bild der syrischen Bevölkerung sehr beeinträchtigt worden durch die letzten Ereignisse. Nur weil einige Personen irgendwas gemacht haben, heißt das nicht, dass die gesamte Gruppe so ist."
Der 29-Jährige will sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen, denn im Bürgerkriegsland Syrien sehe er keine Perspektiven, auch wenn er große Sehnsucht nach seiner Familie habe: "Das kleine Kind wünscht sich halt immer noch, dass es dort hingeht, wo es herkommt. Aber ich fühle mich auch hier mittlerweile wie zuhause. Also zum jetzigen Zeitpunkt bin ich da, wo ich hingehöre, in Deutschland."